Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Im Herzogtum Friodlcmd.

zugänglich, denn die weitläufige Anlage hat sich, übrigens gänzlich umgestaltet,
in ein Zuchthaus verwandelt (seit 1857). Aus der Mitte ungefähr des niedrigen,
meist nur einstöckigen Gebäudekvmplexes ragt die Kirche empor, ein hoher, aber
nicht eben umfänglicher Bau mit geschweiften Giebeln, von einem kleinen Dach¬
reiter überragt. Hier wurde Wallenstein an der Seite seiner ersten Gemahlin,
Lucrezia von Landeck, "die sein erstes Glück gegründet," beigesetzt, doch seine
letzte Ruhestätte fand er nicht hier. Als 1785 Kaiser Joseph der Zweite die
Karthause aufhob, ließ die Familie Waldftein die Neste des Ahnen nach der
Se. Annenkirche in Münchengrätz überführen, wo sie seitdem ruhen.

Den besten Blick auf die Karthause gewährt der schroffe Basaltkegel, der
sich, von einer kleinen Kapelle gekrönt, unmittelbar über ihr im Westen erhebt,
der Zebin. Da oben öffnet sich die umfassendste Rundschau: nach Süden und
Südosten hin, nach der Gegend von Königgrätz, eine flachwellige, scheinbar
unbegrenzte Ebene, ein fruchtbares Laud, von zahlreichen Dörfern besetzt und
von Obstbaumalleen nach allen Richtungen hin durchzogen, nach Westen hin
im Vordergrunde der Lindengang und die Turme des nahen Gitschin, sonst
ringsum im Norden und Nordosten waldige Höhenzüge in langen, geschwungenen
Linien, über ihnen die abenteuerlichen Zinken der Trosky, dort in blauer Ferne
die Kuppen des Riesengebirges. Ein freundliches und friedliches Bild, anders
als am Abende des blutigen 29. Juni 1866, als dort im Norden, bei Dilctz
und Eisenstadtl, auf beiden Seiten des Wiesenthales der Cidlina nach heißem
Kampfe die Österreicher und Sachsen den Preußen wichen. Wallensteins
Geist war nicht mit den kaiserlichen Waffen; doch ob er wohl den Ausgang
geändert hätte gegen den neuen "Löwen aus Mitternacht," der dort ans dem
Norden heranzog, um wenige Meilen weiter südvstwärts die Entscheidungsschlacht
zu schlagen, die den Träumen habsburgischer Oberherrschaft über Deutschland
ein Ende machte für immer?

Wie Wallenstein sich seine Residenz einrichtete, zeigt Gitschin; wie er für
die kirchlichen Institute sorgte, in denen er wichtige Stützen seiner Herrschaft
erblickte, tritt in Böhmisch-Leipa und auf dem Bösig hervor. Auf einer sanft
nach Norden ansteigenden Hochfläche über dem Polzenflusse gelegen, zeigt Leipa
dieselbe Anlage wie fast alle Städte in den deutsch-slavischen Landen und wie
auch Gitschin; um einen weiträumiger Markt, den "Ring," rechtwinklig sich
schneidende Straßen, nur daß hier die Laubengänge fehlen, die dort so malerisch
wirken. Aber so tschechisch Gitschin, so durch und durch deutsch erscheint Leipa.
Was große Brände, die verheerendsten 1787 und 1820, von alten Baudenk¬
mälern übrig gelassen haben, wie die Magdalenenkirche am Polzeu und die
gothische Kreuzkirche in der östlichen Vorstadt, ein Hans am Ring von
1555, ein andres mit zwei gefesselten Türken als Schildhalter u. a. in., das
deutet auf eine alte Blütezeit deutschen Bürgertums, als die Stadt, obwohl
keine königliche, sondern dem weithin mächtigen, deutsch-freundlichen Geschlechte


Im Herzogtum Friodlcmd.

zugänglich, denn die weitläufige Anlage hat sich, übrigens gänzlich umgestaltet,
in ein Zuchthaus verwandelt (seit 1857). Aus der Mitte ungefähr des niedrigen,
meist nur einstöckigen Gebäudekvmplexes ragt die Kirche empor, ein hoher, aber
nicht eben umfänglicher Bau mit geschweiften Giebeln, von einem kleinen Dach¬
reiter überragt. Hier wurde Wallenstein an der Seite seiner ersten Gemahlin,
Lucrezia von Landeck, „die sein erstes Glück gegründet," beigesetzt, doch seine
letzte Ruhestätte fand er nicht hier. Als 1785 Kaiser Joseph der Zweite die
Karthause aufhob, ließ die Familie Waldftein die Neste des Ahnen nach der
Se. Annenkirche in Münchengrätz überführen, wo sie seitdem ruhen.

Den besten Blick auf die Karthause gewährt der schroffe Basaltkegel, der
sich, von einer kleinen Kapelle gekrönt, unmittelbar über ihr im Westen erhebt,
der Zebin. Da oben öffnet sich die umfassendste Rundschau: nach Süden und
Südosten hin, nach der Gegend von Königgrätz, eine flachwellige, scheinbar
unbegrenzte Ebene, ein fruchtbares Laud, von zahlreichen Dörfern besetzt und
von Obstbaumalleen nach allen Richtungen hin durchzogen, nach Westen hin
im Vordergrunde der Lindengang und die Turme des nahen Gitschin, sonst
ringsum im Norden und Nordosten waldige Höhenzüge in langen, geschwungenen
Linien, über ihnen die abenteuerlichen Zinken der Trosky, dort in blauer Ferne
die Kuppen des Riesengebirges. Ein freundliches und friedliches Bild, anders
als am Abende des blutigen 29. Juni 1866, als dort im Norden, bei Dilctz
und Eisenstadtl, auf beiden Seiten des Wiesenthales der Cidlina nach heißem
Kampfe die Österreicher und Sachsen den Preußen wichen. Wallensteins
Geist war nicht mit den kaiserlichen Waffen; doch ob er wohl den Ausgang
geändert hätte gegen den neuen „Löwen aus Mitternacht," der dort ans dem
Norden heranzog, um wenige Meilen weiter südvstwärts die Entscheidungsschlacht
zu schlagen, die den Träumen habsburgischer Oberherrschaft über Deutschland
ein Ende machte für immer?

Wie Wallenstein sich seine Residenz einrichtete, zeigt Gitschin; wie er für
die kirchlichen Institute sorgte, in denen er wichtige Stützen seiner Herrschaft
erblickte, tritt in Böhmisch-Leipa und auf dem Bösig hervor. Auf einer sanft
nach Norden ansteigenden Hochfläche über dem Polzenflusse gelegen, zeigt Leipa
dieselbe Anlage wie fast alle Städte in den deutsch-slavischen Landen und wie
auch Gitschin; um einen weiträumiger Markt, den „Ring," rechtwinklig sich
schneidende Straßen, nur daß hier die Laubengänge fehlen, die dort so malerisch
wirken. Aber so tschechisch Gitschin, so durch und durch deutsch erscheint Leipa.
Was große Brände, die verheerendsten 1787 und 1820, von alten Baudenk¬
mälern übrig gelassen haben, wie die Magdalenenkirche am Polzeu und die
gothische Kreuzkirche in der östlichen Vorstadt, ein Hans am Ring von
1555, ein andres mit zwei gefesselten Türken als Schildhalter u. a. in., das
deutet auf eine alte Blütezeit deutschen Bürgertums, als die Stadt, obwohl
keine königliche, sondern dem weithin mächtigen, deutsch-freundlichen Geschlechte


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0238" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194914"/>
          <fw type="header" place="top"> Im Herzogtum Friodlcmd.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_777" prev="#ID_776"> zugänglich, denn die weitläufige Anlage hat sich, übrigens gänzlich umgestaltet,<lb/>
in ein Zuchthaus verwandelt (seit 1857). Aus der Mitte ungefähr des niedrigen,<lb/>
meist nur einstöckigen Gebäudekvmplexes ragt die Kirche empor, ein hoher, aber<lb/>
nicht eben umfänglicher Bau mit geschweiften Giebeln, von einem kleinen Dach¬<lb/>
reiter überragt. Hier wurde Wallenstein an der Seite seiner ersten Gemahlin,<lb/>
Lucrezia von Landeck, &#x201E;die sein erstes Glück gegründet," beigesetzt, doch seine<lb/>
letzte Ruhestätte fand er nicht hier. Als 1785 Kaiser Joseph der Zweite die<lb/>
Karthause aufhob, ließ die Familie Waldftein die Neste des Ahnen nach der<lb/>
Se. Annenkirche in Münchengrätz überführen, wo sie seitdem ruhen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_778"> Den besten Blick auf die Karthause gewährt der schroffe Basaltkegel, der<lb/>
sich, von einer kleinen Kapelle gekrönt, unmittelbar über ihr im Westen erhebt,<lb/>
der Zebin. Da oben öffnet sich die umfassendste Rundschau: nach Süden und<lb/>
Südosten hin, nach der Gegend von Königgrätz, eine flachwellige, scheinbar<lb/>
unbegrenzte Ebene, ein fruchtbares Laud, von zahlreichen Dörfern besetzt und<lb/>
von Obstbaumalleen nach allen Richtungen hin durchzogen, nach Westen hin<lb/>
im Vordergrunde der Lindengang und die Turme des nahen Gitschin, sonst<lb/>
ringsum im Norden und Nordosten waldige Höhenzüge in langen, geschwungenen<lb/>
Linien, über ihnen die abenteuerlichen Zinken der Trosky, dort in blauer Ferne<lb/>
die Kuppen des Riesengebirges. Ein freundliches und friedliches Bild, anders<lb/>
als am Abende des blutigen 29. Juni 1866, als dort im Norden, bei Dilctz<lb/>
und Eisenstadtl, auf beiden Seiten des Wiesenthales der Cidlina nach heißem<lb/>
Kampfe die Österreicher und Sachsen den Preußen wichen. Wallensteins<lb/>
Geist war nicht mit den kaiserlichen Waffen; doch ob er wohl den Ausgang<lb/>
geändert hätte gegen den neuen &#x201E;Löwen aus Mitternacht," der dort ans dem<lb/>
Norden heranzog, um wenige Meilen weiter südvstwärts die Entscheidungsschlacht<lb/>
zu schlagen, die den Träumen habsburgischer Oberherrschaft über Deutschland<lb/>
ein Ende machte für immer?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_779" next="#ID_780"> Wie Wallenstein sich seine Residenz einrichtete, zeigt Gitschin; wie er für<lb/>
die kirchlichen Institute sorgte, in denen er wichtige Stützen seiner Herrschaft<lb/>
erblickte, tritt in Böhmisch-Leipa und auf dem Bösig hervor. Auf einer sanft<lb/>
nach Norden ansteigenden Hochfläche über dem Polzenflusse gelegen, zeigt Leipa<lb/>
dieselbe Anlage wie fast alle Städte in den deutsch-slavischen Landen und wie<lb/>
auch Gitschin; um einen weiträumiger Markt, den &#x201E;Ring," rechtwinklig sich<lb/>
schneidende Straßen, nur daß hier die Laubengänge fehlen, die dort so malerisch<lb/>
wirken. Aber so tschechisch Gitschin, so durch und durch deutsch erscheint Leipa.<lb/>
Was große Brände, die verheerendsten 1787 und 1820, von alten Baudenk¬<lb/>
mälern übrig gelassen haben, wie die Magdalenenkirche am Polzeu und die<lb/>
gothische Kreuzkirche in der östlichen Vorstadt, ein Hans am Ring von<lb/>
1555, ein andres mit zwei gefesselten Türken als Schildhalter u. a. in., das<lb/>
deutet auf eine alte Blütezeit deutschen Bürgertums, als die Stadt, obwohl<lb/>
keine königliche, sondern dem weithin mächtigen, deutsch-freundlichen Geschlechte</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0238] Im Herzogtum Friodlcmd. zugänglich, denn die weitläufige Anlage hat sich, übrigens gänzlich umgestaltet, in ein Zuchthaus verwandelt (seit 1857). Aus der Mitte ungefähr des niedrigen, meist nur einstöckigen Gebäudekvmplexes ragt die Kirche empor, ein hoher, aber nicht eben umfänglicher Bau mit geschweiften Giebeln, von einem kleinen Dach¬ reiter überragt. Hier wurde Wallenstein an der Seite seiner ersten Gemahlin, Lucrezia von Landeck, „die sein erstes Glück gegründet," beigesetzt, doch seine letzte Ruhestätte fand er nicht hier. Als 1785 Kaiser Joseph der Zweite die Karthause aufhob, ließ die Familie Waldftein die Neste des Ahnen nach der Se. Annenkirche in Münchengrätz überführen, wo sie seitdem ruhen. Den besten Blick auf die Karthause gewährt der schroffe Basaltkegel, der sich, von einer kleinen Kapelle gekrönt, unmittelbar über ihr im Westen erhebt, der Zebin. Da oben öffnet sich die umfassendste Rundschau: nach Süden und Südosten hin, nach der Gegend von Königgrätz, eine flachwellige, scheinbar unbegrenzte Ebene, ein fruchtbares Laud, von zahlreichen Dörfern besetzt und von Obstbaumalleen nach allen Richtungen hin durchzogen, nach Westen hin im Vordergrunde der Lindengang und die Turme des nahen Gitschin, sonst ringsum im Norden und Nordosten waldige Höhenzüge in langen, geschwungenen Linien, über ihnen die abenteuerlichen Zinken der Trosky, dort in blauer Ferne die Kuppen des Riesengebirges. Ein freundliches und friedliches Bild, anders als am Abende des blutigen 29. Juni 1866, als dort im Norden, bei Dilctz und Eisenstadtl, auf beiden Seiten des Wiesenthales der Cidlina nach heißem Kampfe die Österreicher und Sachsen den Preußen wichen. Wallensteins Geist war nicht mit den kaiserlichen Waffen; doch ob er wohl den Ausgang geändert hätte gegen den neuen „Löwen aus Mitternacht," der dort ans dem Norden heranzog, um wenige Meilen weiter südvstwärts die Entscheidungsschlacht zu schlagen, die den Träumen habsburgischer Oberherrschaft über Deutschland ein Ende machte für immer? Wie Wallenstein sich seine Residenz einrichtete, zeigt Gitschin; wie er für die kirchlichen Institute sorgte, in denen er wichtige Stützen seiner Herrschaft erblickte, tritt in Böhmisch-Leipa und auf dem Bösig hervor. Auf einer sanft nach Norden ansteigenden Hochfläche über dem Polzenflusse gelegen, zeigt Leipa dieselbe Anlage wie fast alle Städte in den deutsch-slavischen Landen und wie auch Gitschin; um einen weiträumiger Markt, den „Ring," rechtwinklig sich schneidende Straßen, nur daß hier die Laubengänge fehlen, die dort so malerisch wirken. Aber so tschechisch Gitschin, so durch und durch deutsch erscheint Leipa. Was große Brände, die verheerendsten 1787 und 1820, von alten Baudenk¬ mälern übrig gelassen haben, wie die Magdalenenkirche am Polzeu und die gothische Kreuzkirche in der östlichen Vorstadt, ein Hans am Ring von 1555, ein andres mit zwei gefesselten Türken als Schildhalter u. a. in., das deutet auf eine alte Blütezeit deutschen Bürgertums, als die Stadt, obwohl keine königliche, sondern dem weithin mächtigen, deutsch-freundlichen Geschlechte

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/238
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/238>, abgerufen am 03.07.2024.