Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.Unpolitische Briefe aus Wien. darum, wenn er nur einmal mit ihr wieder reden könnte, aber auch den Helm
Ein andermal hören wir einen jungen Krieger vor seinem Zelt darüber nach¬ Muß ich unter fremdem Himmel Am schönsten ist das Lied von der Schäferin, die gern ein Knabe sein
Freilich auch den ungesunden Tendenzen, welche sich in der deutschen Literatur Unpolitische Briefe aus Wien. darum, wenn er nur einmal mit ihr wieder reden könnte, aber auch den Helm
Ein andermal hören wir einen jungen Krieger vor seinem Zelt darüber nach¬ Muß ich unter fremdem Himmel Am schönsten ist das Lied von der Schäferin, die gern ein Knabe sein
Freilich auch den ungesunden Tendenzen, welche sich in der deutschen Literatur <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0536" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/195212"/> <fw type="header" place="top"> Unpolitische Briefe aus Wien.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1968" prev="#ID_1967"> darum, wenn er nur einmal mit ihr wieder reden könnte, aber auch den Helm<lb/> und die Sporen, „könnt' er sie küssen still allein." Dann erinnert er sich des<lb/> Abschieds:</p><lb/> <quote> <p xml:id="ID_1969"> Als ich zum lichten bei ihr war,</p> <p xml:id="ID_1970"> Da bot sie mir zu trinken;</p> <p xml:id="ID_1971"> Mit ihren braunen Äugelein</p> <p xml:id="ID_1972"> That sie mir freundlich winken, ja — winken.</p> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1973"> Ein andermal hören wir einen jungen Krieger vor seinem Zelt darüber nach¬<lb/> sinnen: er hat seinen Schatz verlassen, aber es ist ihm doch keine Schande.<lb/> „Geliebtes Österreich" ist der Abschiedsgruß eines Ausziehenden betitelt, der<lb/> also ausklingt:</p><lb/> <quote> Muß ich unter fremdem Himmel<lb/> Schlafen in der Feldschlacht ein:<lb/> Ach von Östreichs schönen Auen,<lb/> Die ich immer durfte schauen,<lb/> Wird im Grab mein Träumen sein.</quote><lb/> <p xml:id="ID_1974"> Am schönsten ist das Lied von der Schäferin, die gern ein Knabe sein<lb/> möchte, um ihrem Liebsten in die weite Welt folgen zu können; auch dies<lb/> Motiv ist ja nicht neu, aber wie lieblich ist es hier variirt!</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_12" type="poem"> <l> Hat sie mein Vater verrauschet<lb/> Des Nachts am Kartentisch,<lb/> Fahr wohl, du Traum von Liebe,<lb/> Du Reiter jung und frisch!</l> <l> Ach Mutter, liebste Mutter,<lb/> Den Reiter muß ich frei'n,<lb/> Gieb mir dreihundert Gulden<lb/> Und Kleider weiß und fein.</l><lb/> <l> Ach Tochter, liebste Tochter<lb/> Der Gulden sind nicht viel;<lb/> Dein Bater hat sie verrauschet<lb/> Bei Würfel- und Kartenspiel.</l> <l> So muß ich wieder hüten<lb/> Die Schaf im grünen Klee. —<lb/> Dort fahren mit fliegenden Fcchueu<lb/> Soldaten über den See!</l><lb/> <l> Ach wär' ich ein Knabe geboren,<lb/> Ich lief in die weite Welt,<lb/> Ich schlüge dein Kaiser die Trommel,<lb/> Verdiente dem Kaiser sein Geld! . . .</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1975" next="#ID_1976"> Freilich auch den ungesunden Tendenzen, welche sich in der deutschen Literatur<lb/> während der letzten Dezennien vielfach breitgemacht haben und welche natur¬<lb/> gemäß auch nach Österreich herüberwirkten, konnte Julius von der Traun nicht<lb/> ganz fremd bleiben. In der „Schönen Helena von Malchin" begegnen wir dem<lb/> unvermeidlichen Faustproblem, und auch in dem „Geiger von Absam" und in<lb/> den „Goldschmiedskindern" wird das heute so beliebte Thema — der Kampf<lb/> zwischen den Anforderungen der Pflicht und dem Drange nach Genuß — aufs<lb/> neue variirt. Traums Helden folgen meist den ersteren, aber glücklich werden<lb/> sie darum nicht, durch ihr ferneres Leben geht ein Bruch, der den Geiger von<lb/> Absam zum stillen Wahnsinn führt, den jungen Goldschmied aber mit tiefer<lb/> Schwermut erfüllt, die er nicht wieder abzuschütteln vermag. Im historischen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0536]
Unpolitische Briefe aus Wien.
darum, wenn er nur einmal mit ihr wieder reden könnte, aber auch den Helm
und die Sporen, „könnt' er sie küssen still allein." Dann erinnert er sich des
Abschieds:
Als ich zum lichten bei ihr war,
Da bot sie mir zu trinken;
Mit ihren braunen Äugelein
That sie mir freundlich winken, ja — winken.
Ein andermal hören wir einen jungen Krieger vor seinem Zelt darüber nach¬
sinnen: er hat seinen Schatz verlassen, aber es ist ihm doch keine Schande.
„Geliebtes Österreich" ist der Abschiedsgruß eines Ausziehenden betitelt, der
also ausklingt:
Muß ich unter fremdem Himmel
Schlafen in der Feldschlacht ein:
Ach von Östreichs schönen Auen,
Die ich immer durfte schauen,
Wird im Grab mein Träumen sein.
Am schönsten ist das Lied von der Schäferin, die gern ein Knabe sein
möchte, um ihrem Liebsten in die weite Welt folgen zu können; auch dies
Motiv ist ja nicht neu, aber wie lieblich ist es hier variirt!
Hat sie mein Vater verrauschet
Des Nachts am Kartentisch,
Fahr wohl, du Traum von Liebe,
Du Reiter jung und frisch! Ach Mutter, liebste Mutter,
Den Reiter muß ich frei'n,
Gieb mir dreihundert Gulden
Und Kleider weiß und fein.
Ach Tochter, liebste Tochter
Der Gulden sind nicht viel;
Dein Bater hat sie verrauschet
Bei Würfel- und Kartenspiel. So muß ich wieder hüten
Die Schaf im grünen Klee. —
Dort fahren mit fliegenden Fcchueu
Soldaten über den See!
Ach wär' ich ein Knabe geboren,
Ich lief in die weite Welt,
Ich schlüge dein Kaiser die Trommel,
Verdiente dem Kaiser sein Geld! . . .
Freilich auch den ungesunden Tendenzen, welche sich in der deutschen Literatur
während der letzten Dezennien vielfach breitgemacht haben und welche natur¬
gemäß auch nach Österreich herüberwirkten, konnte Julius von der Traun nicht
ganz fremd bleiben. In der „Schönen Helena von Malchin" begegnen wir dem
unvermeidlichen Faustproblem, und auch in dem „Geiger von Absam" und in
den „Goldschmiedskindern" wird das heute so beliebte Thema — der Kampf
zwischen den Anforderungen der Pflicht und dem Drange nach Genuß — aufs
neue variirt. Traums Helden folgen meist den ersteren, aber glücklich werden
sie darum nicht, durch ihr ferneres Leben geht ein Bruch, der den Geiger von
Absam zum stillen Wahnsinn führt, den jungen Goldschmied aber mit tiefer
Schwermut erfüllt, die er nicht wieder abzuschütteln vermag. Im historischen
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