Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Unpolitische Briefe aus Wien.

oft nichts andres war als ein Schirmer, ein mehr oder weniger mäcenatischer
Förderer. Nun aber nahmen die Ereignisse ihren Lauf, die Jahrhunderte ver¬
änderten Staatswesen und Gesellschaftsformen. Korporationen von solcher
Machtfülle wollte man nicht mehr dulden, schon den Begriffen des angehenden
siebzehnten Jahrhunderts widersprach dies. Und die Summe von geistiger Macht
und Bildung, die ein Land besaß, sollte auch nicht mehr einer Institution zu¬
gute kommen, die sich mit dem Staate nicht deckte, die ihm oft genug feindlich
gegenüberstand, deren Mittelpunkt nicht das Kabinet des Landesherrn, sondern
die römische Kurie war. Konnte man aber Einrichtungen, an denen die her¬
vorragendsten Männer, welche dem Staate gar oft durch ihre Gelehrsamkeit Glanz
verliehen, teil hatten und die durch die Weihe der Kirche ehrwürdig geworden
waren, ebenso schnell vernichten wie die alten Organisationen der Handwerker,
konnte man über ihre Privilegien ebenso leicht zur Tagesordnung übergehen?
Auf der andern Seite bedürfte der Staat, je mehr er sich von seiner mittel¬
alterlichen Organisation entfernte, immer dringender eines Beamtenheeres, dessen
Bildung er nicht Körperschaften anvertrauen konnte und wollte, welche ihre
eignen Interessen hatten, die mit den seinigen nicht immer identisch waren.
So galt es denn, die Universitäten umzuschaffen. Ein energischer Widerstand
erhob sich da freilich: wer, der einer Gemeinschaft angehört, die seit Jahrhun¬
derten mit Vorrechten ausgestattet ist, wird diese uicht gegen jeden Angriff ver¬
teidigen? Auch die Kirche wollte nicht ohne weiteres die Pflanzstätten eines
Geistes, der ihr Bundesgenosse war, vernichten lassen. Und so entbrannte denn
ein lebhafter Kampf zwischen Regierungen und Universitäten.

An der Wiener Hochschule trat der Gegensatz zwischen der alten autonomen
Verfassung und den Tendenzen, die das neuere Staatswesen beherrschen, zur
Zeit Maria Theresias zuerst grell und entschieden hervor. Einmal wurden die
Privilegien, welche die Jesuiten an der Universität besaßen, aufgehoben, aus
den Diplomen die Formel Äuotoritg.t6 ÄpoLwIi"", entfernt. Dies waren Streiche,
die der Staat gegen den überwiegenden kirchlichen Einfluß führte. Die Rechte
der Korporation, der Gelehrtenzunft schmälerte er, indem er den Doktoren die
Adelsvorrechte entzog, die sie bis dahin genossen hatten. So recht als Staats-
anstalt behandelt erschien endlich die Hochschule durch die Verordnung über den
Unterricht in der deutschen Sprache, indem hauptsächlich auf den Geschäfts- und
Kanzleistil Rücksicht genommen werden sollte, damit die Beamten doch auch
einmal richtig deutsch zu schreiben verstünden. Kaiser Josef schritt ans dem im
Unterrichtswesen von seiner großen Mutter betretenen Wege sehr energisch fort:
unter ihm wurde der eignen Gerichtsbarkeit der Universität ein Ende gemacht.
Unzcihligemale wurde dann wiederholt, daß sie nur dazu da sei, dem Staate
tüchtige Seelsorger, Richter, Beamte und Lehrer zu erziehen.

Am Beginn unsers Jahrhunderts trat dann freilich -- wie überall in
Europa, so auch in Osterreich, ja hier ganz besonders -- eine starke Reaktion


Unpolitische Briefe aus Wien.

oft nichts andres war als ein Schirmer, ein mehr oder weniger mäcenatischer
Förderer. Nun aber nahmen die Ereignisse ihren Lauf, die Jahrhunderte ver¬
änderten Staatswesen und Gesellschaftsformen. Korporationen von solcher
Machtfülle wollte man nicht mehr dulden, schon den Begriffen des angehenden
siebzehnten Jahrhunderts widersprach dies. Und die Summe von geistiger Macht
und Bildung, die ein Land besaß, sollte auch nicht mehr einer Institution zu¬
gute kommen, die sich mit dem Staate nicht deckte, die ihm oft genug feindlich
gegenüberstand, deren Mittelpunkt nicht das Kabinet des Landesherrn, sondern
die römische Kurie war. Konnte man aber Einrichtungen, an denen die her¬
vorragendsten Männer, welche dem Staate gar oft durch ihre Gelehrsamkeit Glanz
verliehen, teil hatten und die durch die Weihe der Kirche ehrwürdig geworden
waren, ebenso schnell vernichten wie die alten Organisationen der Handwerker,
konnte man über ihre Privilegien ebenso leicht zur Tagesordnung übergehen?
Auf der andern Seite bedürfte der Staat, je mehr er sich von seiner mittel¬
alterlichen Organisation entfernte, immer dringender eines Beamtenheeres, dessen
Bildung er nicht Körperschaften anvertrauen konnte und wollte, welche ihre
eignen Interessen hatten, die mit den seinigen nicht immer identisch waren.
So galt es denn, die Universitäten umzuschaffen. Ein energischer Widerstand
erhob sich da freilich: wer, der einer Gemeinschaft angehört, die seit Jahrhun¬
derten mit Vorrechten ausgestattet ist, wird diese uicht gegen jeden Angriff ver¬
teidigen? Auch die Kirche wollte nicht ohne weiteres die Pflanzstätten eines
Geistes, der ihr Bundesgenosse war, vernichten lassen. Und so entbrannte denn
ein lebhafter Kampf zwischen Regierungen und Universitäten.

An der Wiener Hochschule trat der Gegensatz zwischen der alten autonomen
Verfassung und den Tendenzen, die das neuere Staatswesen beherrschen, zur
Zeit Maria Theresias zuerst grell und entschieden hervor. Einmal wurden die
Privilegien, welche die Jesuiten an der Universität besaßen, aufgehoben, aus
den Diplomen die Formel Äuotoritg.t6 ÄpoLwIi«», entfernt. Dies waren Streiche,
die der Staat gegen den überwiegenden kirchlichen Einfluß führte. Die Rechte
der Korporation, der Gelehrtenzunft schmälerte er, indem er den Doktoren die
Adelsvorrechte entzog, die sie bis dahin genossen hatten. So recht als Staats-
anstalt behandelt erschien endlich die Hochschule durch die Verordnung über den
Unterricht in der deutschen Sprache, indem hauptsächlich auf den Geschäfts- und
Kanzleistil Rücksicht genommen werden sollte, damit die Beamten doch auch
einmal richtig deutsch zu schreiben verstünden. Kaiser Josef schritt ans dem im
Unterrichtswesen von seiner großen Mutter betretenen Wege sehr energisch fort:
unter ihm wurde der eignen Gerichtsbarkeit der Universität ein Ende gemacht.
Unzcihligemale wurde dann wiederholt, daß sie nur dazu da sei, dem Staate
tüchtige Seelsorger, Richter, Beamte und Lehrer zu erziehen.

Am Beginn unsers Jahrhunderts trat dann freilich — wie überall in
Europa, so auch in Osterreich, ja hier ganz besonders — eine starke Reaktion


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0296" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194972"/>
          <fw type="header" place="top"> Unpolitische Briefe aus Wien.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1046" prev="#ID_1045"> oft nichts andres war als ein Schirmer, ein mehr oder weniger mäcenatischer<lb/>
Förderer. Nun aber nahmen die Ereignisse ihren Lauf, die Jahrhunderte ver¬<lb/>
änderten Staatswesen und Gesellschaftsformen. Korporationen von solcher<lb/>
Machtfülle wollte man nicht mehr dulden, schon den Begriffen des angehenden<lb/>
siebzehnten Jahrhunderts widersprach dies. Und die Summe von geistiger Macht<lb/>
und Bildung, die ein Land besaß, sollte auch nicht mehr einer Institution zu¬<lb/>
gute kommen, die sich mit dem Staate nicht deckte, die ihm oft genug feindlich<lb/>
gegenüberstand, deren Mittelpunkt nicht das Kabinet des Landesherrn, sondern<lb/>
die römische Kurie war. Konnte man aber Einrichtungen, an denen die her¬<lb/>
vorragendsten Männer, welche dem Staate gar oft durch ihre Gelehrsamkeit Glanz<lb/>
verliehen, teil hatten und die durch die Weihe der Kirche ehrwürdig geworden<lb/>
waren, ebenso schnell vernichten wie die alten Organisationen der Handwerker,<lb/>
konnte man über ihre Privilegien ebenso leicht zur Tagesordnung übergehen?<lb/>
Auf der andern Seite bedürfte der Staat, je mehr er sich von seiner mittel¬<lb/>
alterlichen Organisation entfernte, immer dringender eines Beamtenheeres, dessen<lb/>
Bildung er nicht Körperschaften anvertrauen konnte und wollte, welche ihre<lb/>
eignen Interessen hatten, die mit den seinigen nicht immer identisch waren.<lb/>
So galt es denn, die Universitäten umzuschaffen. Ein energischer Widerstand<lb/>
erhob sich da freilich: wer, der einer Gemeinschaft angehört, die seit Jahrhun¬<lb/>
derten mit Vorrechten ausgestattet ist, wird diese uicht gegen jeden Angriff ver¬<lb/>
teidigen? Auch die Kirche wollte nicht ohne weiteres die Pflanzstätten eines<lb/>
Geistes, der ihr Bundesgenosse war, vernichten lassen. Und so entbrannte denn<lb/>
ein lebhafter Kampf zwischen Regierungen und Universitäten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1047"> An der Wiener Hochschule trat der Gegensatz zwischen der alten autonomen<lb/>
Verfassung und den Tendenzen, die das neuere Staatswesen beherrschen, zur<lb/>
Zeit Maria Theresias zuerst grell und entschieden hervor. Einmal wurden die<lb/>
Privilegien, welche die Jesuiten an der Universität besaßen, aufgehoben, aus<lb/>
den Diplomen die Formel Äuotoritg.t6 ÄpoLwIi«», entfernt. Dies waren Streiche,<lb/>
die der Staat gegen den überwiegenden kirchlichen Einfluß führte. Die Rechte<lb/>
der Korporation, der Gelehrtenzunft schmälerte er, indem er den Doktoren die<lb/>
Adelsvorrechte entzog, die sie bis dahin genossen hatten. So recht als Staats-<lb/>
anstalt behandelt erschien endlich die Hochschule durch die Verordnung über den<lb/>
Unterricht in der deutschen Sprache, indem hauptsächlich auf den Geschäfts- und<lb/>
Kanzleistil Rücksicht genommen werden sollte, damit die Beamten doch auch<lb/>
einmal richtig deutsch zu schreiben verstünden. Kaiser Josef schritt ans dem im<lb/>
Unterrichtswesen von seiner großen Mutter betretenen Wege sehr energisch fort:<lb/>
unter ihm wurde der eignen Gerichtsbarkeit der Universität ein Ende gemacht.<lb/>
Unzcihligemale wurde dann wiederholt, daß sie nur dazu da sei, dem Staate<lb/>
tüchtige Seelsorger, Richter, Beamte und Lehrer zu erziehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1048" next="#ID_1049"> Am Beginn unsers Jahrhunderts trat dann freilich &#x2014; wie überall in<lb/>
Europa, so auch in Osterreich, ja hier ganz besonders &#x2014; eine starke Reaktion</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0296] Unpolitische Briefe aus Wien. oft nichts andres war als ein Schirmer, ein mehr oder weniger mäcenatischer Förderer. Nun aber nahmen die Ereignisse ihren Lauf, die Jahrhunderte ver¬ änderten Staatswesen und Gesellschaftsformen. Korporationen von solcher Machtfülle wollte man nicht mehr dulden, schon den Begriffen des angehenden siebzehnten Jahrhunderts widersprach dies. Und die Summe von geistiger Macht und Bildung, die ein Land besaß, sollte auch nicht mehr einer Institution zu¬ gute kommen, die sich mit dem Staate nicht deckte, die ihm oft genug feindlich gegenüberstand, deren Mittelpunkt nicht das Kabinet des Landesherrn, sondern die römische Kurie war. Konnte man aber Einrichtungen, an denen die her¬ vorragendsten Männer, welche dem Staate gar oft durch ihre Gelehrsamkeit Glanz verliehen, teil hatten und die durch die Weihe der Kirche ehrwürdig geworden waren, ebenso schnell vernichten wie die alten Organisationen der Handwerker, konnte man über ihre Privilegien ebenso leicht zur Tagesordnung übergehen? Auf der andern Seite bedürfte der Staat, je mehr er sich von seiner mittel¬ alterlichen Organisation entfernte, immer dringender eines Beamtenheeres, dessen Bildung er nicht Körperschaften anvertrauen konnte und wollte, welche ihre eignen Interessen hatten, die mit den seinigen nicht immer identisch waren. So galt es denn, die Universitäten umzuschaffen. Ein energischer Widerstand erhob sich da freilich: wer, der einer Gemeinschaft angehört, die seit Jahrhun¬ derten mit Vorrechten ausgestattet ist, wird diese uicht gegen jeden Angriff ver¬ teidigen? Auch die Kirche wollte nicht ohne weiteres die Pflanzstätten eines Geistes, der ihr Bundesgenosse war, vernichten lassen. Und so entbrannte denn ein lebhafter Kampf zwischen Regierungen und Universitäten. An der Wiener Hochschule trat der Gegensatz zwischen der alten autonomen Verfassung und den Tendenzen, die das neuere Staatswesen beherrschen, zur Zeit Maria Theresias zuerst grell und entschieden hervor. Einmal wurden die Privilegien, welche die Jesuiten an der Universität besaßen, aufgehoben, aus den Diplomen die Formel Äuotoritg.t6 ÄpoLwIi«», entfernt. Dies waren Streiche, die der Staat gegen den überwiegenden kirchlichen Einfluß führte. Die Rechte der Korporation, der Gelehrtenzunft schmälerte er, indem er den Doktoren die Adelsvorrechte entzog, die sie bis dahin genossen hatten. So recht als Staats- anstalt behandelt erschien endlich die Hochschule durch die Verordnung über den Unterricht in der deutschen Sprache, indem hauptsächlich auf den Geschäfts- und Kanzleistil Rücksicht genommen werden sollte, damit die Beamten doch auch einmal richtig deutsch zu schreiben verstünden. Kaiser Josef schritt ans dem im Unterrichtswesen von seiner großen Mutter betretenen Wege sehr energisch fort: unter ihm wurde der eignen Gerichtsbarkeit der Universität ein Ende gemacht. Unzcihligemale wurde dann wiederholt, daß sie nur dazu da sei, dem Staate tüchtige Seelsorger, Richter, Beamte und Lehrer zu erziehen. Am Beginn unsers Jahrhunderts trat dann freilich — wie überall in Europa, so auch in Osterreich, ja hier ganz besonders — eine starke Reaktion

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/296
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/296>, abgerufen am 22.07.2024.