Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.Hin Herzogtum Friedland. dem Deutschen, deutlicher zum Bewußtsein kommen, daß die Slaven ihn mit Die Aufschrift Nösto .uom (Stadt Gitschin) auf weiß-rotem Schilde an Hin Herzogtum Friedland. dem Deutschen, deutlicher zum Bewußtsein kommen, daß die Slaven ihn mit Die Aufschrift Nösto .uom (Stadt Gitschin) auf weiß-rotem Schilde an <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0235" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194911"/> <fw type="header" place="top"> Hin Herzogtum Friedland.</fw><lb/> <p xml:id="ID_769" prev="#ID_768"> dem Deutschen, deutlicher zum Bewußtsein kommen, daß die Slaven ihn mit<lb/> dieser Benennung als den „Stummen" mit vollem Rechte bezeichnen. In¬<lb/> zwischen zog der Wagen seine Straße durch das freundliche Libunkathal, links<lb/> niedrige Höhen, die allmählich zum langgestreckten Rücken des Kozcckov empor¬<lb/> steigen, rechts die eigentümlichen Felsenmauern, welche kurz hinter Turnau das<lb/> Schloß Waldstein tragen, das Wallensteins Geschlecht den Namen gab, dann<lb/> in den steilen Sandsteiuwändeu von Groß-Skat gipfeln, etwas oberhalb des<lb/> besuchten Bades Wartenberg. Weiterhin ragt über dunkeln: Wald die wunder¬<lb/> same Doppelzinke der Trosky empor, eine charakteristische Landmarke für das<lb/> ganze nordöstliche Böhmen. Langsam windet, sich dann die Straße die Wasser¬<lb/> scheide nach der Cidlina hinauf, um endlich in fast schnurgerader Richtung, das<lb/> Schlachtfeld von 1866 der Länge nach durchschneidend, den weithin sichtbaren<lb/> Türmen Gitschins zuzueilen. Auf ihr zog am heißen 29. Juni die Division<lb/> von Tnmpling des brandenburgischen Armeekorps von der Jser her; dort links,<lb/> in Obstbäumen versteckt, liegt Diletz, wo gegen sie am späten Nachmittage die<lb/> tapfern Sachsen der Brigade „Kronprinz" in blutigem Kampfe standen, und da,<lb/> wo dicht vor der Stadt die Turnauer Straße in die westwärts nach Sobotka füh¬<lb/> rende einmündet, erhebt sich ein schlichter Obelisk, „dem Andenken der in der Schlacht<lb/> bei Gitschin am 29. Juni 1866 gefallenen österreichischen und sächsischen Krieger"<lb/> in deutscher und tschechischer Sprache gewidmet. Auf dieser ganzen Strecke ist<lb/> jeder Fußbreit Boden mit Blut getränkt, und hundert Schritte weiter führt über<lb/> den breiten, nassen Thalgrund der Cidlina, an der Schmalseite eines langgestreckten<lb/> Teiches vorüber, den sie an der Westseite der hochliegenden Stadt bildet, die<lb/> Holzbrücke, über die am späten Abend die Vortruppen der Division Werber<lb/> nach wechselvollem Kampfe in Gitschin eindrangen.</p><lb/> <p xml:id="ID_770" next="#ID_771"> Die Aufschrift Nösto .uom (Stadt Gitschin) auf weiß-rotem Schilde an<lb/> einem der ersten Häuser belehrt den Fremdling, daß er am Ziele augelangt sei.<lb/> Er kann von Glück sagen, wenn er zuvor sich eines slavischen Idioms befleißigt<lb/> hat, um den Ladenfirmen und den Verfügungen der gestrengen Obrigkeit etwas<lb/> Verständnis entgegenzubringen, denn in Gitschin hofft der Deutsche vergebens<lb/> auf eine deutsche Inschrift. Nur das „k. k. Bureau für Evidenzhaltung" (Be¬<lb/> zirkskommando) erinnert wenigstens daran, daß die Armeesprache vorläufig noch<lb/> deutsch ist, und wohl nur diesem Umstände zuliebe nennt sich der Gasthof zur<lb/> „Stadt Hamburg" auch so und nicht nur, wie auf der andern Seite zu lesen,<lb/> Nesto Ilnmbin'!'. denn dort schien das Hauptquartier der Offiziere zu sein und<lb/> kündigte sich ein „Leseverein" an, allerdings zur Herstellung der nationalen<lb/> Gleichberechtigung, auch ein OwnMky olens. Im übrigen herrschte im „Hotel<lb/> Rosoulek" das Tschechische vor, in der Sprache der Gäste wie in der der auf¬<lb/> liegenden Zeitschriften; doch behaupteteten die Münchner „Fliegenden Blätter"<lb/> auch hier siegreich ihre internationale Geltung. Überhaupt thut man gut, sich<lb/> die Tschechen nicht als fortwährend von Deutschenhaß sprudelnd vorzustellen;</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0235]
Hin Herzogtum Friedland.
dem Deutschen, deutlicher zum Bewußtsein kommen, daß die Slaven ihn mit
dieser Benennung als den „Stummen" mit vollem Rechte bezeichnen. In¬
zwischen zog der Wagen seine Straße durch das freundliche Libunkathal, links
niedrige Höhen, die allmählich zum langgestreckten Rücken des Kozcckov empor¬
steigen, rechts die eigentümlichen Felsenmauern, welche kurz hinter Turnau das
Schloß Waldstein tragen, das Wallensteins Geschlecht den Namen gab, dann
in den steilen Sandsteiuwändeu von Groß-Skat gipfeln, etwas oberhalb des
besuchten Bades Wartenberg. Weiterhin ragt über dunkeln: Wald die wunder¬
same Doppelzinke der Trosky empor, eine charakteristische Landmarke für das
ganze nordöstliche Böhmen. Langsam windet, sich dann die Straße die Wasser¬
scheide nach der Cidlina hinauf, um endlich in fast schnurgerader Richtung, das
Schlachtfeld von 1866 der Länge nach durchschneidend, den weithin sichtbaren
Türmen Gitschins zuzueilen. Auf ihr zog am heißen 29. Juni die Division
von Tnmpling des brandenburgischen Armeekorps von der Jser her; dort links,
in Obstbäumen versteckt, liegt Diletz, wo gegen sie am späten Nachmittage die
tapfern Sachsen der Brigade „Kronprinz" in blutigem Kampfe standen, und da,
wo dicht vor der Stadt die Turnauer Straße in die westwärts nach Sobotka füh¬
rende einmündet, erhebt sich ein schlichter Obelisk, „dem Andenken der in der Schlacht
bei Gitschin am 29. Juni 1866 gefallenen österreichischen und sächsischen Krieger"
in deutscher und tschechischer Sprache gewidmet. Auf dieser ganzen Strecke ist
jeder Fußbreit Boden mit Blut getränkt, und hundert Schritte weiter führt über
den breiten, nassen Thalgrund der Cidlina, an der Schmalseite eines langgestreckten
Teiches vorüber, den sie an der Westseite der hochliegenden Stadt bildet, die
Holzbrücke, über die am späten Abend die Vortruppen der Division Werber
nach wechselvollem Kampfe in Gitschin eindrangen.
Die Aufschrift Nösto .uom (Stadt Gitschin) auf weiß-rotem Schilde an
einem der ersten Häuser belehrt den Fremdling, daß er am Ziele augelangt sei.
Er kann von Glück sagen, wenn er zuvor sich eines slavischen Idioms befleißigt
hat, um den Ladenfirmen und den Verfügungen der gestrengen Obrigkeit etwas
Verständnis entgegenzubringen, denn in Gitschin hofft der Deutsche vergebens
auf eine deutsche Inschrift. Nur das „k. k. Bureau für Evidenzhaltung" (Be¬
zirkskommando) erinnert wenigstens daran, daß die Armeesprache vorläufig noch
deutsch ist, und wohl nur diesem Umstände zuliebe nennt sich der Gasthof zur
„Stadt Hamburg" auch so und nicht nur, wie auf der andern Seite zu lesen,
Nesto Ilnmbin'!'. denn dort schien das Hauptquartier der Offiziere zu sein und
kündigte sich ein „Leseverein" an, allerdings zur Herstellung der nationalen
Gleichberechtigung, auch ein OwnMky olens. Im übrigen herrschte im „Hotel
Rosoulek" das Tschechische vor, in der Sprache der Gäste wie in der der auf¬
liegenden Zeitschriften; doch behaupteteten die Münchner „Fliegenden Blätter"
auch hier siegreich ihre internationale Geltung. Überhaupt thut man gut, sich
die Tschechen nicht als fortwährend von Deutschenhaß sprudelnd vorzustellen;
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