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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Freisinnige Sünden.

der sich aus diesen Ausführungen in bezug auf einen ganz konkreten Fall zu
ergeben scheint. Welches dieser ganz konkrete Fall ist, offenbart er uns selber
am Schlüsse seines Artikels, Er kann es dem Engländer nicht hoch genug an¬
rechnen, daß er dem Kultus der Menschheit, welcher zwar eine bloße Phrase,
aber doch mehr als harmlose Phantasterei sei, ein Ende gemacht habe. Denn
von der Anbetung einer solchen Abstraktion sei es nicht weit zu dem Gedanken,
irgendeinem Vertreter der Menschheit, einem unfehlbaren Sterblichen praktisch
die Rolle der Vorsehung zuzuleiten. Und damit nicht irgendein harmloses Ge¬
müt auf den Gedanken komme, unter jenem unfehlbaren Sterblichen, vor dessen
Verehrung so nachdrücklich gewarnt wird, könne etwa der heilige Vater in Rom
gemeint sein, fährt der Verfasser erläuternd sort, es fehle nicht an Beispielen,
daß mächtige Staatsmänner in ihrer Person die Funktionen einer irdischen
Vorsehung zu konzentriren suchten, indem sie davon ausgingen, daß die Mensch¬
heit als Gesamtheit zu unbeholfen für eine solche Thätigkeit sei. Solche Konse¬
quenzen der Menschheitsreligion halte er für gefährlich, und er sei deshalb
dem Philosophen dankbar, der den Vordersatz umstoße.

Knie illa.6 1g.eriiQÄS. Also all dieser Eifer, die vertrauensselige Menschheit
vor allzu inniger Dankbarkeit gegen ihre Wohlthäter zu warnen, wird nur des¬
halb aufgewandt, damit das deutsche Volk sich nicht etwa verleiten lasse, seinen
größten Staatsmann als unfehlbar oder als eine Art von Vorsehung zu be¬
trachten.

Nun, der Verfasser möge sich beruhigen. Soviel wir gehört haben, ist die
Unfehlbarkeit des Reichskanzlers noch von keiner Versammlung proklamirt worden,
und auch Tempel oder Altäre sind ihm unsers Wissens bisher noch nicht er¬
richtet worden. Ein guter Teil der Deutschen ist nnr der einfältigen Meinung,
der Leiter unsrer öffentlichen Angelegenheiten habe nachgerade hinreichende Proben
seiner Befähigung abgelegt, um ein gewisses Bertrailen auch in bezug auf die¬
jenigen Maßregeln, deren Erfolg noch unbekannt ist, zu rechtfertigen, wenigstens
solange als nicht die Schädlichkeit derselben in evidenter Weise nachgewiesen ist.
Sie haben für diese ihre kindliche Anschauung einen Bundesgenossen an dem
bekannten Ausspruche des freilich heutzutage sehr altmodischen Aristoteles: wo
in einem Staate ein Bürger sich so vor den andern auszeichne, daß die Tugend
und staatliche Kunst aller andern zusammengenommen mit der seinigen nicht zu
vergleichen sei, da bleibe nichts weiter übrig, als daß alle ihm freiwillig ge¬
horchten.

Es ist zuzugeben, daß diese hervorragenden Männer selten genug vorkommen,
aber bisweilen werden sie durch eine besondre Gunst des Geschickes den Völkern
zuteil, und es ist immer eine große Unklugheit gewesen, wenn man diese seltene
Gabe undankbar zurückgestoßen hat, eine Unklugheit, die sich jedesmal an den
Betreffenden aufs bitterste gerächt hat, wofür vielleicht das schlagendste Beispiel
die Ermordung Cäsars ist.


Freisinnige Sünden.

der sich aus diesen Ausführungen in bezug auf einen ganz konkreten Fall zu
ergeben scheint. Welches dieser ganz konkrete Fall ist, offenbart er uns selber
am Schlüsse seines Artikels, Er kann es dem Engländer nicht hoch genug an¬
rechnen, daß er dem Kultus der Menschheit, welcher zwar eine bloße Phrase,
aber doch mehr als harmlose Phantasterei sei, ein Ende gemacht habe. Denn
von der Anbetung einer solchen Abstraktion sei es nicht weit zu dem Gedanken,
irgendeinem Vertreter der Menschheit, einem unfehlbaren Sterblichen praktisch
die Rolle der Vorsehung zuzuleiten. Und damit nicht irgendein harmloses Ge¬
müt auf den Gedanken komme, unter jenem unfehlbaren Sterblichen, vor dessen
Verehrung so nachdrücklich gewarnt wird, könne etwa der heilige Vater in Rom
gemeint sein, fährt der Verfasser erläuternd sort, es fehle nicht an Beispielen,
daß mächtige Staatsmänner in ihrer Person die Funktionen einer irdischen
Vorsehung zu konzentriren suchten, indem sie davon ausgingen, daß die Mensch¬
heit als Gesamtheit zu unbeholfen für eine solche Thätigkeit sei. Solche Konse¬
quenzen der Menschheitsreligion halte er für gefährlich, und er sei deshalb
dem Philosophen dankbar, der den Vordersatz umstoße.

Knie illa.6 1g.eriiQÄS. Also all dieser Eifer, die vertrauensselige Menschheit
vor allzu inniger Dankbarkeit gegen ihre Wohlthäter zu warnen, wird nur des¬
halb aufgewandt, damit das deutsche Volk sich nicht etwa verleiten lasse, seinen
größten Staatsmann als unfehlbar oder als eine Art von Vorsehung zu be¬
trachten.

Nun, der Verfasser möge sich beruhigen. Soviel wir gehört haben, ist die
Unfehlbarkeit des Reichskanzlers noch von keiner Versammlung proklamirt worden,
und auch Tempel oder Altäre sind ihm unsers Wissens bisher noch nicht er¬
richtet worden. Ein guter Teil der Deutschen ist nnr der einfältigen Meinung,
der Leiter unsrer öffentlichen Angelegenheiten habe nachgerade hinreichende Proben
seiner Befähigung abgelegt, um ein gewisses Bertrailen auch in bezug auf die¬
jenigen Maßregeln, deren Erfolg noch unbekannt ist, zu rechtfertigen, wenigstens
solange als nicht die Schädlichkeit derselben in evidenter Weise nachgewiesen ist.
Sie haben für diese ihre kindliche Anschauung einen Bundesgenossen an dem
bekannten Ausspruche des freilich heutzutage sehr altmodischen Aristoteles: wo
in einem Staate ein Bürger sich so vor den andern auszeichne, daß die Tugend
und staatliche Kunst aller andern zusammengenommen mit der seinigen nicht zu
vergleichen sei, da bleibe nichts weiter übrig, als daß alle ihm freiwillig ge¬
horchten.

Es ist zuzugeben, daß diese hervorragenden Männer selten genug vorkommen,
aber bisweilen werden sie durch eine besondre Gunst des Geschickes den Völkern
zuteil, und es ist immer eine große Unklugheit gewesen, wenn man diese seltene
Gabe undankbar zurückgestoßen hat, eine Unklugheit, die sich jedesmal an den
Betreffenden aufs bitterste gerächt hat, wofür vielleicht das schlagendste Beispiel
die Ermordung Cäsars ist.


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[0224] Freisinnige Sünden. der sich aus diesen Ausführungen in bezug auf einen ganz konkreten Fall zu ergeben scheint. Welches dieser ganz konkrete Fall ist, offenbart er uns selber am Schlüsse seines Artikels, Er kann es dem Engländer nicht hoch genug an¬ rechnen, daß er dem Kultus der Menschheit, welcher zwar eine bloße Phrase, aber doch mehr als harmlose Phantasterei sei, ein Ende gemacht habe. Denn von der Anbetung einer solchen Abstraktion sei es nicht weit zu dem Gedanken, irgendeinem Vertreter der Menschheit, einem unfehlbaren Sterblichen praktisch die Rolle der Vorsehung zuzuleiten. Und damit nicht irgendein harmloses Ge¬ müt auf den Gedanken komme, unter jenem unfehlbaren Sterblichen, vor dessen Verehrung so nachdrücklich gewarnt wird, könne etwa der heilige Vater in Rom gemeint sein, fährt der Verfasser erläuternd sort, es fehle nicht an Beispielen, daß mächtige Staatsmänner in ihrer Person die Funktionen einer irdischen Vorsehung zu konzentriren suchten, indem sie davon ausgingen, daß die Mensch¬ heit als Gesamtheit zu unbeholfen für eine solche Thätigkeit sei. Solche Konse¬ quenzen der Menschheitsreligion halte er für gefährlich, und er sei deshalb dem Philosophen dankbar, der den Vordersatz umstoße. Knie illa.6 1g.eriiQÄS. Also all dieser Eifer, die vertrauensselige Menschheit vor allzu inniger Dankbarkeit gegen ihre Wohlthäter zu warnen, wird nur des¬ halb aufgewandt, damit das deutsche Volk sich nicht etwa verleiten lasse, seinen größten Staatsmann als unfehlbar oder als eine Art von Vorsehung zu be¬ trachten. Nun, der Verfasser möge sich beruhigen. Soviel wir gehört haben, ist die Unfehlbarkeit des Reichskanzlers noch von keiner Versammlung proklamirt worden, und auch Tempel oder Altäre sind ihm unsers Wissens bisher noch nicht er¬ richtet worden. Ein guter Teil der Deutschen ist nnr der einfältigen Meinung, der Leiter unsrer öffentlichen Angelegenheiten habe nachgerade hinreichende Proben seiner Befähigung abgelegt, um ein gewisses Bertrailen auch in bezug auf die¬ jenigen Maßregeln, deren Erfolg noch unbekannt ist, zu rechtfertigen, wenigstens solange als nicht die Schädlichkeit derselben in evidenter Weise nachgewiesen ist. Sie haben für diese ihre kindliche Anschauung einen Bundesgenossen an dem bekannten Ausspruche des freilich heutzutage sehr altmodischen Aristoteles: wo in einem Staate ein Bürger sich so vor den andern auszeichne, daß die Tugend und staatliche Kunst aller andern zusammengenommen mit der seinigen nicht zu vergleichen sei, da bleibe nichts weiter übrig, als daß alle ihm freiwillig ge¬ horchten. Es ist zuzugeben, daß diese hervorragenden Männer selten genug vorkommen, aber bisweilen werden sie durch eine besondre Gunst des Geschickes den Völkern zuteil, und es ist immer eine große Unklugheit gewesen, wenn man diese seltene Gabe undankbar zurückgestoßen hat, eine Unklugheit, die sich jedesmal an den Betreffenden aufs bitterste gerächt hat, wofür vielleicht das schlagendste Beispiel die Ermordung Cäsars ist.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/224>, abgerufen am 22.07.2024.