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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Unpolitische Briefe aus Wien.

eignisfe und Leidenschaften künstlerisch zu gestalten; die großen Konflikte zwischen
Natur und formellem Recht, Gefühl und Herkommen, Bestreben und Vorurteil
vermag er erschütternd darzustellen und bisweilen harmonisch zu lösen. Von
Rosegger wird man am liebsten hören, wie der einfache Holzknecht und der arme
Waldschulmeister, der alte Pfarrer hoch im Gebirge und der reiche Hofbesitzer,
die Großbäuerin und ihre junge Magd ihr Alltagswerk vollbringen, wie sie sich
in den verschiedenen Lagen des gewöhnlichen Lebens benehmen und was sie
dabei sinnen und denken. Anzengrubcr lockt uns tiefer in das Wesen des Natur¬
menschen hinein, indem er ihn auch in bedeutsamen Vorfällen, in gewal¬
tigen Schicksalen, in großen innerlichen und äußerlichen Kämpfen zu schildern
versteht.

Im "Pfarrer von Kirchfeld" wird der durch soviele Romane und Novellen
schon trivial gewordene Zwiespalt, in den ein katholischer Priester, welcher ein
Mädchen liebt, mit seiner Pflicht geraten muß, dadurch unendlich vertieft, daß
die Beteiligten so ganz sittliche und fromme Naturen sind, und er wird zu
wahrhaft tragischer Höhe erhoben, weil der Priester von der Bedeutung seines
Amtes eine so edle Auffassung hat, die er den unsittlichen hierarchischen Ge¬
walten gegenüber behauptet und versieht. Der Ausgang ist doppelte Entsagung,
hier siegt die Pflicht über die Leidenschaft, dort die äußere Macht über ideelles
Bestreben. Aber gerade jener Sieg erhellte uns mit dem Troste, daß dieses
Bestreben auch nicht eigentlich verloren war, und in dem Schmerze, mit dem die
ländliche Gemeinde ihren Hirten scheiden sieht, sehen wie die Bürgschaft auch
seines Sieges. Eine Gestalt von fast titanischen Kern ist dann der Wurzel-
sepp; das Unrecht, das ihm einst von einem Priester geschehen ist -- der nach
den bestehenden Ordnungen doch im Rechte war --, hat die Fülle seiner Liebe
in Haß verwandelt, und nicht nur gegen jenen einen kehrt sich dieser grandiose
Haß, sondern gegen alle jene Ordnungen der gleißnerischen Welt.

Im "Meineidbauer" liegt ebenfalls ein starkes tragisches Motiv: der
falsche Eid, der den rechtmäßigen Erben um das Seine bringt, wirkt als ein
Fluch fort, der den geldstolzen, hartherzigen auf seinen Kirchenglauben pochenden
Bauern zuletzt innerlich völlig zerstört und in Wahnsinn enden läßt. Auch in
dem Roman "Der Schandfleck" werden ja tragische Probleme gestreift, wie an
dieser Stelle bereits unlängst erörtert worden ist. In andern Schauspielen und
Geschichten bewegt sich der Dichter zwar mehr in den mittleren Regionen des
Gefühlslebens, aber immer führt er uns Charaktere von reichem inneren Leben
vor, auf die wir denn bedeutsame Geschicke wirken sehen: so im "Krcnzel-
schreiber" und im "Doppelselbstmord"; dort ist es der Steinklopferhans, hier
der arme Hauderer mit seinem "Heilandsbewußtsein," der uns tiefe psychologische
Blicke in die Bauernwelt thun läßt. Selbst in den kleinen Kalendergeschichten,
die Anzengruber fast alljährlich schreibt, ist uns dies bisweilen vergönnt, und
jedenfalls wird er auch hier seinem Wunsche gerecht, "Geschichten zu schreiben.


Unpolitische Briefe aus Wien.

eignisfe und Leidenschaften künstlerisch zu gestalten; die großen Konflikte zwischen
Natur und formellem Recht, Gefühl und Herkommen, Bestreben und Vorurteil
vermag er erschütternd darzustellen und bisweilen harmonisch zu lösen. Von
Rosegger wird man am liebsten hören, wie der einfache Holzknecht und der arme
Waldschulmeister, der alte Pfarrer hoch im Gebirge und der reiche Hofbesitzer,
die Großbäuerin und ihre junge Magd ihr Alltagswerk vollbringen, wie sie sich
in den verschiedenen Lagen des gewöhnlichen Lebens benehmen und was sie
dabei sinnen und denken. Anzengrubcr lockt uns tiefer in das Wesen des Natur¬
menschen hinein, indem er ihn auch in bedeutsamen Vorfällen, in gewal¬
tigen Schicksalen, in großen innerlichen und äußerlichen Kämpfen zu schildern
versteht.

Im „Pfarrer von Kirchfeld" wird der durch soviele Romane und Novellen
schon trivial gewordene Zwiespalt, in den ein katholischer Priester, welcher ein
Mädchen liebt, mit seiner Pflicht geraten muß, dadurch unendlich vertieft, daß
die Beteiligten so ganz sittliche und fromme Naturen sind, und er wird zu
wahrhaft tragischer Höhe erhoben, weil der Priester von der Bedeutung seines
Amtes eine so edle Auffassung hat, die er den unsittlichen hierarchischen Ge¬
walten gegenüber behauptet und versieht. Der Ausgang ist doppelte Entsagung,
hier siegt die Pflicht über die Leidenschaft, dort die äußere Macht über ideelles
Bestreben. Aber gerade jener Sieg erhellte uns mit dem Troste, daß dieses
Bestreben auch nicht eigentlich verloren war, und in dem Schmerze, mit dem die
ländliche Gemeinde ihren Hirten scheiden sieht, sehen wie die Bürgschaft auch
seines Sieges. Eine Gestalt von fast titanischen Kern ist dann der Wurzel-
sepp; das Unrecht, das ihm einst von einem Priester geschehen ist — der nach
den bestehenden Ordnungen doch im Rechte war —, hat die Fülle seiner Liebe
in Haß verwandelt, und nicht nur gegen jenen einen kehrt sich dieser grandiose
Haß, sondern gegen alle jene Ordnungen der gleißnerischen Welt.

Im „Meineidbauer" liegt ebenfalls ein starkes tragisches Motiv: der
falsche Eid, der den rechtmäßigen Erben um das Seine bringt, wirkt als ein
Fluch fort, der den geldstolzen, hartherzigen auf seinen Kirchenglauben pochenden
Bauern zuletzt innerlich völlig zerstört und in Wahnsinn enden läßt. Auch in
dem Roman „Der Schandfleck" werden ja tragische Probleme gestreift, wie an
dieser Stelle bereits unlängst erörtert worden ist. In andern Schauspielen und
Geschichten bewegt sich der Dichter zwar mehr in den mittleren Regionen des
Gefühlslebens, aber immer führt er uns Charaktere von reichem inneren Leben
vor, auf die wir denn bedeutsame Geschicke wirken sehen: so im „Krcnzel-
schreiber" und im „Doppelselbstmord"; dort ist es der Steinklopferhans, hier
der arme Hauderer mit seinem „Heilandsbewußtsein," der uns tiefe psychologische
Blicke in die Bauernwelt thun läßt. Selbst in den kleinen Kalendergeschichten,
die Anzengruber fast alljährlich schreibt, ist uns dies bisweilen vergönnt, und
jedenfalls wird er auch hier seinem Wunsche gerecht, „Geschichten zu schreiben.


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[0538] Unpolitische Briefe aus Wien. eignisfe und Leidenschaften künstlerisch zu gestalten; die großen Konflikte zwischen Natur und formellem Recht, Gefühl und Herkommen, Bestreben und Vorurteil vermag er erschütternd darzustellen und bisweilen harmonisch zu lösen. Von Rosegger wird man am liebsten hören, wie der einfache Holzknecht und der arme Waldschulmeister, der alte Pfarrer hoch im Gebirge und der reiche Hofbesitzer, die Großbäuerin und ihre junge Magd ihr Alltagswerk vollbringen, wie sie sich in den verschiedenen Lagen des gewöhnlichen Lebens benehmen und was sie dabei sinnen und denken. Anzengrubcr lockt uns tiefer in das Wesen des Natur¬ menschen hinein, indem er ihn auch in bedeutsamen Vorfällen, in gewal¬ tigen Schicksalen, in großen innerlichen und äußerlichen Kämpfen zu schildern versteht. Im „Pfarrer von Kirchfeld" wird der durch soviele Romane und Novellen schon trivial gewordene Zwiespalt, in den ein katholischer Priester, welcher ein Mädchen liebt, mit seiner Pflicht geraten muß, dadurch unendlich vertieft, daß die Beteiligten so ganz sittliche und fromme Naturen sind, und er wird zu wahrhaft tragischer Höhe erhoben, weil der Priester von der Bedeutung seines Amtes eine so edle Auffassung hat, die er den unsittlichen hierarchischen Ge¬ walten gegenüber behauptet und versieht. Der Ausgang ist doppelte Entsagung, hier siegt die Pflicht über die Leidenschaft, dort die äußere Macht über ideelles Bestreben. Aber gerade jener Sieg erhellte uns mit dem Troste, daß dieses Bestreben auch nicht eigentlich verloren war, und in dem Schmerze, mit dem die ländliche Gemeinde ihren Hirten scheiden sieht, sehen wie die Bürgschaft auch seines Sieges. Eine Gestalt von fast titanischen Kern ist dann der Wurzel- sepp; das Unrecht, das ihm einst von einem Priester geschehen ist — der nach den bestehenden Ordnungen doch im Rechte war —, hat die Fülle seiner Liebe in Haß verwandelt, und nicht nur gegen jenen einen kehrt sich dieser grandiose Haß, sondern gegen alle jene Ordnungen der gleißnerischen Welt. Im „Meineidbauer" liegt ebenfalls ein starkes tragisches Motiv: der falsche Eid, der den rechtmäßigen Erben um das Seine bringt, wirkt als ein Fluch fort, der den geldstolzen, hartherzigen auf seinen Kirchenglauben pochenden Bauern zuletzt innerlich völlig zerstört und in Wahnsinn enden läßt. Auch in dem Roman „Der Schandfleck" werden ja tragische Probleme gestreift, wie an dieser Stelle bereits unlängst erörtert worden ist. In andern Schauspielen und Geschichten bewegt sich der Dichter zwar mehr in den mittleren Regionen des Gefühlslebens, aber immer führt er uns Charaktere von reichem inneren Leben vor, auf die wir denn bedeutsame Geschicke wirken sehen: so im „Krcnzel- schreiber" und im „Doppelselbstmord"; dort ist es der Steinklopferhans, hier der arme Hauderer mit seinem „Heilandsbewußtsein," der uns tiefe psychologische Blicke in die Bauernwelt thun läßt. Selbst in den kleinen Kalendergeschichten, die Anzengruber fast alljährlich schreibt, ist uns dies bisweilen vergönnt, und jedenfalls wird er auch hier seinem Wunsche gerecht, „Geschichten zu schreiben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/538>, abgerufen am 25.08.2024.