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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Rcmzlorrede vom 2. März und England.

England jederzeit bestanden hat und der natürliche ist, weil keiner von beiden
vitale Interessen hat, die denen des andern widersprächen."

Wir teilen die hier ausgesprochene Hoffnung, zweifeln aber, ob eine Ver¬
ständigung von Dauer sein wird, solange in England die Unentschlossenheit und
Unzuverlässigkeit und die alteingewurzclte Abneigung gegen Deutschland und
Österreich am Ruder des Staates stehen, welche die hervorstechenden Cha¬
rakterzüge des Kabinets Gladstone ausmachen, und sind der Meinung, daß eine
solche Verständigung niemals auf Kosten der Pflichten stattfinden wird, die wir
jetzt Frankreich gegenüber zu erfüllen haben. Die Entfremdung zwischen Deutsch¬
land und England datirt nicht von gestern. Ihr Ursprung ist vielmehr in
den Tendenzen zu suchen, welche die gegenwärtige liberale Negierung des letzteren
von Anfang an kundgab. Gladstone und Genossen kamen ins Amt mit einer
starken Hinneigung zu Frankreich, der Republik, und zu Rußland, das sich ihnen
als Befreier der christlichen Slaven von der Herrschaft der Pforte empfahl.
Ein näheres Verhältnis zu ersterm war für sie allerdings in gewissem Maße
bereits durch Lord Salisbury angebahnt worden, welcher die Doppelkontrole
am Nil entwickelt und in den ägyptischen Angelegenheiten überhaupt Hand in
Hand mit der Republik überm Kanal zu gehen sich bemüht hatte. Andrerseits
freilich hatte Lord Beaconsfield 1878 den Wunsch nach nähern Zusammengehen
mit Deutschland an den Tag gelegt und einiges gethan, was die Verbindung
mit Frankreich lockerte. Als die Liberalen das Heft in die Hand bekamen, er¬
kaltete die Freundschaft Englands zu Deutschland sofort merklich. In Frankreich
war jetzt ungefähr ausgeprägt, was die Liberalen und die mit ihnen vereinigten
Radikalen als Ideal im Herzen trugen, und zudem erschien es ihnen als die
stärkere Macht. Gambetta war Gegenstand ihrer Verehrung. Auf alle Fälle
erschien ihnen ein Zusammenhalten mit der französischen Fortschrittspartei
leichter und naturgemäßer als ein solches mit den "Militärmouarchien" Mittel¬
europas. Die Traditionen der Partei schlössen eine feindselige Haltung gegen
Österreich ein, und Deutschland war ihr mindestens unsympathisch. So war
denn das Hanptbestreben des Ministeriums Gladstone von Anfang an ein enges
Freundschaftsverhältnis zu der französischen Politik, und als Fürst Bismarck
sich in seinem Bestreben, den Weltfrieden immer sicherer zu stellen, bemühte,
auch England indirekt zur Verbürgung desselben zu gewinnen, begegneten seine
Andentungen einer kühlen Ablehnung. Ju England weiß man jetzt wohl
ziemlich allgemein, daß die Wahl Gladstones nicht die rechte war. Ziemlich
allgemein sagt man sich dort, wenn man zurückblickt, daß das Zusammengehen mit
Frankreich den englischen Interessen wenig Segen gebracht hat. Es führte, so
vergegenwärtigen sich nicht bloß die Gegner Gladstones, sondern auch Freunde
desselben die jüngste Vergangenheit, 1882 zu gemeinschaftlicher Drohung, dann
zu gemeinschaftlicher Flottendemonstration in der ägyptischen Frage, und schließlich
dampften die französischen Panzerschiffe unversehens von dannen und ließen die


Die Rcmzlorrede vom 2. März und England.

England jederzeit bestanden hat und der natürliche ist, weil keiner von beiden
vitale Interessen hat, die denen des andern widersprächen."

Wir teilen die hier ausgesprochene Hoffnung, zweifeln aber, ob eine Ver¬
ständigung von Dauer sein wird, solange in England die Unentschlossenheit und
Unzuverlässigkeit und die alteingewurzclte Abneigung gegen Deutschland und
Österreich am Ruder des Staates stehen, welche die hervorstechenden Cha¬
rakterzüge des Kabinets Gladstone ausmachen, und sind der Meinung, daß eine
solche Verständigung niemals auf Kosten der Pflichten stattfinden wird, die wir
jetzt Frankreich gegenüber zu erfüllen haben. Die Entfremdung zwischen Deutsch¬
land und England datirt nicht von gestern. Ihr Ursprung ist vielmehr in
den Tendenzen zu suchen, welche die gegenwärtige liberale Negierung des letzteren
von Anfang an kundgab. Gladstone und Genossen kamen ins Amt mit einer
starken Hinneigung zu Frankreich, der Republik, und zu Rußland, das sich ihnen
als Befreier der christlichen Slaven von der Herrschaft der Pforte empfahl.
Ein näheres Verhältnis zu ersterm war für sie allerdings in gewissem Maße
bereits durch Lord Salisbury angebahnt worden, welcher die Doppelkontrole
am Nil entwickelt und in den ägyptischen Angelegenheiten überhaupt Hand in
Hand mit der Republik überm Kanal zu gehen sich bemüht hatte. Andrerseits
freilich hatte Lord Beaconsfield 1878 den Wunsch nach nähern Zusammengehen
mit Deutschland an den Tag gelegt und einiges gethan, was die Verbindung
mit Frankreich lockerte. Als die Liberalen das Heft in die Hand bekamen, er¬
kaltete die Freundschaft Englands zu Deutschland sofort merklich. In Frankreich
war jetzt ungefähr ausgeprägt, was die Liberalen und die mit ihnen vereinigten
Radikalen als Ideal im Herzen trugen, und zudem erschien es ihnen als die
stärkere Macht. Gambetta war Gegenstand ihrer Verehrung. Auf alle Fälle
erschien ihnen ein Zusammenhalten mit der französischen Fortschrittspartei
leichter und naturgemäßer als ein solches mit den „Militärmouarchien" Mittel¬
europas. Die Traditionen der Partei schlössen eine feindselige Haltung gegen
Österreich ein, und Deutschland war ihr mindestens unsympathisch. So war
denn das Hanptbestreben des Ministeriums Gladstone von Anfang an ein enges
Freundschaftsverhältnis zu der französischen Politik, und als Fürst Bismarck
sich in seinem Bestreben, den Weltfrieden immer sicherer zu stellen, bemühte,
auch England indirekt zur Verbürgung desselben zu gewinnen, begegneten seine
Andentungen einer kühlen Ablehnung. Ju England weiß man jetzt wohl
ziemlich allgemein, daß die Wahl Gladstones nicht die rechte war. Ziemlich
allgemein sagt man sich dort, wenn man zurückblickt, daß das Zusammengehen mit
Frankreich den englischen Interessen wenig Segen gebracht hat. Es führte, so
vergegenwärtigen sich nicht bloß die Gegner Gladstones, sondern auch Freunde
desselben die jüngste Vergangenheit, 1882 zu gemeinschaftlicher Drohung, dann
zu gemeinschaftlicher Flottendemonstration in der ägyptischen Frage, und schließlich
dampften die französischen Panzerschiffe unversehens von dannen und ließen die


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[0560] Die Rcmzlorrede vom 2. März und England. England jederzeit bestanden hat und der natürliche ist, weil keiner von beiden vitale Interessen hat, die denen des andern widersprächen." Wir teilen die hier ausgesprochene Hoffnung, zweifeln aber, ob eine Ver¬ ständigung von Dauer sein wird, solange in England die Unentschlossenheit und Unzuverlässigkeit und die alteingewurzclte Abneigung gegen Deutschland und Österreich am Ruder des Staates stehen, welche die hervorstechenden Cha¬ rakterzüge des Kabinets Gladstone ausmachen, und sind der Meinung, daß eine solche Verständigung niemals auf Kosten der Pflichten stattfinden wird, die wir jetzt Frankreich gegenüber zu erfüllen haben. Die Entfremdung zwischen Deutsch¬ land und England datirt nicht von gestern. Ihr Ursprung ist vielmehr in den Tendenzen zu suchen, welche die gegenwärtige liberale Negierung des letzteren von Anfang an kundgab. Gladstone und Genossen kamen ins Amt mit einer starken Hinneigung zu Frankreich, der Republik, und zu Rußland, das sich ihnen als Befreier der christlichen Slaven von der Herrschaft der Pforte empfahl. Ein näheres Verhältnis zu ersterm war für sie allerdings in gewissem Maße bereits durch Lord Salisbury angebahnt worden, welcher die Doppelkontrole am Nil entwickelt und in den ägyptischen Angelegenheiten überhaupt Hand in Hand mit der Republik überm Kanal zu gehen sich bemüht hatte. Andrerseits freilich hatte Lord Beaconsfield 1878 den Wunsch nach nähern Zusammengehen mit Deutschland an den Tag gelegt und einiges gethan, was die Verbindung mit Frankreich lockerte. Als die Liberalen das Heft in die Hand bekamen, er¬ kaltete die Freundschaft Englands zu Deutschland sofort merklich. In Frankreich war jetzt ungefähr ausgeprägt, was die Liberalen und die mit ihnen vereinigten Radikalen als Ideal im Herzen trugen, und zudem erschien es ihnen als die stärkere Macht. Gambetta war Gegenstand ihrer Verehrung. Auf alle Fälle erschien ihnen ein Zusammenhalten mit der französischen Fortschrittspartei leichter und naturgemäßer als ein solches mit den „Militärmouarchien" Mittel¬ europas. Die Traditionen der Partei schlössen eine feindselige Haltung gegen Österreich ein, und Deutschland war ihr mindestens unsympathisch. So war denn das Hanptbestreben des Ministeriums Gladstone von Anfang an ein enges Freundschaftsverhältnis zu der französischen Politik, und als Fürst Bismarck sich in seinem Bestreben, den Weltfrieden immer sicherer zu stellen, bemühte, auch England indirekt zur Verbürgung desselben zu gewinnen, begegneten seine Andentungen einer kühlen Ablehnung. Ju England weiß man jetzt wohl ziemlich allgemein, daß die Wahl Gladstones nicht die rechte war. Ziemlich allgemein sagt man sich dort, wenn man zurückblickt, daß das Zusammengehen mit Frankreich den englischen Interessen wenig Segen gebracht hat. Es führte, so vergegenwärtigen sich nicht bloß die Gegner Gladstones, sondern auch Freunde desselben die jüngste Vergangenheit, 1882 zu gemeinschaftlicher Drohung, dann zu gemeinschaftlicher Flottendemonstration in der ägyptischen Frage, und schließlich dampften die französischen Panzerschiffe unversehens von dannen und ließen die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/560>, abgerufen am 23.07.2024.