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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Aus dem Jahre ^3^3.

Außerdem gab es aber auch noch eine, wenn auch kleine, so doch sehr
rührige Schaar eigentlicher Wühler und Verschwörer, die in bewußter Absicht
auf deu Umsturz hinarbeiteten und kein Mittel scheuten. Ihre Brandschriften
fanden namentlich von der Schweiz aus auf den verschiedensten Wegen Eingang
in Deutschland und weite Verbreitung. Sie unterhielten die Verbindung mit
den Anarchisten der andern Ländern und arbeiteten mit ihnen auf gemeinsame
Ziele hin und nach gemeinsamem Plane, und wenn es darauf ankam, so standen
auch Geldmittel zu ihrer Verfügung, die sie für ihre Zwecke verwenden konnten.
In den Märztagen soll in Berlin mancher Tumult von bezahlten Leuten ar-
rangirt worden sein.

Allen diesen niederreißenden Kräften gegenüber stand aber für die Erhal¬
tung der alten Ordnung fast niemand anders ein als die Regierungen, und sie
hatten dem herandringenden Sturme gegenüber keine andern Waffen als polizei¬
liche Maßregeln. Vergeblich hatte Viktor Aime Huber in mehreren schon im
Anfange der vierziger Jahre geschriebenen Broschüren darauf hingewiesen, wie
es nötig sei, daß alle erhaltenden Kräfte des Staates sich zu thätigem Handeln
zusammenschlossen, daß die Regierungen in ihrer Jsolirung dem Kampfe auf die
Länge der Zeit nicht gewachsen bleiben würden, und daß sich eine selbständige
konservative Partei bilden müsse; sein Kassandraruf war unerhört verklungen.
Die vereinzelten Versuche, eine selbständige konservative Tagespresse zu schaffen,
waren bis dahin fast vollständig mißlungen.

Die Folge dieser Zustände war. daß mit dem Augenblicke, in welchem die
Macht der Regierungen und ihr Vertrauen auf sich selbst zu schwinden begann,
und ihre Waffen sich als wirkungslos erwiesen, nirgends ein andrer Halt vor¬
handen war, sondern daß sich die unzufriedenen Schaaren und die Neuerer des
Staatsruders rücksichtslos bemächtigen konnten. Das ist eine der großen
Lehren, welche uns das Jahr 1848 mit Blut eingeprägt hat, daß es nicht gut
thut, wenn in einer von politischen Bestrebungen beherrschten Zeit die Staats¬
gewalt den Kampf für Recht und Ordnung allein führen muß, sondern daß sie
der Vuudesgenossenschaft von Parteien bedarf, die aus Überzeugung und im
eignen Interesse und mit der nötigen Freiheit und Selbständigkeit dieselben
Feinde bekämpfen.

Alle diese Umstände erklären aber doch noch nicht allein den wunderbar
schnellen Wechsel, der in den Märztagen eintrat, und den furchtbar tiefen Fall,
den unser Staatswesen damals that; es muß noch ein Moment in Rechnung
gezogen werden. Viele werden es den Zufall, das Verhängnis nennen, besser
wird man es als besondre göttliche Führung und Zulassung bezeichnen. Schon
daß das Wetter in jenen ersten Frühlingstagen so außerordentlich schön war, ist
eine solche Fügung. In Paris würde das Reformbankett am 22. Februar einen
ganz andern Charakter gehabt haben, hätte Nebel und Schnee die Menschen-
Massen in ihren Häusern festgehalten; wäre das schöne Wetter nicht mit dem


Aus dem Jahre ^3^3.

Außerdem gab es aber auch noch eine, wenn auch kleine, so doch sehr
rührige Schaar eigentlicher Wühler und Verschwörer, die in bewußter Absicht
auf deu Umsturz hinarbeiteten und kein Mittel scheuten. Ihre Brandschriften
fanden namentlich von der Schweiz aus auf den verschiedensten Wegen Eingang
in Deutschland und weite Verbreitung. Sie unterhielten die Verbindung mit
den Anarchisten der andern Ländern und arbeiteten mit ihnen auf gemeinsame
Ziele hin und nach gemeinsamem Plane, und wenn es darauf ankam, so standen
auch Geldmittel zu ihrer Verfügung, die sie für ihre Zwecke verwenden konnten.
In den Märztagen soll in Berlin mancher Tumult von bezahlten Leuten ar-
rangirt worden sein.

Allen diesen niederreißenden Kräften gegenüber stand aber für die Erhal¬
tung der alten Ordnung fast niemand anders ein als die Regierungen, und sie
hatten dem herandringenden Sturme gegenüber keine andern Waffen als polizei¬
liche Maßregeln. Vergeblich hatte Viktor Aime Huber in mehreren schon im
Anfange der vierziger Jahre geschriebenen Broschüren darauf hingewiesen, wie
es nötig sei, daß alle erhaltenden Kräfte des Staates sich zu thätigem Handeln
zusammenschlossen, daß die Regierungen in ihrer Jsolirung dem Kampfe auf die
Länge der Zeit nicht gewachsen bleiben würden, und daß sich eine selbständige
konservative Partei bilden müsse; sein Kassandraruf war unerhört verklungen.
Die vereinzelten Versuche, eine selbständige konservative Tagespresse zu schaffen,
waren bis dahin fast vollständig mißlungen.

Die Folge dieser Zustände war. daß mit dem Augenblicke, in welchem die
Macht der Regierungen und ihr Vertrauen auf sich selbst zu schwinden begann,
und ihre Waffen sich als wirkungslos erwiesen, nirgends ein andrer Halt vor¬
handen war, sondern daß sich die unzufriedenen Schaaren und die Neuerer des
Staatsruders rücksichtslos bemächtigen konnten. Das ist eine der großen
Lehren, welche uns das Jahr 1848 mit Blut eingeprägt hat, daß es nicht gut
thut, wenn in einer von politischen Bestrebungen beherrschten Zeit die Staats¬
gewalt den Kampf für Recht und Ordnung allein führen muß, sondern daß sie
der Vuudesgenossenschaft von Parteien bedarf, die aus Überzeugung und im
eignen Interesse und mit der nötigen Freiheit und Selbständigkeit dieselben
Feinde bekämpfen.

Alle diese Umstände erklären aber doch noch nicht allein den wunderbar
schnellen Wechsel, der in den Märztagen eintrat, und den furchtbar tiefen Fall,
den unser Staatswesen damals that; es muß noch ein Moment in Rechnung
gezogen werden. Viele werden es den Zufall, das Verhängnis nennen, besser
wird man es als besondre göttliche Führung und Zulassung bezeichnen. Schon
daß das Wetter in jenen ersten Frühlingstagen so außerordentlich schön war, ist
eine solche Fügung. In Paris würde das Reformbankett am 22. Februar einen
ganz andern Charakter gehabt haben, hätte Nebel und Schnee die Menschen-
Massen in ihren Häusern festgehalten; wäre das schöne Wetter nicht mit dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/523>, abgerufen am 26.06.2024.