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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Unpolitische Briefe aus Wien.

Stillleben -- wenn wir von einer solchen Gattung ans dem Gebiete der schönen
Literatur sprechen dürfen -- hat sich Julius von der Traun in der "Äbtissin
von Breban" versucht -- einem überaus schwachen Produkt, das uns anmutet,
als wäre es für eine höhere Töchterschule geschrieben. Überhaupt scheint mit
seiner politischen Thätigkeit auch seine poetische Schöpferkraft geendet zu haben,
während er selber freilich das Gegenteil behauptet und dabei auf so manchen
Entwurf verweist, der noch in seinem Pulte der Vollendung harre. Dazu wird
es nun wohl kaum mehr kommen. Im Oktober des vergangenen Jahres war
es uns zum letztenmale vergönnt, den kranken Dichter zu sprechen. Sein ganzes
Interesse war da wieder den öffentlichen Angelegenheiten zugewendet, er sprach
davon, daß er einen ihm angebotenen Sitz im Herrenhause mit dem Bemerken
ausgeschlagen habe, er sei nicht in der Lage, für das gegenwärtige Ministerium
einzutreten. Aber er geberdete sich sonst weder extrem liberal, noch extrem
national: über so manches berühmte Mitglied der Verfassuugspartei -- na¬
mentlich über Herbst -- sprach er sich aufs schärfste aus, gedachte mit Wehmut
der Zeiten, wo alle Nationalitäten des Kaiserftciates zuerst gut österreichisch,
dann erst deutsch, tschechisch oder polnisch gefühlt haben, und wollte selbst dem pa¬
triarchalischen Despotismus Franz I, einen gewissen Vorzug vor den heutigen
Zuständen gegeben wissen. "Wir Ältern, äußerte er, kannten und liebten nur
Osterreich, in dem Einheitsstaat sind wir erwachsen, und umdenken können wir
uns nicht, aber vielleicht kann es, vielleicht muß es die folgende Generation."
Wie er diese Worte sprach, das bleiche, von schneeweißem Haar umrahmte
Antlitz sorgenvoll ans die eine Hand gestützt, mit der andern bisweilen wie zur
Bekräftigung den Hörer berührend, mußte er diesem wie ein scheidender Kämpfer
erscheinen, der seine Sache aufgegeben und verloren sieht.

Deutet so auch in der Erscheinung dieses Dichters alles ein Ausklingen
und Hinschwinden an, weist auch sie mehr in die Vergangenheit zurück, als sie
den Blick in der Gegenwart festhält und Hoffnungen für die Zukunft erregt,
so stehen Anzengruber und Rosegger dafür noch in vollster Lebens- und
Schaffenskraft, und wenn sie erlahmen sollte, so ist schon ein frischer Nachwuchs
bereit, der zwar heute zu ihnen noch immer dankbar als zu unerreichten Vor¬
bildern emporblicken mag, aber doch schon Proben eines Talentes gegeben hat,
das schönster Entwicklung fähig ist. Freilich auf den großen deutschen Literatur¬
markt dringt davon kaum etwas; nur der, der unsre kleineren Bühnen hier und
in der Provinz besucht, kaun sie bemerken und würdigen.

Die Vorwürfe der beiden -- Anzengrubers und Noseggers -- sind bekannt:
sie sind fast immer der bäuerlichen Welt und ihren Konflikten entlehnt, und in
diesen Blättern ist unlängst darauf verwiesen worden, wie sie ihre Meisterschaft
verläßt, sobald sie diesen engen, aber doch so reichen Bezirk verlassen. Während
Noseggcr seine Größe in der Schilderung von Zuständen und ruhigen oder nur
mäßig bewegten Lebensläufen gefunden hat, weiß Anzengruber vor allem Er-


Unpolitische Briefe aus Wien.

Stillleben — wenn wir von einer solchen Gattung ans dem Gebiete der schönen
Literatur sprechen dürfen — hat sich Julius von der Traun in der „Äbtissin
von Breban" versucht — einem überaus schwachen Produkt, das uns anmutet,
als wäre es für eine höhere Töchterschule geschrieben. Überhaupt scheint mit
seiner politischen Thätigkeit auch seine poetische Schöpferkraft geendet zu haben,
während er selber freilich das Gegenteil behauptet und dabei auf so manchen
Entwurf verweist, der noch in seinem Pulte der Vollendung harre. Dazu wird
es nun wohl kaum mehr kommen. Im Oktober des vergangenen Jahres war
es uns zum letztenmale vergönnt, den kranken Dichter zu sprechen. Sein ganzes
Interesse war da wieder den öffentlichen Angelegenheiten zugewendet, er sprach
davon, daß er einen ihm angebotenen Sitz im Herrenhause mit dem Bemerken
ausgeschlagen habe, er sei nicht in der Lage, für das gegenwärtige Ministerium
einzutreten. Aber er geberdete sich sonst weder extrem liberal, noch extrem
national: über so manches berühmte Mitglied der Verfassuugspartei — na¬
mentlich über Herbst — sprach er sich aufs schärfste aus, gedachte mit Wehmut
der Zeiten, wo alle Nationalitäten des Kaiserftciates zuerst gut österreichisch,
dann erst deutsch, tschechisch oder polnisch gefühlt haben, und wollte selbst dem pa¬
triarchalischen Despotismus Franz I, einen gewissen Vorzug vor den heutigen
Zuständen gegeben wissen. „Wir Ältern, äußerte er, kannten und liebten nur
Osterreich, in dem Einheitsstaat sind wir erwachsen, und umdenken können wir
uns nicht, aber vielleicht kann es, vielleicht muß es die folgende Generation."
Wie er diese Worte sprach, das bleiche, von schneeweißem Haar umrahmte
Antlitz sorgenvoll ans die eine Hand gestützt, mit der andern bisweilen wie zur
Bekräftigung den Hörer berührend, mußte er diesem wie ein scheidender Kämpfer
erscheinen, der seine Sache aufgegeben und verloren sieht.

Deutet so auch in der Erscheinung dieses Dichters alles ein Ausklingen
und Hinschwinden an, weist auch sie mehr in die Vergangenheit zurück, als sie
den Blick in der Gegenwart festhält und Hoffnungen für die Zukunft erregt,
so stehen Anzengruber und Rosegger dafür noch in vollster Lebens- und
Schaffenskraft, und wenn sie erlahmen sollte, so ist schon ein frischer Nachwuchs
bereit, der zwar heute zu ihnen noch immer dankbar als zu unerreichten Vor¬
bildern emporblicken mag, aber doch schon Proben eines Talentes gegeben hat,
das schönster Entwicklung fähig ist. Freilich auf den großen deutschen Literatur¬
markt dringt davon kaum etwas; nur der, der unsre kleineren Bühnen hier und
in der Provinz besucht, kaun sie bemerken und würdigen.

Die Vorwürfe der beiden — Anzengrubers und Noseggers — sind bekannt:
sie sind fast immer der bäuerlichen Welt und ihren Konflikten entlehnt, und in
diesen Blättern ist unlängst darauf verwiesen worden, wie sie ihre Meisterschaft
verläßt, sobald sie diesen engen, aber doch so reichen Bezirk verlassen. Während
Noseggcr seine Größe in der Schilderung von Zuständen und ruhigen oder nur
mäßig bewegten Lebensläufen gefunden hat, weiß Anzengruber vor allem Er-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/537>, abgerufen am 23.07.2024.