Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Ucinzlerrede vom 2. März und England.

englische Flotte vor den Batterien Alexandriens im Stiche. Seitdem hat
Frankreich -- wir lassen englische Politiker hier weitersprechen -- statt uns in
Kairo zu unterstützen, bei allen Protesten gegen uns den Wortführer gemacht,
und seine auswärtige Diplomatie hat unsern Finanzplan vereitelt. Um den
Franzosen zu gefallen, hatte Salisbury mit Frankreich dein Chedive Ismail
Bezahlung des Coupons empfohlen, dann in dessen Absetzung gewilligt und die
Doppelkontrole weiter ausgedehnt. Granville folgte ihm mit jener drohenden
Note und jener Seeexpedition uach Ägypten. Und was war der Lohn? Man
ließ uns vor Alexandrien allein, und man machte uns Opposition an allen
Höfen Europas. Zu gunsten dieses Verbündeten, der sich stets unzuverlässig
zeigte, sich immer zuletzt gegen uns wandte, haben wir uns den größten Staats¬
mann des Jahrhunderts zum Gegner gemacht, und es ist hohe Zeit, umzukehren.
"Wir müssen, sagt der konservative vint/ 1's1og'ra>pli, so verfahren, wie Lord
Palmerston 1859 verfuhr. Er hatte 1855 und 1858 dem Bündnis mit Frank¬
reich viel geopfert und im letzteren Jahre durch seine Nachgiebigkeit gegen Graf
Walewski sogar an Macht eingebüßt. Als aber Frankreich Savoyen sich ein¬
verleibte, veränderten die englischen Staatsmänner ihre Taktik, sie näherten sich
sofort den deutschen Staaten, und Lord Russell ging sogar soweit, Cavour vor
der Hoffnung ans die Erwerbung Veneticns zu warnen. Keine empfindsame
Liebe zur Sache Italiens, kein alter Groll gegen Wien hinderte Palmerston,
Österreich gegen Frankreich auszuspielen, als Napoleon der Dritte, die öffentliche
Meinung in England mißachtend, Savoyen und Nizza in Besitz genommen hatte.
Von jetzt an war die englische Politik unabhängig, und Frankreich wurde in
Schach gehalten. Wir bedürfen und verlangen jetzt eine ähnliche Umkehr von
jener unverständigen Bevorzugung der französischen Allianz, die Lord Salis¬
bury zu dem Mißgriffe der doppelten Kontrole verleitete, die Lord Granville
bewog, in etwas zu willigen, was wie vielköpfige Kontrole aussieht, die uns
endlich Deutschland entfremdet hat."

Wir finden hieran nur eins auszusetzen: Ein gutes Verhältnis Englands
zu Deutschland erfordert nicht, wie dieses Nüsonncmeut annimmt, ein feindliches
zu Frankreich, schließt ein solches vielmehr ans; es verlangt auf feiten der
Engländer einfach Mäßigung und Billigkeit, willige Anerkennung fremder Be¬
dürfnisse und Rechte, zunächst der deutschen und der französischen. Deutschland
von Frankreich zu trennen wird englischem Zureden schwerlich gelingen. Der
Reichskanzler war, solange Frankreichs Negierung ihm gegenüberstand, durchaus
berechtigt, ja im Interesse des Friedens verpflichtet, um ein Bündnis mit Eng¬
land zu werden. Seit er sich mit Frankreich in der Art verständigt hat, daß
dieses als neben Deutschland stehend bezeichnet werden darf, kann England nur
noch insoweit ein Freund Deutschlands werden, als es kein unversöhnlicher
Gegner Frankreichs ist und bleiben will. Es muß sich jetzt begnügen, die Ur¬
sachen der jüngsten Verstimmung Deutschlands hinwegzuräumen und ferner


Die Ucinzlerrede vom 2. März und England.

englische Flotte vor den Batterien Alexandriens im Stiche. Seitdem hat
Frankreich — wir lassen englische Politiker hier weitersprechen — statt uns in
Kairo zu unterstützen, bei allen Protesten gegen uns den Wortführer gemacht,
und seine auswärtige Diplomatie hat unsern Finanzplan vereitelt. Um den
Franzosen zu gefallen, hatte Salisbury mit Frankreich dein Chedive Ismail
Bezahlung des Coupons empfohlen, dann in dessen Absetzung gewilligt und die
Doppelkontrole weiter ausgedehnt. Granville folgte ihm mit jener drohenden
Note und jener Seeexpedition uach Ägypten. Und was war der Lohn? Man
ließ uns vor Alexandrien allein, und man machte uns Opposition an allen
Höfen Europas. Zu gunsten dieses Verbündeten, der sich stets unzuverlässig
zeigte, sich immer zuletzt gegen uns wandte, haben wir uns den größten Staats¬
mann des Jahrhunderts zum Gegner gemacht, und es ist hohe Zeit, umzukehren.
„Wir müssen, sagt der konservative vint/ 1's1og'ra>pli, so verfahren, wie Lord
Palmerston 1859 verfuhr. Er hatte 1855 und 1858 dem Bündnis mit Frank¬
reich viel geopfert und im letzteren Jahre durch seine Nachgiebigkeit gegen Graf
Walewski sogar an Macht eingebüßt. Als aber Frankreich Savoyen sich ein¬
verleibte, veränderten die englischen Staatsmänner ihre Taktik, sie näherten sich
sofort den deutschen Staaten, und Lord Russell ging sogar soweit, Cavour vor
der Hoffnung ans die Erwerbung Veneticns zu warnen. Keine empfindsame
Liebe zur Sache Italiens, kein alter Groll gegen Wien hinderte Palmerston,
Österreich gegen Frankreich auszuspielen, als Napoleon der Dritte, die öffentliche
Meinung in England mißachtend, Savoyen und Nizza in Besitz genommen hatte.
Von jetzt an war die englische Politik unabhängig, und Frankreich wurde in
Schach gehalten. Wir bedürfen und verlangen jetzt eine ähnliche Umkehr von
jener unverständigen Bevorzugung der französischen Allianz, die Lord Salis¬
bury zu dem Mißgriffe der doppelten Kontrole verleitete, die Lord Granville
bewog, in etwas zu willigen, was wie vielköpfige Kontrole aussieht, die uns
endlich Deutschland entfremdet hat."

Wir finden hieran nur eins auszusetzen: Ein gutes Verhältnis Englands
zu Deutschland erfordert nicht, wie dieses Nüsonncmeut annimmt, ein feindliches
zu Frankreich, schließt ein solches vielmehr ans; es verlangt auf feiten der
Engländer einfach Mäßigung und Billigkeit, willige Anerkennung fremder Be¬
dürfnisse und Rechte, zunächst der deutschen und der französischen. Deutschland
von Frankreich zu trennen wird englischem Zureden schwerlich gelingen. Der
Reichskanzler war, solange Frankreichs Negierung ihm gegenüberstand, durchaus
berechtigt, ja im Interesse des Friedens verpflichtet, um ein Bündnis mit Eng¬
land zu werden. Seit er sich mit Frankreich in der Art verständigt hat, daß
dieses als neben Deutschland stehend bezeichnet werden darf, kann England nur
noch insoweit ein Freund Deutschlands werden, als es kein unversöhnlicher
Gegner Frankreichs ist und bleiben will. Es muß sich jetzt begnügen, die Ur¬
sachen der jüngsten Verstimmung Deutschlands hinwegzuräumen und ferner


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0561" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195237"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Ucinzlerrede vom 2. März und England.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2076" prev="#ID_2075"> englische Flotte vor den Batterien Alexandriens im Stiche. Seitdem hat<lb/>
Frankreich &#x2014; wir lassen englische Politiker hier weitersprechen &#x2014; statt uns in<lb/>
Kairo zu unterstützen, bei allen Protesten gegen uns den Wortführer gemacht,<lb/>
und seine auswärtige Diplomatie hat unsern Finanzplan vereitelt. Um den<lb/>
Franzosen zu gefallen, hatte Salisbury mit Frankreich dein Chedive Ismail<lb/>
Bezahlung des Coupons empfohlen, dann in dessen Absetzung gewilligt und die<lb/>
Doppelkontrole weiter ausgedehnt. Granville folgte ihm mit jener drohenden<lb/>
Note und jener Seeexpedition uach Ägypten. Und was war der Lohn? Man<lb/>
ließ uns vor Alexandrien allein, und man machte uns Opposition an allen<lb/>
Höfen Europas. Zu gunsten dieses Verbündeten, der sich stets unzuverlässig<lb/>
zeigte, sich immer zuletzt gegen uns wandte, haben wir uns den größten Staats¬<lb/>
mann des Jahrhunderts zum Gegner gemacht, und es ist hohe Zeit, umzukehren.<lb/>
&#x201E;Wir müssen, sagt der konservative vint/ 1's1og'ra&gt;pli, so verfahren, wie Lord<lb/>
Palmerston 1859 verfuhr. Er hatte 1855 und 1858 dem Bündnis mit Frank¬<lb/>
reich viel geopfert und im letzteren Jahre durch seine Nachgiebigkeit gegen Graf<lb/>
Walewski sogar an Macht eingebüßt. Als aber Frankreich Savoyen sich ein¬<lb/>
verleibte, veränderten die englischen Staatsmänner ihre Taktik, sie näherten sich<lb/>
sofort den deutschen Staaten, und Lord Russell ging sogar soweit, Cavour vor<lb/>
der Hoffnung ans die Erwerbung Veneticns zu warnen. Keine empfindsame<lb/>
Liebe zur Sache Italiens, kein alter Groll gegen Wien hinderte Palmerston,<lb/>
Österreich gegen Frankreich auszuspielen, als Napoleon der Dritte, die öffentliche<lb/>
Meinung in England mißachtend, Savoyen und Nizza in Besitz genommen hatte.<lb/>
Von jetzt an war die englische Politik unabhängig, und Frankreich wurde in<lb/>
Schach gehalten. Wir bedürfen und verlangen jetzt eine ähnliche Umkehr von<lb/>
jener unverständigen Bevorzugung der französischen Allianz, die Lord Salis¬<lb/>
bury zu dem Mißgriffe der doppelten Kontrole verleitete, die Lord Granville<lb/>
bewog, in etwas zu willigen, was wie vielköpfige Kontrole aussieht, die uns<lb/>
endlich Deutschland entfremdet hat."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2077" next="#ID_2078"> Wir finden hieran nur eins auszusetzen: Ein gutes Verhältnis Englands<lb/>
zu Deutschland erfordert nicht, wie dieses Nüsonncmeut annimmt, ein feindliches<lb/>
zu Frankreich, schließt ein solches vielmehr ans; es verlangt auf feiten der<lb/>
Engländer einfach Mäßigung und Billigkeit, willige Anerkennung fremder Be¬<lb/>
dürfnisse und Rechte, zunächst der deutschen und der französischen. Deutschland<lb/>
von Frankreich zu trennen wird englischem Zureden schwerlich gelingen. Der<lb/>
Reichskanzler war, solange Frankreichs Negierung ihm gegenüberstand, durchaus<lb/>
berechtigt, ja im Interesse des Friedens verpflichtet, um ein Bündnis mit Eng¬<lb/>
land zu werden. Seit er sich mit Frankreich in der Art verständigt hat, daß<lb/>
dieses als neben Deutschland stehend bezeichnet werden darf, kann England nur<lb/>
noch insoweit ein Freund Deutschlands werden, als es kein unversöhnlicher<lb/>
Gegner Frankreichs ist und bleiben will. Es muß sich jetzt begnügen, die Ur¬<lb/>
sachen der jüngsten Verstimmung Deutschlands hinwegzuräumen und ferner</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0561] Die Ucinzlerrede vom 2. März und England. englische Flotte vor den Batterien Alexandriens im Stiche. Seitdem hat Frankreich — wir lassen englische Politiker hier weitersprechen — statt uns in Kairo zu unterstützen, bei allen Protesten gegen uns den Wortführer gemacht, und seine auswärtige Diplomatie hat unsern Finanzplan vereitelt. Um den Franzosen zu gefallen, hatte Salisbury mit Frankreich dein Chedive Ismail Bezahlung des Coupons empfohlen, dann in dessen Absetzung gewilligt und die Doppelkontrole weiter ausgedehnt. Granville folgte ihm mit jener drohenden Note und jener Seeexpedition uach Ägypten. Und was war der Lohn? Man ließ uns vor Alexandrien allein, und man machte uns Opposition an allen Höfen Europas. Zu gunsten dieses Verbündeten, der sich stets unzuverlässig zeigte, sich immer zuletzt gegen uns wandte, haben wir uns den größten Staats¬ mann des Jahrhunderts zum Gegner gemacht, und es ist hohe Zeit, umzukehren. „Wir müssen, sagt der konservative vint/ 1's1og'ra>pli, so verfahren, wie Lord Palmerston 1859 verfuhr. Er hatte 1855 und 1858 dem Bündnis mit Frank¬ reich viel geopfert und im letzteren Jahre durch seine Nachgiebigkeit gegen Graf Walewski sogar an Macht eingebüßt. Als aber Frankreich Savoyen sich ein¬ verleibte, veränderten die englischen Staatsmänner ihre Taktik, sie näherten sich sofort den deutschen Staaten, und Lord Russell ging sogar soweit, Cavour vor der Hoffnung ans die Erwerbung Veneticns zu warnen. Keine empfindsame Liebe zur Sache Italiens, kein alter Groll gegen Wien hinderte Palmerston, Österreich gegen Frankreich auszuspielen, als Napoleon der Dritte, die öffentliche Meinung in England mißachtend, Savoyen und Nizza in Besitz genommen hatte. Von jetzt an war die englische Politik unabhängig, und Frankreich wurde in Schach gehalten. Wir bedürfen und verlangen jetzt eine ähnliche Umkehr von jener unverständigen Bevorzugung der französischen Allianz, die Lord Salis¬ bury zu dem Mißgriffe der doppelten Kontrole verleitete, die Lord Granville bewog, in etwas zu willigen, was wie vielköpfige Kontrole aussieht, die uns endlich Deutschland entfremdet hat." Wir finden hieran nur eins auszusetzen: Ein gutes Verhältnis Englands zu Deutschland erfordert nicht, wie dieses Nüsonncmeut annimmt, ein feindliches zu Frankreich, schließt ein solches vielmehr ans; es verlangt auf feiten der Engländer einfach Mäßigung und Billigkeit, willige Anerkennung fremder Be¬ dürfnisse und Rechte, zunächst der deutschen und der französischen. Deutschland von Frankreich zu trennen wird englischem Zureden schwerlich gelingen. Der Reichskanzler war, solange Frankreichs Negierung ihm gegenüberstand, durchaus berechtigt, ja im Interesse des Friedens verpflichtet, um ein Bündnis mit Eng¬ land zu werden. Seit er sich mit Frankreich in der Art verständigt hat, daß dieses als neben Deutschland stehend bezeichnet werden darf, kann England nur noch insoweit ein Freund Deutschlands werden, als es kein unversöhnlicher Gegner Frankreichs ist und bleiben will. Es muß sich jetzt begnügen, die Ur¬ sachen der jüngsten Verstimmung Deutschlands hinwegzuräumen und ferner

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/561
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/561>, abgerufen am 23.07.2024.