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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Freisinnige Sünden.

der Verehrung der Gottheit diejenige der Menschheit zu setzen, wobei unter
Menschheit diejenigen großen Individuen verstanden werden, die sich um die
Kulturentwicklung in irgendeiner Weise verdient gemacht haben. Dieser Vorschlag
hat namentlich in der von Comte ihm gegebenen Fassung viel wunderliches, und
man wird den von Spencer gegen ihn erhobenen Einwendungen bezüglich mancher
Punkte nur beistimmen können. Bedenklich aber ist ein Argument, welches er
unter andern: gegen die Verehrung jener großen Individuen in die Schranken
führt. Er meint, man sei auch deshalb jenen Männern, die mit Wollen und
Wissen die Kulturentwicklung gefördert haben, keinen Dank schuldig, weil sich
dieselben nicht sowohl von selbstlosen Interesse an der Menschheit, als von
egoistischen Beweggründen hätten leiten lassen, möchten diese letztern nun in
der eignen Freude am Schaffen oder in der Hoffnung auf materiellen oder
geistigen Lohn bestehen. In dieser Allgemeinheit ist das entschieden nicht richtig.
Wenn jemand ein schönes Gedicht schafft oder ein schönes Bild malt, so läßt
er sich zunächst freilich durch seinen Schaffenstrieb bestimmen, dem das Kunst¬
werk als solches Selbstzweck ist; daneben aber hat er doch beständig das Gefühl,
daß das, was er schafft, dazu geeignet sei, andern Freude zu machen, und dieses
Bewußtsein giebt seinem Thun erst den rechten Nachdruck und die rechte
Freudigkeit. Noch unmittelbarer füllt beim Erfinder und vollends beim Staats¬
mann die Freude an der eignen Thätigkeit mit der Freude an dem durch diese
Thätigkeit bewirkten allgemeinen Nutzen zusammen. Denn jedem Staatsmanne,
der nicht von der nacktesten persönlichen Herrschsucht bestimmt ist, gewährt seine
Thätigkeit doch nur eben deshalb Befriedigung, weil sie der Allgemeinheit dient.
Wollten wir denen, welche auf diesem Gebiete mit Absicht und Bewußtsein
erfolgreich thätig find, deshalb unsern Dank versagen, weil ihr Wirken bis zu
einem gewissen Grade immer gleichzeitig unter dem Einflüsse egoistischer Motive
steht, so müßte die Dankbarkeit als solche aus der Welt verbannt werden, denn
wer immer wohlthätig wirkt, wird dies auch seiner eignen Selbstbefriedigung
halber thun.

Indes die von dem englischen Philosophen eröffnete Aussicht, der manchmal
recht unbequemen Dankverpflichtung, welche die Verdienste großer Männer uns
auferlegen, durch die jederzeit mögliche Berufung auf deren etwaige egoistische
Motive entgehen zu können, ist dem Zeitgeist viel zu willkommen, als daß seine
Ausführungen nicht auch diesseits des Kanals freudige Zustimmung hätten
finden sollen. So finden wir sie beispielsweise in einem Aufsatze "Von dem
Werte der Menschheit," welchen die "Nation," das Organ des rechten Flügels
der deutsch-freisinnige" Partei, am 1. November v. I. veröffentlicht hat, wieder¬
gegeben und beifällig kommentirt. Den Verfasser dieses Aufsatzes interesstrt als
Laien und immer auf das "Aktuelle" gerichteten Politiker, dem es nicht sowohl
um die allgemeinen Gedanken als solcher, als vielmehr um die Verwertung
derselben für die Erfordernisse des Tages zu thun ist, vor allem der Nutzen,


Freisinnige Sünden.

der Verehrung der Gottheit diejenige der Menschheit zu setzen, wobei unter
Menschheit diejenigen großen Individuen verstanden werden, die sich um die
Kulturentwicklung in irgendeiner Weise verdient gemacht haben. Dieser Vorschlag
hat namentlich in der von Comte ihm gegebenen Fassung viel wunderliches, und
man wird den von Spencer gegen ihn erhobenen Einwendungen bezüglich mancher
Punkte nur beistimmen können. Bedenklich aber ist ein Argument, welches er
unter andern: gegen die Verehrung jener großen Individuen in die Schranken
führt. Er meint, man sei auch deshalb jenen Männern, die mit Wollen und
Wissen die Kulturentwicklung gefördert haben, keinen Dank schuldig, weil sich
dieselben nicht sowohl von selbstlosen Interesse an der Menschheit, als von
egoistischen Beweggründen hätten leiten lassen, möchten diese letztern nun in
der eignen Freude am Schaffen oder in der Hoffnung auf materiellen oder
geistigen Lohn bestehen. In dieser Allgemeinheit ist das entschieden nicht richtig.
Wenn jemand ein schönes Gedicht schafft oder ein schönes Bild malt, so läßt
er sich zunächst freilich durch seinen Schaffenstrieb bestimmen, dem das Kunst¬
werk als solches Selbstzweck ist; daneben aber hat er doch beständig das Gefühl,
daß das, was er schafft, dazu geeignet sei, andern Freude zu machen, und dieses
Bewußtsein giebt seinem Thun erst den rechten Nachdruck und die rechte
Freudigkeit. Noch unmittelbarer füllt beim Erfinder und vollends beim Staats¬
mann die Freude an der eignen Thätigkeit mit der Freude an dem durch diese
Thätigkeit bewirkten allgemeinen Nutzen zusammen. Denn jedem Staatsmanne,
der nicht von der nacktesten persönlichen Herrschsucht bestimmt ist, gewährt seine
Thätigkeit doch nur eben deshalb Befriedigung, weil sie der Allgemeinheit dient.
Wollten wir denen, welche auf diesem Gebiete mit Absicht und Bewußtsein
erfolgreich thätig find, deshalb unsern Dank versagen, weil ihr Wirken bis zu
einem gewissen Grade immer gleichzeitig unter dem Einflüsse egoistischer Motive
steht, so müßte die Dankbarkeit als solche aus der Welt verbannt werden, denn
wer immer wohlthätig wirkt, wird dies auch seiner eignen Selbstbefriedigung
halber thun.

Indes die von dem englischen Philosophen eröffnete Aussicht, der manchmal
recht unbequemen Dankverpflichtung, welche die Verdienste großer Männer uns
auferlegen, durch die jederzeit mögliche Berufung auf deren etwaige egoistische
Motive entgehen zu können, ist dem Zeitgeist viel zu willkommen, als daß seine
Ausführungen nicht auch diesseits des Kanals freudige Zustimmung hätten
finden sollen. So finden wir sie beispielsweise in einem Aufsatze „Von dem
Werte der Menschheit," welchen die „Nation," das Organ des rechten Flügels
der deutsch-freisinnige» Partei, am 1. November v. I. veröffentlicht hat, wieder¬
gegeben und beifällig kommentirt. Den Verfasser dieses Aufsatzes interesstrt als
Laien und immer auf das „Aktuelle" gerichteten Politiker, dem es nicht sowohl
um die allgemeinen Gedanken als solcher, als vielmehr um die Verwertung
derselben für die Erfordernisse des Tages zu thun ist, vor allem der Nutzen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/223>, abgerufen am 22.07.2024.