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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Unpolitische Briefe aus Wien.

freute und die naive Innigkeit der mittelalterlichen Dichter Österreichs wieder
anflehten. Als fahrender Sänger tritt er da auf, dessen Lied einer stolzen
Schloßfrau gilt, die vergebens auf ihre festen Türme und die Breite des
Grabens, über welchen keine Brücke führt, vertraut; er rühmt sich seiner treuen
Liebe, die alle diese Hindernisse besiegen wird. Dann aber erscheint er wieder
als Bittender auf der Schwelle des Hauses, wo die Geliebte wohnt; wie sie
ihn erblickt, wünscht er alles Gute, dann bittet er um Abendbrot. In ein lieb¬
liches Städtchen zieht er als Wandersmann ein und denkt da zu wohnen, da
erzählen ihm Knaben und Mädchen, daß sie es verlassen hat, und er muß
wieder weiter irren. Im einsamen Walde, nach beendeter Jagd, wenn das Wild
sich verkrochen und alles in tiefer Stille liegt, stoßt er ins Horn, daß die Töne
wie Hirsche vor dem Bellen hinfliehen über die Wiesen, der Vielgeliebten fernes
Haus zu suchen. Die Sehnsucht nach dem Entfernten, die Wehmut des Scheidens,
den Schmerz um den Abgeschiedenen weiß er aufs rührendste zu schildern --
ohne alle rhetorischen Mittel, bloß durch ein flüchtig angedeutetes Bild, einen
rasch vibrirenden Ton. Die Poesie des Waidwerkes ist ihm wie kaum einem
andern modernen Dichter aufgegangen, er besiegt den Edelhirsch immer wieder,
der ihn im tiefen Forst des Lebens rechte Kunst gelehrt; er warnt ihn vor
den Jägern, wenn er im friedlichen Gehege ruht; er folgt ihm auf seinem atem¬
loser Lauf, wenn er aufgestört aus seinem Frieden vor der Meute flieht, und
sieht in des Tieres Geschick sein eignes Dasein sich spiegeln. Ein andres Motiv,
das Julius von der Traun mit Virtuosität behandelt, ist der Posthornklang:
einmal fleht er ihn an, er möge ihn auf seinem Zuge ins ferne Thal tragen,
zu jener alten Stadt, wo ihn einst sein Liebchen erwartet; wo immer er auf
weltvergessenen Straßen die trauten Töne vernimmt, hört er die goldnen Wogen
seiner Jugend rauschen. Gerne knüpfen seine Bilder an ein bestimmtes Lokal
an, die Sagen der Heimat geben so manchen Vorwurf für seine Lieder. Dann
kann er auch fromm sein wie die Dichter der guten alten Zeit, ja es der Gegen¬
wart vorwerfen, daß sie den Gott unsrer Väter vergessen. Wenn er hie und
da Anwandlungen von materialistischen Zweifelmut sich nicht ganz entziehen
kann, so bricht doch wieder selbst auf Gräbern und Ruinen inbrünstiges Hoffen
aus seiner Seele und erhebt ihn über das Irdische. Politische Schlagwörter
des Tages trifft man in seiner Lyrik nicht, wenn er es auch nicht vermeiden
kann, mitunter schneidige Kampfesweisen gegen die Überhebungen der Klerisei
und des Feudalismus anzustimmen. Soldat ist er nie gewesen, aber in seinen
"Soldatenliedern," die den "Nosenegger Romanzen" folgten, vernehmen wir
doch einen Nachhall aus dein Radetztyschen Feldlager, von dem Grillparzer das
berühmte Wort gesprochen, dort sei Österreich selber. Die Motive sind wieder
die uralten des Volksliedes. Da ist der Kürassier, der zu Temesvar liegen
wuß, während er doch "ein Mädchen hübsch und fein" zu Linz am Donau¬
strande weiß; er gäbe seinen Küraß und sein Pferd und alle seine Gulden


Unpolitische Briefe aus Wien.

freute und die naive Innigkeit der mittelalterlichen Dichter Österreichs wieder
anflehten. Als fahrender Sänger tritt er da auf, dessen Lied einer stolzen
Schloßfrau gilt, die vergebens auf ihre festen Türme und die Breite des
Grabens, über welchen keine Brücke führt, vertraut; er rühmt sich seiner treuen
Liebe, die alle diese Hindernisse besiegen wird. Dann aber erscheint er wieder
als Bittender auf der Schwelle des Hauses, wo die Geliebte wohnt; wie sie
ihn erblickt, wünscht er alles Gute, dann bittet er um Abendbrot. In ein lieb¬
liches Städtchen zieht er als Wandersmann ein und denkt da zu wohnen, da
erzählen ihm Knaben und Mädchen, daß sie es verlassen hat, und er muß
wieder weiter irren. Im einsamen Walde, nach beendeter Jagd, wenn das Wild
sich verkrochen und alles in tiefer Stille liegt, stoßt er ins Horn, daß die Töne
wie Hirsche vor dem Bellen hinfliehen über die Wiesen, der Vielgeliebten fernes
Haus zu suchen. Die Sehnsucht nach dem Entfernten, die Wehmut des Scheidens,
den Schmerz um den Abgeschiedenen weiß er aufs rührendste zu schildern —
ohne alle rhetorischen Mittel, bloß durch ein flüchtig angedeutetes Bild, einen
rasch vibrirenden Ton. Die Poesie des Waidwerkes ist ihm wie kaum einem
andern modernen Dichter aufgegangen, er besiegt den Edelhirsch immer wieder,
der ihn im tiefen Forst des Lebens rechte Kunst gelehrt; er warnt ihn vor
den Jägern, wenn er im friedlichen Gehege ruht; er folgt ihm auf seinem atem¬
loser Lauf, wenn er aufgestört aus seinem Frieden vor der Meute flieht, und
sieht in des Tieres Geschick sein eignes Dasein sich spiegeln. Ein andres Motiv,
das Julius von der Traun mit Virtuosität behandelt, ist der Posthornklang:
einmal fleht er ihn an, er möge ihn auf seinem Zuge ins ferne Thal tragen,
zu jener alten Stadt, wo ihn einst sein Liebchen erwartet; wo immer er auf
weltvergessenen Straßen die trauten Töne vernimmt, hört er die goldnen Wogen
seiner Jugend rauschen. Gerne knüpfen seine Bilder an ein bestimmtes Lokal
an, die Sagen der Heimat geben so manchen Vorwurf für seine Lieder. Dann
kann er auch fromm sein wie die Dichter der guten alten Zeit, ja es der Gegen¬
wart vorwerfen, daß sie den Gott unsrer Väter vergessen. Wenn er hie und
da Anwandlungen von materialistischen Zweifelmut sich nicht ganz entziehen
kann, so bricht doch wieder selbst auf Gräbern und Ruinen inbrünstiges Hoffen
aus seiner Seele und erhebt ihn über das Irdische. Politische Schlagwörter
des Tages trifft man in seiner Lyrik nicht, wenn er es auch nicht vermeiden
kann, mitunter schneidige Kampfesweisen gegen die Überhebungen der Klerisei
und des Feudalismus anzustimmen. Soldat ist er nie gewesen, aber in seinen
»Soldatenliedern," die den „Nosenegger Romanzen" folgten, vernehmen wir
doch einen Nachhall aus dein Radetztyschen Feldlager, von dem Grillparzer das
berühmte Wort gesprochen, dort sei Österreich selber. Die Motive sind wieder
die uralten des Volksliedes. Da ist der Kürassier, der zu Temesvar liegen
wuß, während er doch „ein Mädchen hübsch und fein" zu Linz am Donau¬
strande weiß; er gäbe seinen Küraß und sein Pferd und alle seine Gulden


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[0535] Unpolitische Briefe aus Wien. freute und die naive Innigkeit der mittelalterlichen Dichter Österreichs wieder anflehten. Als fahrender Sänger tritt er da auf, dessen Lied einer stolzen Schloßfrau gilt, die vergebens auf ihre festen Türme und die Breite des Grabens, über welchen keine Brücke führt, vertraut; er rühmt sich seiner treuen Liebe, die alle diese Hindernisse besiegen wird. Dann aber erscheint er wieder als Bittender auf der Schwelle des Hauses, wo die Geliebte wohnt; wie sie ihn erblickt, wünscht er alles Gute, dann bittet er um Abendbrot. In ein lieb¬ liches Städtchen zieht er als Wandersmann ein und denkt da zu wohnen, da erzählen ihm Knaben und Mädchen, daß sie es verlassen hat, und er muß wieder weiter irren. Im einsamen Walde, nach beendeter Jagd, wenn das Wild sich verkrochen und alles in tiefer Stille liegt, stoßt er ins Horn, daß die Töne wie Hirsche vor dem Bellen hinfliehen über die Wiesen, der Vielgeliebten fernes Haus zu suchen. Die Sehnsucht nach dem Entfernten, die Wehmut des Scheidens, den Schmerz um den Abgeschiedenen weiß er aufs rührendste zu schildern — ohne alle rhetorischen Mittel, bloß durch ein flüchtig angedeutetes Bild, einen rasch vibrirenden Ton. Die Poesie des Waidwerkes ist ihm wie kaum einem andern modernen Dichter aufgegangen, er besiegt den Edelhirsch immer wieder, der ihn im tiefen Forst des Lebens rechte Kunst gelehrt; er warnt ihn vor den Jägern, wenn er im friedlichen Gehege ruht; er folgt ihm auf seinem atem¬ loser Lauf, wenn er aufgestört aus seinem Frieden vor der Meute flieht, und sieht in des Tieres Geschick sein eignes Dasein sich spiegeln. Ein andres Motiv, das Julius von der Traun mit Virtuosität behandelt, ist der Posthornklang: einmal fleht er ihn an, er möge ihn auf seinem Zuge ins ferne Thal tragen, zu jener alten Stadt, wo ihn einst sein Liebchen erwartet; wo immer er auf weltvergessenen Straßen die trauten Töne vernimmt, hört er die goldnen Wogen seiner Jugend rauschen. Gerne knüpfen seine Bilder an ein bestimmtes Lokal an, die Sagen der Heimat geben so manchen Vorwurf für seine Lieder. Dann kann er auch fromm sein wie die Dichter der guten alten Zeit, ja es der Gegen¬ wart vorwerfen, daß sie den Gott unsrer Väter vergessen. Wenn er hie und da Anwandlungen von materialistischen Zweifelmut sich nicht ganz entziehen kann, so bricht doch wieder selbst auf Gräbern und Ruinen inbrünstiges Hoffen aus seiner Seele und erhebt ihn über das Irdische. Politische Schlagwörter des Tages trifft man in seiner Lyrik nicht, wenn er es auch nicht vermeiden kann, mitunter schneidige Kampfesweisen gegen die Überhebungen der Klerisei und des Feudalismus anzustimmen. Soldat ist er nie gewesen, aber in seinen »Soldatenliedern," die den „Nosenegger Romanzen" folgten, vernehmen wir doch einen Nachhall aus dein Radetztyschen Feldlager, von dem Grillparzer das berühmte Wort gesprochen, dort sei Österreich selber. Die Motive sind wieder die uralten des Volksliedes. Da ist der Kürassier, der zu Temesvar liegen wuß, während er doch „ein Mädchen hübsch und fein" zu Linz am Donau¬ strande weiß; er gäbe seinen Küraß und sein Pferd und alle seine Gulden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/535>, abgerufen am 23.07.2024.