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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Aus dem I"hre ^g^g.

Revolutionslärm über den Rhein gezogen, mancher Pulses wäre unterblieben,
und namentlich in Berlin waren es die wunderbar milden Mondscheinabende,
an denen es der Menge eine Lust war, stundenlang die ausrückenden Truppen
anzusehen, und an denen sich allmählich durch Neckereien von der einen Seite
und durch das nicht immer verständige und maßvolle Zurückweisen derselben von
der andern Seite eine Flut von Erbitterung sammelte, welche die Katastrophe
nachher beschleunigte und verstärkte. Und hätte am 18. März, an dem die
Frühlingssonne so hell und warm schien, ein tüchtiger Regen die zusammen¬
geströmten Schaaren vom Schloßplatze getrieben, es hätte des Ausrückens der
Truppen zu seiner Räumung nicht bedurft, und das unglückliche sogenannte Mi߬
verständnis und der sich daran knüpfende Kampf und der tiefe Fall Preußens
und weiter als Folge davon der trostlose Verlauf der deutschen Bewegung --
alles wäre nach menschlichem Berechnen vermieden worden.

Auch sonst noch hat der böse Zufall manches Feuer geschürt und manchen
Funken, der sonst vielleicht erstickt wäre, zum hellen Aufflammen gebracht. Hie
und da ging ein Gewehr los, wo nicht geschossen werden sollte, von unter¬
geordneter Stelle erfolgten verkehrte Befehle, wichtige Anordnungen kamen nicht
rechtzeitig an, und alles ging anders, als es sollte. Noch wunderbarer war oft
die plötzliche Wandlung in dem Denken und Fühlen der Menschen, für die man
vergeblich nach einem äußern Grunde sucht und die es einem verständlich macht,
wenn schon Homer davon singt, daß ein Gott die Gedanken der Menschen plötz¬
lich verwandelt und ihre Sinne umstrickt habe. Ich habe nie im Leben wieder
auch nur annähernd solchen wunderbaren Wechsel in der Stimmung von Men¬
schen erlebt, wie an jenem 18. März in Berlin. Ich will nur einige Beispiele
anführen.

Am Abend zuvor war eine Schaar Studenten, die das Friedensamt von
Schutzverordneten übernommen hatten, mit der Berliner Schützengilde zusammen
im Gebäude der Akademie stationirt, um von dort aus mit Ermächtigung der
Behörden die Ordnung in den benachbarten Stadtteilen aufrecht zu erhalten
und womöglich die Reibereien zwischen dem Pöbel und dem Militär zu ver¬
hindern. Die Arbeit war an diesem Abend leicht, denn es war rauhes Wetter
und die Straßen zum erstenmale wieder fast ter. Aber im Stillen gährte es
fort; die Umsturzmänner, die sich durch auswärtigen Zuzug verstärkt hatten,
plänkelt an den für den folgenden Tag beabsichtigten Demonstrationen und
waren geschäftig, schlimme Gerüchte zu verbreiten und dadurch die Aufregung
zu mehren. Da sollte das Volk in Dresden den Thron verbrannt haben, am
Rhein die Republik erklärt und der Anschluß an Frankreich beschlossen, der
Kurfürst von Hessen verjagt worden sein, und noch vieles andre. Mir, der ich
eine Führerstelle unter den Studenten einnahm, waren diese Nachrichten brüh¬
warm zugetragen worden, als ich zum Rapport im Hauptquartier der Studenten
auf der Universität gewesen war, aber ich hatte sie für mich behalten, solange


Aus dem I«hre ^g^g.

Revolutionslärm über den Rhein gezogen, mancher Pulses wäre unterblieben,
und namentlich in Berlin waren es die wunderbar milden Mondscheinabende,
an denen es der Menge eine Lust war, stundenlang die ausrückenden Truppen
anzusehen, und an denen sich allmählich durch Neckereien von der einen Seite
und durch das nicht immer verständige und maßvolle Zurückweisen derselben von
der andern Seite eine Flut von Erbitterung sammelte, welche die Katastrophe
nachher beschleunigte und verstärkte. Und hätte am 18. März, an dem die
Frühlingssonne so hell und warm schien, ein tüchtiger Regen die zusammen¬
geströmten Schaaren vom Schloßplatze getrieben, es hätte des Ausrückens der
Truppen zu seiner Räumung nicht bedurft, und das unglückliche sogenannte Mi߬
verständnis und der sich daran knüpfende Kampf und der tiefe Fall Preußens
und weiter als Folge davon der trostlose Verlauf der deutschen Bewegung —
alles wäre nach menschlichem Berechnen vermieden worden.

Auch sonst noch hat der böse Zufall manches Feuer geschürt und manchen
Funken, der sonst vielleicht erstickt wäre, zum hellen Aufflammen gebracht. Hie
und da ging ein Gewehr los, wo nicht geschossen werden sollte, von unter¬
geordneter Stelle erfolgten verkehrte Befehle, wichtige Anordnungen kamen nicht
rechtzeitig an, und alles ging anders, als es sollte. Noch wunderbarer war oft
die plötzliche Wandlung in dem Denken und Fühlen der Menschen, für die man
vergeblich nach einem äußern Grunde sucht und die es einem verständlich macht,
wenn schon Homer davon singt, daß ein Gott die Gedanken der Menschen plötz¬
lich verwandelt und ihre Sinne umstrickt habe. Ich habe nie im Leben wieder
auch nur annähernd solchen wunderbaren Wechsel in der Stimmung von Men¬
schen erlebt, wie an jenem 18. März in Berlin. Ich will nur einige Beispiele
anführen.

Am Abend zuvor war eine Schaar Studenten, die das Friedensamt von
Schutzverordneten übernommen hatten, mit der Berliner Schützengilde zusammen
im Gebäude der Akademie stationirt, um von dort aus mit Ermächtigung der
Behörden die Ordnung in den benachbarten Stadtteilen aufrecht zu erhalten
und womöglich die Reibereien zwischen dem Pöbel und dem Militär zu ver¬
hindern. Die Arbeit war an diesem Abend leicht, denn es war rauhes Wetter
und die Straßen zum erstenmale wieder fast ter. Aber im Stillen gährte es
fort; die Umsturzmänner, die sich durch auswärtigen Zuzug verstärkt hatten,
plänkelt an den für den folgenden Tag beabsichtigten Demonstrationen und
waren geschäftig, schlimme Gerüchte zu verbreiten und dadurch die Aufregung
zu mehren. Da sollte das Volk in Dresden den Thron verbrannt haben, am
Rhein die Republik erklärt und der Anschluß an Frankreich beschlossen, der
Kurfürst von Hessen verjagt worden sein, und noch vieles andre. Mir, der ich
eine Führerstelle unter den Studenten einnahm, waren diese Nachrichten brüh¬
warm zugetragen worden, als ich zum Rapport im Hauptquartier der Studenten
auf der Universität gewesen war, aber ich hatte sie für mich behalten, solange


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[0524] Aus dem I«hre ^g^g. Revolutionslärm über den Rhein gezogen, mancher Pulses wäre unterblieben, und namentlich in Berlin waren es die wunderbar milden Mondscheinabende, an denen es der Menge eine Lust war, stundenlang die ausrückenden Truppen anzusehen, und an denen sich allmählich durch Neckereien von der einen Seite und durch das nicht immer verständige und maßvolle Zurückweisen derselben von der andern Seite eine Flut von Erbitterung sammelte, welche die Katastrophe nachher beschleunigte und verstärkte. Und hätte am 18. März, an dem die Frühlingssonne so hell und warm schien, ein tüchtiger Regen die zusammen¬ geströmten Schaaren vom Schloßplatze getrieben, es hätte des Ausrückens der Truppen zu seiner Räumung nicht bedurft, und das unglückliche sogenannte Mi߬ verständnis und der sich daran knüpfende Kampf und der tiefe Fall Preußens und weiter als Folge davon der trostlose Verlauf der deutschen Bewegung — alles wäre nach menschlichem Berechnen vermieden worden. Auch sonst noch hat der böse Zufall manches Feuer geschürt und manchen Funken, der sonst vielleicht erstickt wäre, zum hellen Aufflammen gebracht. Hie und da ging ein Gewehr los, wo nicht geschossen werden sollte, von unter¬ geordneter Stelle erfolgten verkehrte Befehle, wichtige Anordnungen kamen nicht rechtzeitig an, und alles ging anders, als es sollte. Noch wunderbarer war oft die plötzliche Wandlung in dem Denken und Fühlen der Menschen, für die man vergeblich nach einem äußern Grunde sucht und die es einem verständlich macht, wenn schon Homer davon singt, daß ein Gott die Gedanken der Menschen plötz¬ lich verwandelt und ihre Sinne umstrickt habe. Ich habe nie im Leben wieder auch nur annähernd solchen wunderbaren Wechsel in der Stimmung von Men¬ schen erlebt, wie an jenem 18. März in Berlin. Ich will nur einige Beispiele anführen. Am Abend zuvor war eine Schaar Studenten, die das Friedensamt von Schutzverordneten übernommen hatten, mit der Berliner Schützengilde zusammen im Gebäude der Akademie stationirt, um von dort aus mit Ermächtigung der Behörden die Ordnung in den benachbarten Stadtteilen aufrecht zu erhalten und womöglich die Reibereien zwischen dem Pöbel und dem Militär zu ver¬ hindern. Die Arbeit war an diesem Abend leicht, denn es war rauhes Wetter und die Straßen zum erstenmale wieder fast ter. Aber im Stillen gährte es fort; die Umsturzmänner, die sich durch auswärtigen Zuzug verstärkt hatten, plänkelt an den für den folgenden Tag beabsichtigten Demonstrationen und waren geschäftig, schlimme Gerüchte zu verbreiten und dadurch die Aufregung zu mehren. Da sollte das Volk in Dresden den Thron verbrannt haben, am Rhein die Republik erklärt und der Anschluß an Frankreich beschlossen, der Kurfürst von Hessen verjagt worden sein, und noch vieles andre. Mir, der ich eine Führerstelle unter den Studenten einnahm, waren diese Nachrichten brüh¬ warm zugetragen worden, als ich zum Rapport im Hauptquartier der Studenten auf der Universität gewesen war, aber ich hatte sie für mich behalten, solange

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/524>, abgerufen am 18.06.2024.