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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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nennt. Der Freundschaftsbund dieser zwei Leute gehört wohl zu dem merk¬
würdigsten der Geschichte. "Fräulein Julie, schreibt ihr Schönow, wie wäre
et denn nun mal wieder? Als sich unser Herrgott in mir vergriff und mich,
wie Sie von Olimszeiten wissen, statt zu einem Menschen zu einem Kameel
machte, hat er Sie doch nur deshalb gleich hinter mir her erschaffen, um seineu
Fohpah zur Hälfte wieder gut zu machen." Und Julie spricht sich ihrerseits
aus: "O, ihr unsterblichen Götter, was möchte aus meines Vaters Tochter
geworden sein, wenn ihr dem verwahrlosten, verstaubten, verschimmelten jungen
Geschöpf nicht diesen verwahrlosten, ungekannten, ungewaschenen, halbver¬
hungerter, närrischen Kerl und Straßenjungen in den Weg geführt hättet?. .
Ihr habt es doch wohl gut mit uns gemeint, ihr im ewigen Man!.. Und,
bei den drei furchtbaren Schwestern, im Grunde war ich seiner Hilfe doch viel
bedürftiger, als er der meinigen! Er machte mich wieder zu einem Kinde --
dann und wann sogar zu einem wirklichen, fröhlichen, vergnügten, lachenden
Kinde, und ich -- ich konnte ihm nach des Papas Tode nur die dreitausend
Thaler geben, die er brauchte, um sein Geschäft anzufangen. Schönow und
Kompagnie!.. Schönow und Kompagnie! Durch Sauer und Süß, durch gute
und schlechte Zeiten, durch Krieg und Frieden -- Schönow und sein stiller
Kompagnon!" Heiraten konnten die zwei nicht: die Professorstochter und der
"Unteroffizier vom siebenten brandenburgischen Infanterieregiment," den sie sich
von "uuter der Treppe" hervorgeholt hat. Er nahm sich in früherer Zeit eine
hübsche Köchin oder was sie sonst gewesen sein mag, die Helene Schönow, welche
ihm im jetzigen Augenblick zu einem umfangreichen, eifersüchtigen, eiteln, bös¬
artigen Hauskreuz gealtert ist, aber von der "jöttlichen" Julie ließ er trotz
seiner zarten Ehehälfte nicht locker; und so bildete sich "das Kurioseste, das
Lächerlichste, das, was der Menschheit am meisten Spaß machen würde, wenn
sie je ihre alberne Nase genauer hätte hineinstecken können, dies Verhältnis
zwischen ihr und ihrem Freunde." In allen Nöten des Herzens -- andre hat
er ja nicht -- muß ihm die Julie beispringen, sie ist die "Jntellijcnz," welche ihm
leuchten muß.

Ein solcher Fall bildet die eben vorliegende Geschichte. Da hat er in der
Provinzstadt, wo er seine Schicferbrüche besitzt, wieder einmal einen "närrischen"
Streich gemacht. In der Provinz tritt Schönow immer etwas breit auf, etwas
prahlerisch, fühlt sich als Großstädter, Berliner. Aber es steckt doch etwas
mehr dahinter, als daß die philiströsen Provinzialen ihn nur so als "her¬
gelaufenen, großschnauzigen Berliner Haselantc" bezeichnen dürfen. "Es dauert
immer etwas länger als zehn Jahre, ehe der Nachklang eines weltgeschichtlichen
Faktums auszittert" -- dieser Nachklang freilich zittert gar mächtig, das ganze
liebe tolle Wesen durchglühend, in dem ehemaligen Unteroffizier und jetzigen
Schieferbruch- und Hausbesitzer Schönow nach. Darum widmet er seine tiefste
und werkthätigste Teilnahme dem unglücklichen Ludolf Amelung, welcher zehn


nennt. Der Freundschaftsbund dieser zwei Leute gehört wohl zu dem merk¬
würdigsten der Geschichte. „Fräulein Julie, schreibt ihr Schönow, wie wäre
et denn nun mal wieder? Als sich unser Herrgott in mir vergriff und mich,
wie Sie von Olimszeiten wissen, statt zu einem Menschen zu einem Kameel
machte, hat er Sie doch nur deshalb gleich hinter mir her erschaffen, um seineu
Fohpah zur Hälfte wieder gut zu machen." Und Julie spricht sich ihrerseits
aus: „O, ihr unsterblichen Götter, was möchte aus meines Vaters Tochter
geworden sein, wenn ihr dem verwahrlosten, verstaubten, verschimmelten jungen
Geschöpf nicht diesen verwahrlosten, ungekannten, ungewaschenen, halbver¬
hungerter, närrischen Kerl und Straßenjungen in den Weg geführt hättet?. .
Ihr habt es doch wohl gut mit uns gemeint, ihr im ewigen Man!.. Und,
bei den drei furchtbaren Schwestern, im Grunde war ich seiner Hilfe doch viel
bedürftiger, als er der meinigen! Er machte mich wieder zu einem Kinde —
dann und wann sogar zu einem wirklichen, fröhlichen, vergnügten, lachenden
Kinde, und ich — ich konnte ihm nach des Papas Tode nur die dreitausend
Thaler geben, die er brauchte, um sein Geschäft anzufangen. Schönow und
Kompagnie!.. Schönow und Kompagnie! Durch Sauer und Süß, durch gute
und schlechte Zeiten, durch Krieg und Frieden — Schönow und sein stiller
Kompagnon!" Heiraten konnten die zwei nicht: die Professorstochter und der
„Unteroffizier vom siebenten brandenburgischen Infanterieregiment," den sie sich
von „uuter der Treppe" hervorgeholt hat. Er nahm sich in früherer Zeit eine
hübsche Köchin oder was sie sonst gewesen sein mag, die Helene Schönow, welche
ihm im jetzigen Augenblick zu einem umfangreichen, eifersüchtigen, eiteln, bös¬
artigen Hauskreuz gealtert ist, aber von der „jöttlichen" Julie ließ er trotz
seiner zarten Ehehälfte nicht locker; und so bildete sich „das Kurioseste, das
Lächerlichste, das, was der Menschheit am meisten Spaß machen würde, wenn
sie je ihre alberne Nase genauer hätte hineinstecken können, dies Verhältnis
zwischen ihr und ihrem Freunde." In allen Nöten des Herzens — andre hat
er ja nicht — muß ihm die Julie beispringen, sie ist die „Jntellijcnz," welche ihm
leuchten muß.

Ein solcher Fall bildet die eben vorliegende Geschichte. Da hat er in der
Provinzstadt, wo er seine Schicferbrüche besitzt, wieder einmal einen „närrischen"
Streich gemacht. In der Provinz tritt Schönow immer etwas breit auf, etwas
prahlerisch, fühlt sich als Großstädter, Berliner. Aber es steckt doch etwas
mehr dahinter, als daß die philiströsen Provinzialen ihn nur so als „her¬
gelaufenen, großschnauzigen Berliner Haselantc" bezeichnen dürfen. „Es dauert
immer etwas länger als zehn Jahre, ehe der Nachklang eines weltgeschichtlichen
Faktums auszittert" — dieser Nachklang freilich zittert gar mächtig, das ganze
liebe tolle Wesen durchglühend, in dem ehemaligen Unteroffizier und jetzigen
Schieferbruch- und Hausbesitzer Schönow nach. Darum widmet er seine tiefste
und werkthätigste Teilnahme dem unglücklichen Ludolf Amelung, welcher zehn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/248>, abgerufen am 22.07.2024.