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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Unpolitisch" Briefe ans Wien.

angelcgenhciten, und wenn nicht von Zeit zu Zeit irgend ein Studentenrummel
an die Existenz der Hochschule erinnert hätte, so würde man sie wohl völlig
vergessen haben. Denn so ist das Leben der modernen Großstadt: was ihr
nicht täglich vor Augen kommt, was nicht immer wieder recht fühlbar in ihre
Interessensphäre eingreift, was keine Mode mitmacht oder nicht als Produkt
der Mode erscheint, ist ihr gleichgiltig. wird ignorirt oder höchstens anstands¬
halber hie und da eines Blickes gewürdigt. Einigen Zeitungsblättern blieb es
vorbehalten, interne Angelegenheiten der Universität bisweilen mit den Tages¬
fragen in Verbindung zu bringen und aus ihnen publizistisches Kapital zu
schlagen.

Jetzt aber ist dies ganz anders geworden. Mit einemmale ist die Uni¬
versität populär, ja man darf beinahe sagen, sie ist Mode: es sieht so aus,
als besäßen wir sie jetzt erst. Diese Wandlung hat nur das neue Ge¬
bäude bewirkt. Auf einem der schönsten Plätze der Welt gelegen, der zugleich
ein Hauptkreuzuugspunkt städtischen und vorstädtischen Verkehres ist, wird es
bemerkt, muß es bemerkt werden. Nicht nur die Fremden treten des Sonntags,
wo die Besichtigung der Innenräume gestattet ist, in das Gebäude ein; auch
die Wiener, die so selten geneigt sind, zu bewundern, was sie besitzen -- die
z. B. von den Schätzen des Belvedere gemeiniglich gar keine oder nur eine sehr
schwache Ahnung haben, kommen zu Besuch. Über den Bau selbst ist das Urteil
der Kenner keineswegs einig. Wenn Eitelberger in der vom österreichischen
Museum vor einigen Monaten zum Andenken Ferstels herausgegebenen Fest¬
schrift namentlich die edle Harmonie desselben rühmt, wenn er meint, daß hier
Etagenbau, Arkaden, Entwicklung der verschiedenen Räume, Vestibüle, Stiegen¬
anlagen und Pavillons zu einem ganz eigenartigen Kunstwerk "vereinigt" seien,
so ließen sich dagegen andre Stimmen vernehmen, die behaupteten, nichts fehle
dem Gebäude gerade so sehr als Einheit; die Linien des Mittelbaues fänden
gar keine Fortsetzung in den Flügeln, die einzelnen Teile hätten überhaupt nur
einen sehr losen° Zusammenhang und das Ganze zerfalle vor dem Auge des
aufmerksamen Beschauers in mehrere Gebäude, die miteinander eigentlich sehr
wenig zu thun hätten.

Wie dem auch sei, in der Anerkennung des Treppenhauses, des Arkaden¬
hofes und der Bibliothek sind doch schließlich alle einig, und das, was den Ge¬
samteindruck des Baues etwa stört, ist doch nichts andres als jenes Zeichen
der Zeit, das allen ihren Schöpfungen mehr oder minder deutkchauf gedruckt
ist- Und gerade in diesem Falle spiegelt ja die ünßere Disharmonie anch nur eme
wnere wieder, an der nicht nur die Wiener Universität, sondern die moderne
Hochschule überhaupt leidet.

Als selbständige Korporationen wurden die Universitäten gegründet, ihre
Stiftungsbriefe lauteten so. und sie waren es ebensogut wie die Zünfte. Der
Kirche standen sie weit näher als dem Staate, der ihnen lange Zeit hindurch


Unpolitisch« Briefe ans Wien.

angelcgenhciten, und wenn nicht von Zeit zu Zeit irgend ein Studentenrummel
an die Existenz der Hochschule erinnert hätte, so würde man sie wohl völlig
vergessen haben. Denn so ist das Leben der modernen Großstadt: was ihr
nicht täglich vor Augen kommt, was nicht immer wieder recht fühlbar in ihre
Interessensphäre eingreift, was keine Mode mitmacht oder nicht als Produkt
der Mode erscheint, ist ihr gleichgiltig. wird ignorirt oder höchstens anstands¬
halber hie und da eines Blickes gewürdigt. Einigen Zeitungsblättern blieb es
vorbehalten, interne Angelegenheiten der Universität bisweilen mit den Tages¬
fragen in Verbindung zu bringen und aus ihnen publizistisches Kapital zu
schlagen.

Jetzt aber ist dies ganz anders geworden. Mit einemmale ist die Uni¬
versität populär, ja man darf beinahe sagen, sie ist Mode: es sieht so aus,
als besäßen wir sie jetzt erst. Diese Wandlung hat nur das neue Ge¬
bäude bewirkt. Auf einem der schönsten Plätze der Welt gelegen, der zugleich
ein Hauptkreuzuugspunkt städtischen und vorstädtischen Verkehres ist, wird es
bemerkt, muß es bemerkt werden. Nicht nur die Fremden treten des Sonntags,
wo die Besichtigung der Innenräume gestattet ist, in das Gebäude ein; auch
die Wiener, die so selten geneigt sind, zu bewundern, was sie besitzen — die
z. B. von den Schätzen des Belvedere gemeiniglich gar keine oder nur eine sehr
schwache Ahnung haben, kommen zu Besuch. Über den Bau selbst ist das Urteil
der Kenner keineswegs einig. Wenn Eitelberger in der vom österreichischen
Museum vor einigen Monaten zum Andenken Ferstels herausgegebenen Fest¬
schrift namentlich die edle Harmonie desselben rühmt, wenn er meint, daß hier
Etagenbau, Arkaden, Entwicklung der verschiedenen Räume, Vestibüle, Stiegen¬
anlagen und Pavillons zu einem ganz eigenartigen Kunstwerk „vereinigt" seien,
so ließen sich dagegen andre Stimmen vernehmen, die behaupteten, nichts fehle
dem Gebäude gerade so sehr als Einheit; die Linien des Mittelbaues fänden
gar keine Fortsetzung in den Flügeln, die einzelnen Teile hätten überhaupt nur
einen sehr losen° Zusammenhang und das Ganze zerfalle vor dem Auge des
aufmerksamen Beschauers in mehrere Gebäude, die miteinander eigentlich sehr
wenig zu thun hätten.

Wie dem auch sei, in der Anerkennung des Treppenhauses, des Arkaden¬
hofes und der Bibliothek sind doch schließlich alle einig, und das, was den Ge¬
samteindruck des Baues etwa stört, ist doch nichts andres als jenes Zeichen
der Zeit, das allen ihren Schöpfungen mehr oder minder deutkchauf gedruckt
ist- Und gerade in diesem Falle spiegelt ja die ünßere Disharmonie anch nur eme
wnere wieder, an der nicht nur die Wiener Universität, sondern die moderne
Hochschule überhaupt leidet.

Als selbständige Korporationen wurden die Universitäten gegründet, ihre
Stiftungsbriefe lauteten so. und sie waren es ebensogut wie die Zünfte. Der
Kirche standen sie weit näher als dem Staate, der ihnen lange Zeit hindurch


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[0295] Unpolitisch« Briefe ans Wien. angelcgenhciten, und wenn nicht von Zeit zu Zeit irgend ein Studentenrummel an die Existenz der Hochschule erinnert hätte, so würde man sie wohl völlig vergessen haben. Denn so ist das Leben der modernen Großstadt: was ihr nicht täglich vor Augen kommt, was nicht immer wieder recht fühlbar in ihre Interessensphäre eingreift, was keine Mode mitmacht oder nicht als Produkt der Mode erscheint, ist ihr gleichgiltig. wird ignorirt oder höchstens anstands¬ halber hie und da eines Blickes gewürdigt. Einigen Zeitungsblättern blieb es vorbehalten, interne Angelegenheiten der Universität bisweilen mit den Tages¬ fragen in Verbindung zu bringen und aus ihnen publizistisches Kapital zu schlagen. Jetzt aber ist dies ganz anders geworden. Mit einemmale ist die Uni¬ versität populär, ja man darf beinahe sagen, sie ist Mode: es sieht so aus, als besäßen wir sie jetzt erst. Diese Wandlung hat nur das neue Ge¬ bäude bewirkt. Auf einem der schönsten Plätze der Welt gelegen, der zugleich ein Hauptkreuzuugspunkt städtischen und vorstädtischen Verkehres ist, wird es bemerkt, muß es bemerkt werden. Nicht nur die Fremden treten des Sonntags, wo die Besichtigung der Innenräume gestattet ist, in das Gebäude ein; auch die Wiener, die so selten geneigt sind, zu bewundern, was sie besitzen — die z. B. von den Schätzen des Belvedere gemeiniglich gar keine oder nur eine sehr schwache Ahnung haben, kommen zu Besuch. Über den Bau selbst ist das Urteil der Kenner keineswegs einig. Wenn Eitelberger in der vom österreichischen Museum vor einigen Monaten zum Andenken Ferstels herausgegebenen Fest¬ schrift namentlich die edle Harmonie desselben rühmt, wenn er meint, daß hier Etagenbau, Arkaden, Entwicklung der verschiedenen Räume, Vestibüle, Stiegen¬ anlagen und Pavillons zu einem ganz eigenartigen Kunstwerk „vereinigt" seien, so ließen sich dagegen andre Stimmen vernehmen, die behaupteten, nichts fehle dem Gebäude gerade so sehr als Einheit; die Linien des Mittelbaues fänden gar keine Fortsetzung in den Flügeln, die einzelnen Teile hätten überhaupt nur einen sehr losen° Zusammenhang und das Ganze zerfalle vor dem Auge des aufmerksamen Beschauers in mehrere Gebäude, die miteinander eigentlich sehr wenig zu thun hätten. Wie dem auch sei, in der Anerkennung des Treppenhauses, des Arkaden¬ hofes und der Bibliothek sind doch schließlich alle einig, und das, was den Ge¬ samteindruck des Baues etwa stört, ist doch nichts andres als jenes Zeichen der Zeit, das allen ihren Schöpfungen mehr oder minder deutkchauf gedruckt ist- Und gerade in diesem Falle spiegelt ja die ünßere Disharmonie anch nur eme wnere wieder, an der nicht nur die Wiener Universität, sondern die moderne Hochschule überhaupt leidet. Als selbständige Korporationen wurden die Universitäten gegründet, ihre Stiftungsbriefe lauteten so. und sie waren es ebensogut wie die Zünfte. Der Kirche standen sie weit näher als dem Staate, der ihnen lange Zeit hindurch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/295>, abgerufen am 22.07.2024.