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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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F. M. Dostojewsky.

Lebkuchen und Zuckerwerk gekauft und verteilt; er konnte nicht an ihnen vorüber¬
gehen, ohne daß seine Seele erbebte, . . . Meine Freunde, bittet Gott um
Fröhlichkeit, Seid heiter wie die Kinder und die Vöglein des Himmels."
(II, 202 bis 204,)

Der ganze Dostojewski.) spiegelt sich in diesen Worten; was er hier als
Gebote hinstellt, das führt er als Künstler, und zwar als ein Dichter ersten
Ranges, in seinem Roman aus: er schildert Kinder z, B. mit hinreißender
Wärme. Wollte man indes aus diesen mit großer Virtuosität den Ton mittel¬
alterlicher Mystiker nachahmenden Fragmenten den Schluß auf ein orthodoxes
Christentum als Glaubensbekenntnis Dostojewskys machen, so würde man sehr
irren. Vielmehr ist er ein Gegner alles absolutistischen, autoritativen Kirchen-
tums, ein Gegner, der an satirischer Kraft den größten Geistern, welche für die
Freiheit des Gewissens gestritten haben, füglich gleichgestellt werden kann. In
nichts weniger als in mönchischer, thatenloser Beschaulichkeit und Askese erkennt
er sein Lebensideal: den Vertreter seiner Ideale, eben jenen obenerwähnten
Alexci, den jüngsten der drei Brüder Karamasow, läßt er von seinem Lehrer,
dem Weisen Svssima, selbst aus dem Kloster in die Welt schicken, dort seinen
Beruf zu erfüllen. In sarkastischer Weise geißelt er den Unfug des Einsiedler-
tums durch einige lächerliche Gestalten; er macht sich lustig über den Heiligen¬
kultus, und eins der ergötzlichsten Kapitel im Roman ist jenes, welches die
Enttäuschung des abergläubischen Volkes schildert, als der Wohlgeruch von der
Leiche des Staretz Sossima nicht, wie erwartet wurde, ausströmt, sondern viel¬
mehr ein ungewöhnlich schnell eintretender Leichenverwesungsprozeß die Räume
höchst unerträglich macht -- mit der Heiligkeit des Verstorbenen nimmts des¬
halb auch bei diesem Pöbel ein schnelles Ende. Mit der Ironie, die eines
Pascals würdig ist, geißelt Dostojewsky in der Form einer Legende, "Der Gro߬
inquisitor," das Treiben des Jesuitismus und des katholischen, auf Gehorsam
und Autorität gegründeten Systems, (II, 95 fg,)

"Soviele Jahrhunderte hindurch hatte die Menschheit in flammendem Gebete
gebetet: "Gott, Herr, komme zu uns," daß er, in seinem unermeßlichen Mitleide,
zu den Betenden hat herabsteigen wollen. O, es war nicht jenes Herabsteigen,
K>nur er nach seiner Verheißung am Ende der Zeiten in ganzer himmlischer
Herrlichkeit erscheinen wird, und wann es plötzlich sein wird "wie ein blendender
Blitz vom Aufgang bis zum Niedergang." Nein, für einen Augenblick nur will
^ seine Kinder besuchen, und zwar gerade dort, wo eben die Scheiterhaufen
der Ketzer prasselten. In seiner unermeßliche" Herzensgüte will er noch einmal
umritten der Leute einherschreiten, in derselben Menschengestalt, in welcher er
dreiunddreißig Jahre lang vor fünfzehn Jahrhunderten unter ihnen einher-
gewcmdcrt war. Er steigt herab auf den "heißen Marktplatz" der Stadt des
Südens, Sevilla, wo eben, gestern erst, in einem "prächtigen Autodafe" im
Beisein des Königs, des Hofes, der Ritter, der Kardinäle und der schönsten


F. M. Dostojewsky.

Lebkuchen und Zuckerwerk gekauft und verteilt; er konnte nicht an ihnen vorüber¬
gehen, ohne daß seine Seele erbebte, . . . Meine Freunde, bittet Gott um
Fröhlichkeit, Seid heiter wie die Kinder und die Vöglein des Himmels."
(II, 202 bis 204,)

Der ganze Dostojewski.) spiegelt sich in diesen Worten; was er hier als
Gebote hinstellt, das führt er als Künstler, und zwar als ein Dichter ersten
Ranges, in seinem Roman aus: er schildert Kinder z, B. mit hinreißender
Wärme. Wollte man indes aus diesen mit großer Virtuosität den Ton mittel¬
alterlicher Mystiker nachahmenden Fragmenten den Schluß auf ein orthodoxes
Christentum als Glaubensbekenntnis Dostojewskys machen, so würde man sehr
irren. Vielmehr ist er ein Gegner alles absolutistischen, autoritativen Kirchen-
tums, ein Gegner, der an satirischer Kraft den größten Geistern, welche für die
Freiheit des Gewissens gestritten haben, füglich gleichgestellt werden kann. In
nichts weniger als in mönchischer, thatenloser Beschaulichkeit und Askese erkennt
er sein Lebensideal: den Vertreter seiner Ideale, eben jenen obenerwähnten
Alexci, den jüngsten der drei Brüder Karamasow, läßt er von seinem Lehrer,
dem Weisen Svssima, selbst aus dem Kloster in die Welt schicken, dort seinen
Beruf zu erfüllen. In sarkastischer Weise geißelt er den Unfug des Einsiedler-
tums durch einige lächerliche Gestalten; er macht sich lustig über den Heiligen¬
kultus, und eins der ergötzlichsten Kapitel im Roman ist jenes, welches die
Enttäuschung des abergläubischen Volkes schildert, als der Wohlgeruch von der
Leiche des Staretz Sossima nicht, wie erwartet wurde, ausströmt, sondern viel¬
mehr ein ungewöhnlich schnell eintretender Leichenverwesungsprozeß die Räume
höchst unerträglich macht — mit der Heiligkeit des Verstorbenen nimmts des¬
halb auch bei diesem Pöbel ein schnelles Ende. Mit der Ironie, die eines
Pascals würdig ist, geißelt Dostojewsky in der Form einer Legende, „Der Gro߬
inquisitor," das Treiben des Jesuitismus und des katholischen, auf Gehorsam
und Autorität gegründeten Systems, (II, 95 fg,)

„Soviele Jahrhunderte hindurch hatte die Menschheit in flammendem Gebete
gebetet: »Gott, Herr, komme zu uns,« daß er, in seinem unermeßlichen Mitleide,
zu den Betenden hat herabsteigen wollen. O, es war nicht jenes Herabsteigen,
K>nur er nach seiner Verheißung am Ende der Zeiten in ganzer himmlischer
Herrlichkeit erscheinen wird, und wann es plötzlich sein wird »wie ein blendender
Blitz vom Aufgang bis zum Niedergang.« Nein, für einen Augenblick nur will
^ seine Kinder besuchen, und zwar gerade dort, wo eben die Scheiterhaufen
der Ketzer prasselten. In seiner unermeßliche» Herzensgüte will er noch einmal
umritten der Leute einherschreiten, in derselben Menschengestalt, in welcher er
dreiunddreißig Jahre lang vor fünfzehn Jahrhunderten unter ihnen einher-
gewcmdcrt war. Er steigt herab auf den „heißen Marktplatz" der Stadt des
Südens, Sevilla, wo eben, gestern erst, in einem „prächtigen Autodafe" im
Beisein des Königs, des Hofes, der Ritter, der Kardinäle und der schönsten


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[0359] F. M. Dostojewsky. Lebkuchen und Zuckerwerk gekauft und verteilt; er konnte nicht an ihnen vorüber¬ gehen, ohne daß seine Seele erbebte, . . . Meine Freunde, bittet Gott um Fröhlichkeit, Seid heiter wie die Kinder und die Vöglein des Himmels." (II, 202 bis 204,) Der ganze Dostojewski.) spiegelt sich in diesen Worten; was er hier als Gebote hinstellt, das führt er als Künstler, und zwar als ein Dichter ersten Ranges, in seinem Roman aus: er schildert Kinder z, B. mit hinreißender Wärme. Wollte man indes aus diesen mit großer Virtuosität den Ton mittel¬ alterlicher Mystiker nachahmenden Fragmenten den Schluß auf ein orthodoxes Christentum als Glaubensbekenntnis Dostojewskys machen, so würde man sehr irren. Vielmehr ist er ein Gegner alles absolutistischen, autoritativen Kirchen- tums, ein Gegner, der an satirischer Kraft den größten Geistern, welche für die Freiheit des Gewissens gestritten haben, füglich gleichgestellt werden kann. In nichts weniger als in mönchischer, thatenloser Beschaulichkeit und Askese erkennt er sein Lebensideal: den Vertreter seiner Ideale, eben jenen obenerwähnten Alexci, den jüngsten der drei Brüder Karamasow, läßt er von seinem Lehrer, dem Weisen Svssima, selbst aus dem Kloster in die Welt schicken, dort seinen Beruf zu erfüllen. In sarkastischer Weise geißelt er den Unfug des Einsiedler- tums durch einige lächerliche Gestalten; er macht sich lustig über den Heiligen¬ kultus, und eins der ergötzlichsten Kapitel im Roman ist jenes, welches die Enttäuschung des abergläubischen Volkes schildert, als der Wohlgeruch von der Leiche des Staretz Sossima nicht, wie erwartet wurde, ausströmt, sondern viel¬ mehr ein ungewöhnlich schnell eintretender Leichenverwesungsprozeß die Räume höchst unerträglich macht — mit der Heiligkeit des Verstorbenen nimmts des¬ halb auch bei diesem Pöbel ein schnelles Ende. Mit der Ironie, die eines Pascals würdig ist, geißelt Dostojewsky in der Form einer Legende, „Der Gro߬ inquisitor," das Treiben des Jesuitismus und des katholischen, auf Gehorsam und Autorität gegründeten Systems, (II, 95 fg,) „Soviele Jahrhunderte hindurch hatte die Menschheit in flammendem Gebete gebetet: »Gott, Herr, komme zu uns,« daß er, in seinem unermeßlichen Mitleide, zu den Betenden hat herabsteigen wollen. O, es war nicht jenes Herabsteigen, K>nur er nach seiner Verheißung am Ende der Zeiten in ganzer himmlischer Herrlichkeit erscheinen wird, und wann es plötzlich sein wird »wie ein blendender Blitz vom Aufgang bis zum Niedergang.« Nein, für einen Augenblick nur will ^ seine Kinder besuchen, und zwar gerade dort, wo eben die Scheiterhaufen der Ketzer prasselten. In seiner unermeßliche» Herzensgüte will er noch einmal umritten der Leute einherschreiten, in derselben Menschengestalt, in welcher er dreiunddreißig Jahre lang vor fünfzehn Jahrhunderten unter ihnen einher- gewcmdcrt war. Er steigt herab auf den „heißen Marktplatz" der Stadt des Südens, Sevilla, wo eben, gestern erst, in einem „prächtigen Autodafe" im Beisein des Königs, des Hofes, der Ritter, der Kardinäle und der schönsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/359>, abgerufen am 23.07.2024.