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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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lente, er schickte sogar aus Sagan und aus Mecklenburg Knaben dorthin und
behielt jeden einzelnen im Auge. Freilich hat er an diesem Orden nicht immer
Frende erlebt. Den Bekehrungseifer und die Novizenmacherei der Väter Jesu
mußte er gelegentlich scharf zurückweisen, und die Karthäuser begehrten statt der
Renten, die sie beziehen sollten, Grundbesitz, den ihnen der Herzog nicht geben
wollte, "denn, schrieb er einmal, ich will dem Clero nicht zuviel Güter ein¬
räumen." *)

Das alles ist nicht die Art eines gewöhnlichen Emporkömmlings, der vom
Glück erhoben nur an den Genuß des Augenblickes denkt; aus allem tritt eine
wahrhaft fürstliche Natur entgegen, die überall für die Zukunft sorgt. In der
That scheint dem Herzog niemals der Gedanke gekommen zu sein, daß seine
fürstliche Gewalt ein so rasches und blutiges Ende finden werde. Wie seine
Verfügungen, so erwecken seine baulichen Anlagen die Vorstellung, daß er sich
der glänzenden Zukunft seines Hauses ganz sicher glaubte, denn großartig wie
er gelebt, hat er gebaut, nicht für Jahrzehnte, sondern für Jahrhunderte. Und
was hat er in den kurzen zehn Jahren seines herzoglichen Regimentes, in einer
Periode voll kriegerischer Unruhe und materieller Not, von der er den größten
Teil -- mindestens sechs Jahre -- unter den Waffen verbrachte, nicht nur in
Prag, wo jeder seinen stolzen Palast auf der Kleinseite kennt, sondern vor allem
in seinen: Fürstentum geschaffen! Hier allerdings nicht in Friedland, wo er sich
nur selten kurze Zeit aufgehalten hat, sondern in und um Gitschin, in Leipa
und auf dem stolzen Bergkegel des Bösig wenige Meilen südöstlich davon. Hier
reden noch die Steine von dem Friedländer und seinem hochstrebenden Geiste.

Es ist nicht ganz bequem, nach Gitschin zu gelangen; zwar hat jetzt die
Stadt Eisenbahnverbindung, aber nur nach Süden und Westen (nach Pardnbitz,
Nienburg, Backofen) und zudem mit langsamem Sekundärbetrieb. Für den von
Norden kommenden empfahl es sich deshalb mehr, sich den Jährlichsten eines
k. k. Postwagens auszusetzen, der von Turnau aus meist durch anmutige Gegend
Tschechen und Deutsche, in ausgleichender Gerechtigkeit gleichmäßig sie durch¬
rüttelnd, in etwa drei Stunden südöstlich nach Gitschin befördert. Ist schon
der Stadt Turnau ein fast ausschließlich tschechischer Charakter auf¬
geprägt, sodaß nur wenige Firmen auch etwaige deutsche Besucher wohlmeinend
berücksichtigen und sogar die k. k. Post zu einigem Befremden des Ausländers,
der immer noch so naiv ist, das Deutsche mindestens für die thatsächliche Staats¬
sprache der "westlichen Reichshälfte" zu halten, ihren Fährschein in reinem
Tschechisch ausstellte, so verschwand während der Fahrt auf der Landstraße
jeder deutsche Laut und jedes deutsche Wort. Niemals konnte dem "Njemez,"



-) über die lcmdesfkrstliche Thätigkeit Wallensteins ist wohl immer noch das Beste:
Fr. Förster, Wallenstein als regierender Herzog und Landesherr in Raumers Historischen
Taschenbuch von 1834, dazu O. Hunziker, WaNenstein als Landesherr, insbesondre als Herzog
von Mecklenburg, Zürich, 187S, Rankes Wallenstein streift den Gegenstand nur gelegentlich.

lente, er schickte sogar aus Sagan und aus Mecklenburg Knaben dorthin und
behielt jeden einzelnen im Auge. Freilich hat er an diesem Orden nicht immer
Frende erlebt. Den Bekehrungseifer und die Novizenmacherei der Väter Jesu
mußte er gelegentlich scharf zurückweisen, und die Karthäuser begehrten statt der
Renten, die sie beziehen sollten, Grundbesitz, den ihnen der Herzog nicht geben
wollte, „denn, schrieb er einmal, ich will dem Clero nicht zuviel Güter ein¬
räumen." *)

Das alles ist nicht die Art eines gewöhnlichen Emporkömmlings, der vom
Glück erhoben nur an den Genuß des Augenblickes denkt; aus allem tritt eine
wahrhaft fürstliche Natur entgegen, die überall für die Zukunft sorgt. In der
That scheint dem Herzog niemals der Gedanke gekommen zu sein, daß seine
fürstliche Gewalt ein so rasches und blutiges Ende finden werde. Wie seine
Verfügungen, so erwecken seine baulichen Anlagen die Vorstellung, daß er sich
der glänzenden Zukunft seines Hauses ganz sicher glaubte, denn großartig wie
er gelebt, hat er gebaut, nicht für Jahrzehnte, sondern für Jahrhunderte. Und
was hat er in den kurzen zehn Jahren seines herzoglichen Regimentes, in einer
Periode voll kriegerischer Unruhe und materieller Not, von der er den größten
Teil — mindestens sechs Jahre — unter den Waffen verbrachte, nicht nur in
Prag, wo jeder seinen stolzen Palast auf der Kleinseite kennt, sondern vor allem
in seinen: Fürstentum geschaffen! Hier allerdings nicht in Friedland, wo er sich
nur selten kurze Zeit aufgehalten hat, sondern in und um Gitschin, in Leipa
und auf dem stolzen Bergkegel des Bösig wenige Meilen südöstlich davon. Hier
reden noch die Steine von dem Friedländer und seinem hochstrebenden Geiste.

Es ist nicht ganz bequem, nach Gitschin zu gelangen; zwar hat jetzt die
Stadt Eisenbahnverbindung, aber nur nach Süden und Westen (nach Pardnbitz,
Nienburg, Backofen) und zudem mit langsamem Sekundärbetrieb. Für den von
Norden kommenden empfahl es sich deshalb mehr, sich den Jährlichsten eines
k. k. Postwagens auszusetzen, der von Turnau aus meist durch anmutige Gegend
Tschechen und Deutsche, in ausgleichender Gerechtigkeit gleichmäßig sie durch¬
rüttelnd, in etwa drei Stunden südöstlich nach Gitschin befördert. Ist schon
der Stadt Turnau ein fast ausschließlich tschechischer Charakter auf¬
geprägt, sodaß nur wenige Firmen auch etwaige deutsche Besucher wohlmeinend
berücksichtigen und sogar die k. k. Post zu einigem Befremden des Ausländers,
der immer noch so naiv ist, das Deutsche mindestens für die thatsächliche Staats¬
sprache der „westlichen Reichshälfte" zu halten, ihren Fährschein in reinem
Tschechisch ausstellte, so verschwand während der Fahrt auf der Landstraße
jeder deutsche Laut und jedes deutsche Wort. Niemals konnte dem „Njemez,"



-) über die lcmdesfkrstliche Thätigkeit Wallensteins ist wohl immer noch das Beste:
Fr. Förster, Wallenstein als regierender Herzog und Landesherr in Raumers Historischen
Taschenbuch von 1834, dazu O. Hunziker, WaNenstein als Landesherr, insbesondre als Herzog
von Mecklenburg, Zürich, 187S, Rankes Wallenstein streift den Gegenstand nur gelegentlich.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/234>, abgerufen am 22.07.2024.