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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Aus dem Jahre ^3^3.

entschlossenen Thun umzusetzen verstand, und nach wenigen Tagen konnte der
berüchtigte Kaufmann Ottcnsoser es schon wagen, in einer öffentlichen Ver¬
sammlung zu sagen, er begreife uicht, daß über die Beschädigung von ein paar
wertlosen Zeuglappen -- den alten Fahnen -- und über das Abhandenkommen
von etwas altem Eisen soviel Geschrei gemacht werde. Es gäbe wahrlich Wich¬
tigeres zu verhandeln.

So ging es denn weiter und weiter bergab. Es kamen die Zeiten, wo
die Fenster eines Ministerhotels in der Wilhelmstraße während einer Soiree,
in welcher das diplomatische Korps anwesend war, von einem Pvbelhaufen de-
molirt wurden, sodnß die fremden Gesandten kaum ihre Köpfe vor den Stein¬
würfen wahren konnten -- dann wurden die Abgeordneten, welche nicht nach
den Wünschen des Pöbels stimmten, lebensgefährlich bedroht, und es kam sogar
so weit, daß uralt den Sitzungssaal der Abgeordneten im Schanspielhciuse von
anßen vernagelte, um die ganze Nationalversammlung eine Weile gefangen zu
halten.

Dabei wurde es natürlich in der Stadt immer ungemütlicher; wer irgend
konnte, verließ sie, die Wohnungen standen massenhaft leer, die Gewerbe stockten,
der Hunger zog in viele sonst wohl situirte Familien ein, aber die Wohl¬
meinenden blieben dennoch ohnmächtig und konnten das tiefer und tiefer
sinkende Staatsschiff nicht aufhalten, solange eine Regierung fehlte, die mit
kräftiger Hand dem wüst dahinrasenden Stantswagen Halt und Umkehr zu ge-
bieten vermochte.

Die Straßenemeute war aber nicht auf Berlin beschränkt, sie trat auch an
vielen andern Orten auf und war eines da das Schreckbild, durch welches sich
die schwachen Regierungen immer tiefer in die Wege der Revolution verstricken
ließen. So weiß z. B. auch Kassel von einem schon im April stattfindenden
Zenghaussturm zu erzählen, der in seinen Einzelheiten und namentlich in betreff
der dabei zu tage tretenden Schwäche der Regierung fast noch trostloser war
wie der Berliner.

Das zweite Mittel, mit welche", die Umsturzpartei Macht gewonnen, war
die Presse. Um deren Einfluß begreifen zu können, muß man sich daran er¬
innern, daß bis zu den Märztagen alle Druckschriften, mit Ausnahme etwa der
großen wissenschaftlichen Werke, ehe sie gedruckt wurden, die Zensur der ange¬
stellten Zensoren passiren mußten, und daß diese nicht mir bestrebt gewesen
waren, die Einrichtungen des Staates zu schützen, sondern auch die Personen
der Machthaber vor allen Angriffen zu behüten. So verhaßt die Zensur
war -- in Schwaben soll sogar ein Verein junger Damen bestanden haben,
die sich gelobt hatten, nie einen Zensor zu heiraten --, so hatte sie doch be¬
wirkt, daß jedermann der Presse gegenüber sehr feinfühlig war, und daß man
einen persönlichen Angriff derselben als eine schwere Schmach, die man erlitten,
anzusehen geneigt war. Als nun die Zensur mit den ersten Märzwehen überall


Aus dem Jahre ^3^3.

entschlossenen Thun umzusetzen verstand, und nach wenigen Tagen konnte der
berüchtigte Kaufmann Ottcnsoser es schon wagen, in einer öffentlichen Ver¬
sammlung zu sagen, er begreife uicht, daß über die Beschädigung von ein paar
wertlosen Zeuglappen — den alten Fahnen — und über das Abhandenkommen
von etwas altem Eisen soviel Geschrei gemacht werde. Es gäbe wahrlich Wich¬
tigeres zu verhandeln.

So ging es denn weiter und weiter bergab. Es kamen die Zeiten, wo
die Fenster eines Ministerhotels in der Wilhelmstraße während einer Soiree,
in welcher das diplomatische Korps anwesend war, von einem Pvbelhaufen de-
molirt wurden, sodnß die fremden Gesandten kaum ihre Köpfe vor den Stein¬
würfen wahren konnten — dann wurden die Abgeordneten, welche nicht nach
den Wünschen des Pöbels stimmten, lebensgefährlich bedroht, und es kam sogar
so weit, daß uralt den Sitzungssaal der Abgeordneten im Schanspielhciuse von
anßen vernagelte, um die ganze Nationalversammlung eine Weile gefangen zu
halten.

Dabei wurde es natürlich in der Stadt immer ungemütlicher; wer irgend
konnte, verließ sie, die Wohnungen standen massenhaft leer, die Gewerbe stockten,
der Hunger zog in viele sonst wohl situirte Familien ein, aber die Wohl¬
meinenden blieben dennoch ohnmächtig und konnten das tiefer und tiefer
sinkende Staatsschiff nicht aufhalten, solange eine Regierung fehlte, die mit
kräftiger Hand dem wüst dahinrasenden Stantswagen Halt und Umkehr zu ge-
bieten vermochte.

Die Straßenemeute war aber nicht auf Berlin beschränkt, sie trat auch an
vielen andern Orten auf und war eines da das Schreckbild, durch welches sich
die schwachen Regierungen immer tiefer in die Wege der Revolution verstricken
ließen. So weiß z. B. auch Kassel von einem schon im April stattfindenden
Zenghaussturm zu erzählen, der in seinen Einzelheiten und namentlich in betreff
der dabei zu tage tretenden Schwäche der Regierung fast noch trostloser war
wie der Berliner.

Das zweite Mittel, mit welche», die Umsturzpartei Macht gewonnen, war
die Presse. Um deren Einfluß begreifen zu können, muß man sich daran er¬
innern, daß bis zu den Märztagen alle Druckschriften, mit Ausnahme etwa der
großen wissenschaftlichen Werke, ehe sie gedruckt wurden, die Zensur der ange¬
stellten Zensoren passiren mußten, und daß diese nicht mir bestrebt gewesen
waren, die Einrichtungen des Staates zu schützen, sondern auch die Personen
der Machthaber vor allen Angriffen zu behüten. So verhaßt die Zensur
war — in Schwaben soll sogar ein Verein junger Damen bestanden haben,
die sich gelobt hatten, nie einen Zensor zu heiraten —, so hatte sie doch be¬
wirkt, daß jedermann der Presse gegenüber sehr feinfühlig war, und daß man
einen persönlichen Angriff derselben als eine schwere Schmach, die man erlitten,
anzusehen geneigt war. Als nun die Zensur mit den ersten Märzwehen überall


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[0577] Aus dem Jahre ^3^3. entschlossenen Thun umzusetzen verstand, und nach wenigen Tagen konnte der berüchtigte Kaufmann Ottcnsoser es schon wagen, in einer öffentlichen Ver¬ sammlung zu sagen, er begreife uicht, daß über die Beschädigung von ein paar wertlosen Zeuglappen — den alten Fahnen — und über das Abhandenkommen von etwas altem Eisen soviel Geschrei gemacht werde. Es gäbe wahrlich Wich¬ tigeres zu verhandeln. So ging es denn weiter und weiter bergab. Es kamen die Zeiten, wo die Fenster eines Ministerhotels in der Wilhelmstraße während einer Soiree, in welcher das diplomatische Korps anwesend war, von einem Pvbelhaufen de- molirt wurden, sodnß die fremden Gesandten kaum ihre Köpfe vor den Stein¬ würfen wahren konnten — dann wurden die Abgeordneten, welche nicht nach den Wünschen des Pöbels stimmten, lebensgefährlich bedroht, und es kam sogar so weit, daß uralt den Sitzungssaal der Abgeordneten im Schanspielhciuse von anßen vernagelte, um die ganze Nationalversammlung eine Weile gefangen zu halten. Dabei wurde es natürlich in der Stadt immer ungemütlicher; wer irgend konnte, verließ sie, die Wohnungen standen massenhaft leer, die Gewerbe stockten, der Hunger zog in viele sonst wohl situirte Familien ein, aber die Wohl¬ meinenden blieben dennoch ohnmächtig und konnten das tiefer und tiefer sinkende Staatsschiff nicht aufhalten, solange eine Regierung fehlte, die mit kräftiger Hand dem wüst dahinrasenden Stantswagen Halt und Umkehr zu ge- bieten vermochte. Die Straßenemeute war aber nicht auf Berlin beschränkt, sie trat auch an vielen andern Orten auf und war eines da das Schreckbild, durch welches sich die schwachen Regierungen immer tiefer in die Wege der Revolution verstricken ließen. So weiß z. B. auch Kassel von einem schon im April stattfindenden Zenghaussturm zu erzählen, der in seinen Einzelheiten und namentlich in betreff der dabei zu tage tretenden Schwäche der Regierung fast noch trostloser war wie der Berliner. Das zweite Mittel, mit welche», die Umsturzpartei Macht gewonnen, war die Presse. Um deren Einfluß begreifen zu können, muß man sich daran er¬ innern, daß bis zu den Märztagen alle Druckschriften, mit Ausnahme etwa der großen wissenschaftlichen Werke, ehe sie gedruckt wurden, die Zensur der ange¬ stellten Zensoren passiren mußten, und daß diese nicht mir bestrebt gewesen waren, die Einrichtungen des Staates zu schützen, sondern auch die Personen der Machthaber vor allen Angriffen zu behüten. So verhaßt die Zensur war — in Schwaben soll sogar ein Verein junger Damen bestanden haben, die sich gelobt hatten, nie einen Zensor zu heiraten —, so hatte sie doch be¬ wirkt, daß jedermann der Presse gegenüber sehr feinfühlig war, und daß man einen persönlichen Angriff derselben als eine schwere Schmach, die man erlitten, anzusehen geneigt war. Als nun die Zensur mit den ersten Märzwehen überall

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/577>, abgerufen am 23.07.2024.