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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Neue Erzählungen von Milhelni Raabe.

jeflihl habe" sie damit nich'n Ende jemacht und seine Kameradschaftsjefühle hält
er ufrecht, soweit sie Abends Punkte nenne von Memel bis Metz det Volk
und die Brüderschaft in Waffen mit dieselbe Trommel- und Hornmelodie
ärjern und in die Kvmmisflaumfedern locken. Und in diesem Sinne, wie
Joethe jesagt haben soll, trete ick immer als richtijer Berliner in jede
Provinz, wo et sich um eenen Kameraden in Schwulibus handelt, mög¬
lichst feste uf, und wenn et sich ooch um die höchsten sittlichen Fragen in
Hinsicht uf die Hosentasche handelt, wie Rothschild, Bleichröder und die übrigen
Klassiker in det Fach sagen. Und wenn jemand mich jar noch mit olle An¬
spielungen uf die oller verjährten Annexionen von Anno bis ans Ende von de
Dinge, Dietrich von de Wilhelmshöhe und sonstige wirkliche dämliche Nassauereien
auf den Pelz rucken sollte, so verkündije ich hier jetzt nischt weiter als: jrade
darum! . . , Nicht, daß mir mein Jewissen bisse; denn bei Königgrätz haben
wir persönlich im Sechzigster ruhig Jewehr bei Fuß jestauden und still die
andern uns mit die historischen Jranaten beschmeißen lassen; aber Noblesse
oblijirt immer, und jrade weil ick mir doch meinen juten Kameraden Amelung
mit canellirt habe, fühle ick mir bewogen, die Bitte auszusprechen: Kinder jeht
mal so anständig als möglich mit ihm und seine mögliche Hinterlassenschaft um.
Weltjeschichte bleibt doch nun mal Weltgeschichte, und im Privatfall ändert manchmal
leider niemand det jeringste dran, sagt Fräulein In-- sage ick hier bei Danck...
Womit ick bloß sagen will, det man ja jedem seine persönlichen Jefühle jerne
hochachten und doch bei außerjewöhnliche Jelegenheiten von ihm verlangen kann,
daß er in einem speziellen jejcbenen Fall einmal jroß und nich bloß an seine
cmjebvrene Privatranküne oder wie jesagt sein innigstes Portmvnnä denkt. Ick
hätte zum Exempel in Liebelottes Stelle jetzt nich det Kap'tal jekündigt."

Aber mit diesen Reden begnügt sich der thatkräftige Mann nicht. Der
Tod Ludolf Nmclungs setzt dessen jüngeren Bruder ganz aufs Trockene. Schönvw
kauft die gekündigte Hypothek auf. Das entzückend liebenswürdige Mädchen
Wittchen (Wita, Hroswitha) Hamelmann, ein wahres "Schneewittchen," veran¬
staltet für seinen verwaisten Jugendkameraden Gerhard eine Wohlthätigkeits-
lvtterie, und der "olle Potsdamer" läßt sich fünfhundert Loose eine Mark
aufbinden, die er in Berlin schon "ohne Schwierigkeit bei Kaiser Wilhelm und
Moltke besorgen wird. Mit Bismarck muß man erst mal sehen. Komme ick an ihm
ran, so fasse ick ihn sicher und natürlich bei seine zartesten menschlichen Jefühle
un hänge ihm soviel als möglich von eure Spekulation auf seine patriotische Mit¬
leidigkeit uf. Das Resultat als möglich in Baar." Aber man denke, nun
stirbt zum Unglück auch noch gleich darauf und ganz plötzlich der Vater Schnee¬
wittehens und hinterläßt dem nunmehr ganz verwaisten Kinde gar kein Ver¬
mögen! Was liegt da näher, als daß Schönow nun anch bei dem sechzehn¬
jähriger Mädchen seines Geschäftsfreundes Hamelmann dieselben Vaterpflichten
übernimmt, wie bei dem zwanzigjährigen Bruder seines Kriegskameraden Ane-


Neue Erzählungen von Milhelni Raabe.

jeflihl habe» sie damit nich'n Ende jemacht und seine Kameradschaftsjefühle hält
er ufrecht, soweit sie Abends Punkte nenne von Memel bis Metz det Volk
und die Brüderschaft in Waffen mit dieselbe Trommel- und Hornmelodie
ärjern und in die Kvmmisflaumfedern locken. Und in diesem Sinne, wie
Joethe jesagt haben soll, trete ick immer als richtijer Berliner in jede
Provinz, wo et sich um eenen Kameraden in Schwulibus handelt, mög¬
lichst feste uf, und wenn et sich ooch um die höchsten sittlichen Fragen in
Hinsicht uf die Hosentasche handelt, wie Rothschild, Bleichröder und die übrigen
Klassiker in det Fach sagen. Und wenn jemand mich jar noch mit olle An¬
spielungen uf die oller verjährten Annexionen von Anno bis ans Ende von de
Dinge, Dietrich von de Wilhelmshöhe und sonstige wirkliche dämliche Nassauereien
auf den Pelz rucken sollte, so verkündije ich hier jetzt nischt weiter als: jrade
darum! . . , Nicht, daß mir mein Jewissen bisse; denn bei Königgrätz haben
wir persönlich im Sechzigster ruhig Jewehr bei Fuß jestauden und still die
andern uns mit die historischen Jranaten beschmeißen lassen; aber Noblesse
oblijirt immer, und jrade weil ick mir doch meinen juten Kameraden Amelung
mit canellirt habe, fühle ick mir bewogen, die Bitte auszusprechen: Kinder jeht
mal so anständig als möglich mit ihm und seine mögliche Hinterlassenschaft um.
Weltjeschichte bleibt doch nun mal Weltgeschichte, und im Privatfall ändert manchmal
leider niemand det jeringste dran, sagt Fräulein In— sage ick hier bei Danck...
Womit ick bloß sagen will, det man ja jedem seine persönlichen Jefühle jerne
hochachten und doch bei außerjewöhnliche Jelegenheiten von ihm verlangen kann,
daß er in einem speziellen jejcbenen Fall einmal jroß und nich bloß an seine
cmjebvrene Privatranküne oder wie jesagt sein innigstes Portmvnnä denkt. Ick
hätte zum Exempel in Liebelottes Stelle jetzt nich det Kap'tal jekündigt."

Aber mit diesen Reden begnügt sich der thatkräftige Mann nicht. Der
Tod Ludolf Nmclungs setzt dessen jüngeren Bruder ganz aufs Trockene. Schönvw
kauft die gekündigte Hypothek auf. Das entzückend liebenswürdige Mädchen
Wittchen (Wita, Hroswitha) Hamelmann, ein wahres „Schneewittchen," veran¬
staltet für seinen verwaisten Jugendkameraden Gerhard eine Wohlthätigkeits-
lvtterie, und der „olle Potsdamer" läßt sich fünfhundert Loose eine Mark
aufbinden, die er in Berlin schon „ohne Schwierigkeit bei Kaiser Wilhelm und
Moltke besorgen wird. Mit Bismarck muß man erst mal sehen. Komme ick an ihm
ran, so fasse ick ihn sicher und natürlich bei seine zartesten menschlichen Jefühle
un hänge ihm soviel als möglich von eure Spekulation auf seine patriotische Mit¬
leidigkeit uf. Das Resultat als möglich in Baar." Aber man denke, nun
stirbt zum Unglück auch noch gleich darauf und ganz plötzlich der Vater Schnee¬
wittehens und hinterläßt dem nunmehr ganz verwaisten Kinde gar kein Ver¬
mögen! Was liegt da näher, als daß Schönow nun anch bei dem sechzehn¬
jähriger Mädchen seines Geschäftsfreundes Hamelmann dieselben Vaterpflichten
übernimmt, wie bei dem zwanzigjährigen Bruder seines Kriegskameraden Ane-


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[0250] Neue Erzählungen von Milhelni Raabe. jeflihl habe» sie damit nich'n Ende jemacht und seine Kameradschaftsjefühle hält er ufrecht, soweit sie Abends Punkte nenne von Memel bis Metz det Volk und die Brüderschaft in Waffen mit dieselbe Trommel- und Hornmelodie ärjern und in die Kvmmisflaumfedern locken. Und in diesem Sinne, wie Joethe jesagt haben soll, trete ick immer als richtijer Berliner in jede Provinz, wo et sich um eenen Kameraden in Schwulibus handelt, mög¬ lichst feste uf, und wenn et sich ooch um die höchsten sittlichen Fragen in Hinsicht uf die Hosentasche handelt, wie Rothschild, Bleichröder und die übrigen Klassiker in det Fach sagen. Und wenn jemand mich jar noch mit olle An¬ spielungen uf die oller verjährten Annexionen von Anno bis ans Ende von de Dinge, Dietrich von de Wilhelmshöhe und sonstige wirkliche dämliche Nassauereien auf den Pelz rucken sollte, so verkündije ich hier jetzt nischt weiter als: jrade darum! . . , Nicht, daß mir mein Jewissen bisse; denn bei Königgrätz haben wir persönlich im Sechzigster ruhig Jewehr bei Fuß jestauden und still die andern uns mit die historischen Jranaten beschmeißen lassen; aber Noblesse oblijirt immer, und jrade weil ick mir doch meinen juten Kameraden Amelung mit canellirt habe, fühle ick mir bewogen, die Bitte auszusprechen: Kinder jeht mal so anständig als möglich mit ihm und seine mögliche Hinterlassenschaft um. Weltjeschichte bleibt doch nun mal Weltgeschichte, und im Privatfall ändert manchmal leider niemand det jeringste dran, sagt Fräulein In— sage ick hier bei Danck... Womit ick bloß sagen will, det man ja jedem seine persönlichen Jefühle jerne hochachten und doch bei außerjewöhnliche Jelegenheiten von ihm verlangen kann, daß er in einem speziellen jejcbenen Fall einmal jroß und nich bloß an seine cmjebvrene Privatranküne oder wie jesagt sein innigstes Portmvnnä denkt. Ick hätte zum Exempel in Liebelottes Stelle jetzt nich det Kap'tal jekündigt." Aber mit diesen Reden begnügt sich der thatkräftige Mann nicht. Der Tod Ludolf Nmclungs setzt dessen jüngeren Bruder ganz aufs Trockene. Schönvw kauft die gekündigte Hypothek auf. Das entzückend liebenswürdige Mädchen Wittchen (Wita, Hroswitha) Hamelmann, ein wahres „Schneewittchen," veran¬ staltet für seinen verwaisten Jugendkameraden Gerhard eine Wohlthätigkeits- lvtterie, und der „olle Potsdamer" läßt sich fünfhundert Loose eine Mark aufbinden, die er in Berlin schon „ohne Schwierigkeit bei Kaiser Wilhelm und Moltke besorgen wird. Mit Bismarck muß man erst mal sehen. Komme ick an ihm ran, so fasse ick ihn sicher und natürlich bei seine zartesten menschlichen Jefühle un hänge ihm soviel als möglich von eure Spekulation auf seine patriotische Mit¬ leidigkeit uf. Das Resultat als möglich in Baar." Aber man denke, nun stirbt zum Unglück auch noch gleich darauf und ganz plötzlich der Vater Schnee¬ wittehens und hinterläßt dem nunmehr ganz verwaisten Kinde gar kein Ver¬ mögen! Was liegt da näher, als daß Schönow nun anch bei dem sechzehn¬ jähriger Mädchen seines Geschäftsfreundes Hamelmann dieselben Vaterpflichten übernimmt, wie bei dem zwanzigjährigen Bruder seines Kriegskameraden Ane-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/250>, abgerufen am 22.07.2024.