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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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der Berta von der Dudu unterworfen, dessen alter Stammsitz (Danha) nnr zwei
bis drei Meilen weiter südlich liegt, und von ihm um 1250 mit deutschem
Rechte bewidmet, ein vielbesuchter Durchgangsplatz an der großen Straße war,
die Prag mit der Lausitz und dem deutschen Nordosten verband. Die Bürger¬
schaft scheint sich dieser Vergangenheit bewußt zu sein, deren lebendige Vcr-
gegenwürtigung dem böhmischen Deutschtums den besten Halt giebt, denn sie
hält die Denkmäler ihrer Vorzeit in Ehren. Die Fassade des Rathauses wurde
restaurirt, und unten an der Wassergasse steht ein eigentümliches Bauwerk aus
dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts, das "rote Haus," laut Inschrift 1683
erbaut, 1883 reuovirt, die Langseite auf kräftigen Bögen über roten Pfeilern,
die einen Laubengang bilden, darüber ein Sims in Sgrafitto mit Jagdszenen,
im ersten Stock eine offene Bogcngalerie auf roten dorischen Säulen, im
Sgrafittofries, der sich über ihr hinzieht, zahlreiche Porträtköpfe; die glatten
Wandslüchen der Schmalseiten imitircn Quadratbckleidung, deren faeettenartige
Behandlung durch schwarzweiße Bemalung angedeutet wird, das Ganze von
kräftiger und malerischer Wirkung. Neben solcher achtungsvollen Wiederherstellung
alter Denkmäler beweisen stattliche Neubauten ein rüstiges Vorwärtsstreben.
In den Jahren 1880 und 1881 hat die Gemeinde auf einem der höchsten Punkte
der Stadt unweit des aussichtsreichen, ausgedehnten Stadtparks, einer ebenfalls
neuen Anlage, dein Gymnasium ein weithin sichtbares, ansehnliches Gebäude
errichtet, mit wahrhaft künstlerisch aufgeschmückten Vestibül, in dem eine Mar¬
mortafel die Namen der während der Bauzeit amtsführenden Leiter der Gemeinde
verkündet. Sie ist offenbar stolz auf den Bau und kann es sein, sie weiß auch,
daß ihr Deutschtum am sichersten in der Pflege höherer Bildung wurzelt.

Das Gymnasium steht in doppeltem Sinne auf historischem Boden. Ehe¬
mals nahm diesen Platz das sogenannte "Schlüssel" der Berta von der Duba
ein, ein ehrwürdiger Holzbau, der selbst die großen Brände überdauert hatte.
Die Anstalt selbst aber kann sich auf keinen geringeren Stifter berufen, als auf
Albrecht von Wallenstein.

Als er die Stadt käuflich vom Fiskus übernahm (im Dezember 1622 und
Januar 1623), dem sie nach der großen böhmischen Rebellion als das bisherige
Eigentum der geächteten Herren von Wartenberg und Saalhausen, den Besitz-
nachfolgcrn der Berta, zugefallen war, war die Gemeinde seit Jahrzehnten völlig
evangelisch. Schon im Januar 1623 wurde nun zwar die Hauptkirche unter
militärischer Assistenz vom Reichsstädter Dechanten in Besitz genommen, aber
noch im September 1624 mußte Wallenstein der Bürgerschaft "ernstlich be¬
fehlen," dem (katholischen) Gottesdienste beizuwohnen, was sie übrigens kaum
abhielt, die geheimen protestantischen Andachten im sogenannten Schlüssel der
Berta zu besuchen, bis auch das verhindert wurde, die große Masse sich äußer¬
lich unterwarf, die standhaften über die Grenze gingen, wie es eben überall
im Lande Böhmen geschah. In den Zusammenhang dieser katholisirenden Be-


der Berta von der Dudu unterworfen, dessen alter Stammsitz (Danha) nnr zwei
bis drei Meilen weiter südlich liegt, und von ihm um 1250 mit deutschem
Rechte bewidmet, ein vielbesuchter Durchgangsplatz an der großen Straße war,
die Prag mit der Lausitz und dem deutschen Nordosten verband. Die Bürger¬
schaft scheint sich dieser Vergangenheit bewußt zu sein, deren lebendige Vcr-
gegenwürtigung dem böhmischen Deutschtums den besten Halt giebt, denn sie
hält die Denkmäler ihrer Vorzeit in Ehren. Die Fassade des Rathauses wurde
restaurirt, und unten an der Wassergasse steht ein eigentümliches Bauwerk aus
dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts, das „rote Haus," laut Inschrift 1683
erbaut, 1883 reuovirt, die Langseite auf kräftigen Bögen über roten Pfeilern,
die einen Laubengang bilden, darüber ein Sims in Sgrafitto mit Jagdszenen,
im ersten Stock eine offene Bogcngalerie auf roten dorischen Säulen, im
Sgrafittofries, der sich über ihr hinzieht, zahlreiche Porträtköpfe; die glatten
Wandslüchen der Schmalseiten imitircn Quadratbckleidung, deren faeettenartige
Behandlung durch schwarzweiße Bemalung angedeutet wird, das Ganze von
kräftiger und malerischer Wirkung. Neben solcher achtungsvollen Wiederherstellung
alter Denkmäler beweisen stattliche Neubauten ein rüstiges Vorwärtsstreben.
In den Jahren 1880 und 1881 hat die Gemeinde auf einem der höchsten Punkte
der Stadt unweit des aussichtsreichen, ausgedehnten Stadtparks, einer ebenfalls
neuen Anlage, dein Gymnasium ein weithin sichtbares, ansehnliches Gebäude
errichtet, mit wahrhaft künstlerisch aufgeschmückten Vestibül, in dem eine Mar¬
mortafel die Namen der während der Bauzeit amtsführenden Leiter der Gemeinde
verkündet. Sie ist offenbar stolz auf den Bau und kann es sein, sie weiß auch,
daß ihr Deutschtum am sichersten in der Pflege höherer Bildung wurzelt.

Das Gymnasium steht in doppeltem Sinne auf historischem Boden. Ehe¬
mals nahm diesen Platz das sogenannte „Schlüssel" der Berta von der Duba
ein, ein ehrwürdiger Holzbau, der selbst die großen Brände überdauert hatte.
Die Anstalt selbst aber kann sich auf keinen geringeren Stifter berufen, als auf
Albrecht von Wallenstein.

Als er die Stadt käuflich vom Fiskus übernahm (im Dezember 1622 und
Januar 1623), dem sie nach der großen böhmischen Rebellion als das bisherige
Eigentum der geächteten Herren von Wartenberg und Saalhausen, den Besitz-
nachfolgcrn der Berta, zugefallen war, war die Gemeinde seit Jahrzehnten völlig
evangelisch. Schon im Januar 1623 wurde nun zwar die Hauptkirche unter
militärischer Assistenz vom Reichsstädter Dechanten in Besitz genommen, aber
noch im September 1624 mußte Wallenstein der Bürgerschaft „ernstlich be¬
fehlen," dem (katholischen) Gottesdienste beizuwohnen, was sie übrigens kaum
abhielt, die geheimen protestantischen Andachten im sogenannten Schlüssel der
Berta zu besuchen, bis auch das verhindert wurde, die große Masse sich äußer¬
lich unterwarf, die standhaften über die Grenze gingen, wie es eben überall
im Lande Böhmen geschah. In den Zusammenhang dieser katholisirenden Be-


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[0239] der Berta von der Dudu unterworfen, dessen alter Stammsitz (Danha) nnr zwei bis drei Meilen weiter südlich liegt, und von ihm um 1250 mit deutschem Rechte bewidmet, ein vielbesuchter Durchgangsplatz an der großen Straße war, die Prag mit der Lausitz und dem deutschen Nordosten verband. Die Bürger¬ schaft scheint sich dieser Vergangenheit bewußt zu sein, deren lebendige Vcr- gegenwürtigung dem böhmischen Deutschtums den besten Halt giebt, denn sie hält die Denkmäler ihrer Vorzeit in Ehren. Die Fassade des Rathauses wurde restaurirt, und unten an der Wassergasse steht ein eigentümliches Bauwerk aus dem Ende des sechzehnten Jahrhunderts, das „rote Haus," laut Inschrift 1683 erbaut, 1883 reuovirt, die Langseite auf kräftigen Bögen über roten Pfeilern, die einen Laubengang bilden, darüber ein Sims in Sgrafitto mit Jagdszenen, im ersten Stock eine offene Bogcngalerie auf roten dorischen Säulen, im Sgrafittofries, der sich über ihr hinzieht, zahlreiche Porträtköpfe; die glatten Wandslüchen der Schmalseiten imitircn Quadratbckleidung, deren faeettenartige Behandlung durch schwarzweiße Bemalung angedeutet wird, das Ganze von kräftiger und malerischer Wirkung. Neben solcher achtungsvollen Wiederherstellung alter Denkmäler beweisen stattliche Neubauten ein rüstiges Vorwärtsstreben. In den Jahren 1880 und 1881 hat die Gemeinde auf einem der höchsten Punkte der Stadt unweit des aussichtsreichen, ausgedehnten Stadtparks, einer ebenfalls neuen Anlage, dein Gymnasium ein weithin sichtbares, ansehnliches Gebäude errichtet, mit wahrhaft künstlerisch aufgeschmückten Vestibül, in dem eine Mar¬ mortafel die Namen der während der Bauzeit amtsführenden Leiter der Gemeinde verkündet. Sie ist offenbar stolz auf den Bau und kann es sein, sie weiß auch, daß ihr Deutschtum am sichersten in der Pflege höherer Bildung wurzelt. Das Gymnasium steht in doppeltem Sinne auf historischem Boden. Ehe¬ mals nahm diesen Platz das sogenannte „Schlüssel" der Berta von der Duba ein, ein ehrwürdiger Holzbau, der selbst die großen Brände überdauert hatte. Die Anstalt selbst aber kann sich auf keinen geringeren Stifter berufen, als auf Albrecht von Wallenstein. Als er die Stadt käuflich vom Fiskus übernahm (im Dezember 1622 und Januar 1623), dem sie nach der großen böhmischen Rebellion als das bisherige Eigentum der geächteten Herren von Wartenberg und Saalhausen, den Besitz- nachfolgcrn der Berta, zugefallen war, war die Gemeinde seit Jahrzehnten völlig evangelisch. Schon im Januar 1623 wurde nun zwar die Hauptkirche unter militärischer Assistenz vom Reichsstädter Dechanten in Besitz genommen, aber noch im September 1624 mußte Wallenstein der Bürgerschaft „ernstlich be¬ fehlen," dem (katholischen) Gottesdienste beizuwohnen, was sie übrigens kaum abhielt, die geheimen protestantischen Andachten im sogenannten Schlüssel der Berta zu besuchen, bis auch das verhindert wurde, die große Masse sich äußer¬ lich unterwarf, die standhaften über die Grenze gingen, wie es eben überall im Lande Böhmen geschah. In den Zusammenhang dieser katholisirenden Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/239>, abgerufen am 01.07.2024.