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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Erfüllung gelangt ist, daß in ersterem eine lange und geschlossene Reihe von
Hinweisungen auf die Segnungen liege, die durch den Erlöser geschaffen worden
sind, ist der stehende Gedanke in den Schriften der Kirchenväter, ein Gedanke,
welcher sich tief in die ganze Auffassungsweise des Volkes einsenkte und sofort
im Bilde verkörpert wurde, als die Kunst in lebendiger Regung sich geltend
machte. Schon auf einem Email-Antipendinm aus dem Stifte Klosterneuburg/')
einem Werke des zwölftel, Jahrhunderts, tritt er uns vollständig ausgebildet
entgegen. Die neutestamentlichen Begebenheiten beginnen mit der Verkündigung
Marias, führen die bedeutsamsten Momente aus dem Leben Christi vor Augen
und schließen mit dem Reiche der Zukunft, wo Christus als Weltrichter seine
zweite Ankunft feiert. Dieser Reihe von Darstellungen gehen zwei Reihen alt-
testamentlicher Vorbilder zur Seite; die obere Reihe nimmt ihre Typen aus
der Zeit vor der Gesetzgebung Mosis -- into lögsm --, die untere enthält
die Darstellungen ans der Zeit der Herrschaft der mosaischen Gesetze -- sud
IfiKL --, zwischen beiden erscheinen die Darstellungen des neuen Bundes, der
Zeit des Heils -- "u1> ZMin. Ist in diesem Werke ein direkter Zusammen¬
hang mit der späteren Armenbibel noch nicht nachweisbar, so begegnen wir
einem zweiten, dessen Abfassung in nicht viel spätere Zeit zu setzen ist und das
uns als direkte Quelle der gedruckten Liblig. ^mxizruni, entgegentritt. Es ist
ein Manuskript, das im Stifte Sankt Florian in Oberösterreich bewahrt wird,**)
fast zweihundert Jahre älter ist als die Armenbibel, aber schon die nämlichen
Kompositionen enthält wie diese. Wie in der Armenbibel, ist auch hier die
neutestamentliche Darstellung, welche den Mittelraum einnimmt, von den Halb-
gestalteu vou vier Propheten umgeben, mit Spruchbändern in den Händen,
worauf die Worte der Verheißung angebracht sind. Die Armenbibcl ist also
ein bloßer wortgetreuer Abdruck einer viel älteren Quelle.

Ebenso klar ist der Zusammenhang mit alten Miniaturen bei dem Vater¬
unser nachzuweisen. Die Holzschnitte desselben sind den zwölf Miniaturen eines
von Henrieus und Pomerio 1440 angefertigten, 8xirit,uÄl<z ?oinsriuiri betitelten
Manuskriptes verwandt, welches die Bibliothek von Brüssel bewahrt und worin
die Seele belehrt wird, wie sie sich zu jeder Stunde des Tages in frommen
Meditationen zu üben habe. Das O-urtieurn og-ntioornin hängt zusammen mit
einem Werke des heiligen Bonaventurci. Man hat festgestellt, daß Bonaventura
in einer seiner Abhandlungen der Jungfrau Maria die meisten Verse in den
Mund legt, die man auf den Bändern des (^ntioum, liest. Auch der Umstand,
daß wir auf der ersten Tafel Mönche des Franzistanervrdens fehen, dessen
General Bonaventura war, weist daraus hin, daß der erste Ursprung des Buches
im Kreise der Franziskaner zu suchen ist. Offenbar hat ein italienisches Mi-




*) Veröffentlicht von Cmuesüm und Heider, Wien, 1860.
**) Veröffentlicht von Ccunesina und Heider, Wien, 1863.

Erfüllung gelangt ist, daß in ersterem eine lange und geschlossene Reihe von
Hinweisungen auf die Segnungen liege, die durch den Erlöser geschaffen worden
sind, ist der stehende Gedanke in den Schriften der Kirchenväter, ein Gedanke,
welcher sich tief in die ganze Auffassungsweise des Volkes einsenkte und sofort
im Bilde verkörpert wurde, als die Kunst in lebendiger Regung sich geltend
machte. Schon auf einem Email-Antipendinm aus dem Stifte Klosterneuburg/')
einem Werke des zwölftel, Jahrhunderts, tritt er uns vollständig ausgebildet
entgegen. Die neutestamentlichen Begebenheiten beginnen mit der Verkündigung
Marias, führen die bedeutsamsten Momente aus dem Leben Christi vor Augen
und schließen mit dem Reiche der Zukunft, wo Christus als Weltrichter seine
zweite Ankunft feiert. Dieser Reihe von Darstellungen gehen zwei Reihen alt-
testamentlicher Vorbilder zur Seite; die obere Reihe nimmt ihre Typen aus
der Zeit vor der Gesetzgebung Mosis — into lögsm —, die untere enthält
die Darstellungen ans der Zeit der Herrschaft der mosaischen Gesetze — sud
IfiKL —, zwischen beiden erscheinen die Darstellungen des neuen Bundes, der
Zeit des Heils — «u1> ZMin. Ist in diesem Werke ein direkter Zusammen¬
hang mit der späteren Armenbibel noch nicht nachweisbar, so begegnen wir
einem zweiten, dessen Abfassung in nicht viel spätere Zeit zu setzen ist und das
uns als direkte Quelle der gedruckten Liblig. ^mxizruni, entgegentritt. Es ist
ein Manuskript, das im Stifte Sankt Florian in Oberösterreich bewahrt wird,**)
fast zweihundert Jahre älter ist als die Armenbibel, aber schon die nämlichen
Kompositionen enthält wie diese. Wie in der Armenbibel, ist auch hier die
neutestamentliche Darstellung, welche den Mittelraum einnimmt, von den Halb-
gestalteu vou vier Propheten umgeben, mit Spruchbändern in den Händen,
worauf die Worte der Verheißung angebracht sind. Die Armenbibcl ist also
ein bloßer wortgetreuer Abdruck einer viel älteren Quelle.

Ebenso klar ist der Zusammenhang mit alten Miniaturen bei dem Vater¬
unser nachzuweisen. Die Holzschnitte desselben sind den zwölf Miniaturen eines
von Henrieus und Pomerio 1440 angefertigten, 8xirit,uÄl<z ?oinsriuiri betitelten
Manuskriptes verwandt, welches die Bibliothek von Brüssel bewahrt und worin
die Seele belehrt wird, wie sie sich zu jeder Stunde des Tages in frommen
Meditationen zu üben habe. Das O-urtieurn og-ntioornin hängt zusammen mit
einem Werke des heiligen Bonaventurci. Man hat festgestellt, daß Bonaventura
in einer seiner Abhandlungen der Jungfrau Maria die meisten Verse in den
Mund legt, die man auf den Bändern des (^ntioum, liest. Auch der Umstand,
daß wir auf der ersten Tafel Mönche des Franzistanervrdens fehen, dessen
General Bonaventura war, weist daraus hin, daß der erste Ursprung des Buches
im Kreise der Franziskaner zu suchen ist. Offenbar hat ein italienisches Mi-




*) Veröffentlicht von Cmuesüm und Heider, Wien, 1860.
**) Veröffentlicht von Ccunesina und Heider, Wien, 1863.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/193>, abgerufen am 22.07.2024.