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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Unpolitische Briefe aus Wien.

andres sein als eine Lehranstalt, Zugleich (1873) wurde ihr der katholische
Charakter genommen, die Kanzlerwürde aufgehoben und nicht lange darauf
wurde ein Protestant -- der Physiologe Ernst Brücke 1879/80 -- mit den
Rektoratsinsignien geschmückt. Aller Zwiespalt ist aber damit nicht beseitigt.
In den Kanzleien am Minvritenplatz arbeitet man noch heute daran, die Über¬
reste eines abgestorbenen Organismus wegzuräumen und an dem, was neu
geschaffen worden ist, zu bessern. Die Tendenz, die Universität in eine vor¬
züglich dem Staate dienende Institution umzuwandeln, tritt dabei oft genug
dem Selbstbewußtsein der modernen Wissenschaft, die ihren Zweck in sich selbst
finden will, feindlich entgegen, aber das Dogma von dem Werte des Wissens
an sich ohne jede Beziehung zum Leben verliert doch in der Gesellschaft
immer mehr an Boden, und die Sympathien derselben gehören in dieser An¬
gelegenheit jedenfalls dem Staate.

Betrachtet man das Verhältnis der einzelnen Fakultäten zu einander, so
wird man zwar nicht gerade wiederum auf einen Gegensatz stoßen, aber von
einer innern Übereinstimmung, von einer Identität der Ziele wird man doch
auch sehr wenig entdecken. Es sind eben vier Lehranstalten, vier Akademien
dn, die durch gewisse gemeinsame Besitztümer miteinander verbunden sind, aber
im Grunde sehr wenig mit einander gemein haben. Denn widerspricht zum
Beispiel nicht gar vieles, was auf den weltlichen Fakultäten gelehrt wird,
geradezu dem, was die theologische Fakultät dozirt? Diese letztere ist übrigens
auch äußerlich so viel als möglich vou ihren Schwestern abgeschlossen: ihre
Hörsäle liegen abseits von den übrigen, ihre Korridore dürfen von den Stu¬
denten der andern Fakultäten kaum betreten werden, die Theologen selbst ver¬
kehren fast nur unter sich und erscheinen selbst bei großen Universitätsfestlich¬
keiten nur dann, wenn der Rektor gerade ein Geistlicher ist; auch dann aber
vermeiden sie die Berührung mit den Weltlichen und bilden isolirte Gruppen.
Zu ihren Prüfungen entsendet der Staat keinen Kommissar, nur das Resultat
wird der Statthalterei vorgelegt, das Doktorat kaun nur der erlangen, der zum
mindesten Subdiakon ist, sich also an den geistlichen Stand bereits gebunden
hat. Bei den Promotionen interveuirt der Dekan, wenn der Rektor einer welt¬
lichen Fakultät angehört. Die Mehrzahl der Hörer gehört übrigens den Semi¬
narien -- dem Stephaneum, dem Pazmaneum und dem rumänischen Priester¬
seminar -- an, ihre Kollegiengelder werde" denn auch von diesen Instituten
bezahlt, und nur selten begegnet einem ein Theologe in den Räumen der
Quästur. Wissenschaftliche Thätigkeit wird von der jungen Generation sehr
wenig entwickelt, die Doktoren der Theologie sind selten genug. Übrigens gilt
schon der, welcher die Universität absolvirt hat, für sehr gelehrt, da ein großer
Teil der österreichischen Priesterschaft sich aus den Diözcsananstalten rekrutirt,
in welchen auch Nichtgraduirte zum Lehramt zugelassen werden. Außerdem
haben manche Klöster -- wie Se. Florian -- ebenfalls ihre eignen theologischen


Unpolitische Briefe aus Wien.

andres sein als eine Lehranstalt, Zugleich (1873) wurde ihr der katholische
Charakter genommen, die Kanzlerwürde aufgehoben und nicht lange darauf
wurde ein Protestant — der Physiologe Ernst Brücke 1879/80 — mit den
Rektoratsinsignien geschmückt. Aller Zwiespalt ist aber damit nicht beseitigt.
In den Kanzleien am Minvritenplatz arbeitet man noch heute daran, die Über¬
reste eines abgestorbenen Organismus wegzuräumen und an dem, was neu
geschaffen worden ist, zu bessern. Die Tendenz, die Universität in eine vor¬
züglich dem Staate dienende Institution umzuwandeln, tritt dabei oft genug
dem Selbstbewußtsein der modernen Wissenschaft, die ihren Zweck in sich selbst
finden will, feindlich entgegen, aber das Dogma von dem Werte des Wissens
an sich ohne jede Beziehung zum Leben verliert doch in der Gesellschaft
immer mehr an Boden, und die Sympathien derselben gehören in dieser An¬
gelegenheit jedenfalls dem Staate.

Betrachtet man das Verhältnis der einzelnen Fakultäten zu einander, so
wird man zwar nicht gerade wiederum auf einen Gegensatz stoßen, aber von
einer innern Übereinstimmung, von einer Identität der Ziele wird man doch
auch sehr wenig entdecken. Es sind eben vier Lehranstalten, vier Akademien
dn, die durch gewisse gemeinsame Besitztümer miteinander verbunden sind, aber
im Grunde sehr wenig mit einander gemein haben. Denn widerspricht zum
Beispiel nicht gar vieles, was auf den weltlichen Fakultäten gelehrt wird,
geradezu dem, was die theologische Fakultät dozirt? Diese letztere ist übrigens
auch äußerlich so viel als möglich vou ihren Schwestern abgeschlossen: ihre
Hörsäle liegen abseits von den übrigen, ihre Korridore dürfen von den Stu¬
denten der andern Fakultäten kaum betreten werden, die Theologen selbst ver¬
kehren fast nur unter sich und erscheinen selbst bei großen Universitätsfestlich¬
keiten nur dann, wenn der Rektor gerade ein Geistlicher ist; auch dann aber
vermeiden sie die Berührung mit den Weltlichen und bilden isolirte Gruppen.
Zu ihren Prüfungen entsendet der Staat keinen Kommissar, nur das Resultat
wird der Statthalterei vorgelegt, das Doktorat kaun nur der erlangen, der zum
mindesten Subdiakon ist, sich also an den geistlichen Stand bereits gebunden
hat. Bei den Promotionen interveuirt der Dekan, wenn der Rektor einer welt¬
lichen Fakultät angehört. Die Mehrzahl der Hörer gehört übrigens den Semi¬
narien — dem Stephaneum, dem Pazmaneum und dem rumänischen Priester¬
seminar — an, ihre Kollegiengelder werde» denn auch von diesen Instituten
bezahlt, und nur selten begegnet einem ein Theologe in den Räumen der
Quästur. Wissenschaftliche Thätigkeit wird von der jungen Generation sehr
wenig entwickelt, die Doktoren der Theologie sind selten genug. Übrigens gilt
schon der, welcher die Universität absolvirt hat, für sehr gelehrt, da ein großer
Teil der österreichischen Priesterschaft sich aus den Diözcsananstalten rekrutirt,
in welchen auch Nichtgraduirte zum Lehramt zugelassen werden. Außerdem
haben manche Klöster — wie Se. Florian — ebenfalls ihre eignen theologischen


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[0298] Unpolitische Briefe aus Wien. andres sein als eine Lehranstalt, Zugleich (1873) wurde ihr der katholische Charakter genommen, die Kanzlerwürde aufgehoben und nicht lange darauf wurde ein Protestant — der Physiologe Ernst Brücke 1879/80 — mit den Rektoratsinsignien geschmückt. Aller Zwiespalt ist aber damit nicht beseitigt. In den Kanzleien am Minvritenplatz arbeitet man noch heute daran, die Über¬ reste eines abgestorbenen Organismus wegzuräumen und an dem, was neu geschaffen worden ist, zu bessern. Die Tendenz, die Universität in eine vor¬ züglich dem Staate dienende Institution umzuwandeln, tritt dabei oft genug dem Selbstbewußtsein der modernen Wissenschaft, die ihren Zweck in sich selbst finden will, feindlich entgegen, aber das Dogma von dem Werte des Wissens an sich ohne jede Beziehung zum Leben verliert doch in der Gesellschaft immer mehr an Boden, und die Sympathien derselben gehören in dieser An¬ gelegenheit jedenfalls dem Staate. Betrachtet man das Verhältnis der einzelnen Fakultäten zu einander, so wird man zwar nicht gerade wiederum auf einen Gegensatz stoßen, aber von einer innern Übereinstimmung, von einer Identität der Ziele wird man doch auch sehr wenig entdecken. Es sind eben vier Lehranstalten, vier Akademien dn, die durch gewisse gemeinsame Besitztümer miteinander verbunden sind, aber im Grunde sehr wenig mit einander gemein haben. Denn widerspricht zum Beispiel nicht gar vieles, was auf den weltlichen Fakultäten gelehrt wird, geradezu dem, was die theologische Fakultät dozirt? Diese letztere ist übrigens auch äußerlich so viel als möglich vou ihren Schwestern abgeschlossen: ihre Hörsäle liegen abseits von den übrigen, ihre Korridore dürfen von den Stu¬ denten der andern Fakultäten kaum betreten werden, die Theologen selbst ver¬ kehren fast nur unter sich und erscheinen selbst bei großen Universitätsfestlich¬ keiten nur dann, wenn der Rektor gerade ein Geistlicher ist; auch dann aber vermeiden sie die Berührung mit den Weltlichen und bilden isolirte Gruppen. Zu ihren Prüfungen entsendet der Staat keinen Kommissar, nur das Resultat wird der Statthalterei vorgelegt, das Doktorat kaun nur der erlangen, der zum mindesten Subdiakon ist, sich also an den geistlichen Stand bereits gebunden hat. Bei den Promotionen interveuirt der Dekan, wenn der Rektor einer welt¬ lichen Fakultät angehört. Die Mehrzahl der Hörer gehört übrigens den Semi¬ narien — dem Stephaneum, dem Pazmaneum und dem rumänischen Priester¬ seminar — an, ihre Kollegiengelder werde» denn auch von diesen Instituten bezahlt, und nur selten begegnet einem ein Theologe in den Räumen der Quästur. Wissenschaftliche Thätigkeit wird von der jungen Generation sehr wenig entwickelt, die Doktoren der Theologie sind selten genug. Übrigens gilt schon der, welcher die Universität absolvirt hat, für sehr gelehrt, da ein großer Teil der österreichischen Priesterschaft sich aus den Diözcsananstalten rekrutirt, in welchen auch Nichtgraduirte zum Lehramt zugelassen werden. Außerdem haben manche Klöster — wie Se. Florian — ebenfalls ihre eignen theologischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/298>, abgerufen am 23.07.2024.