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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Der Buchdruck vor Gutenberg.

niaturwerk dem Xylographen vorgeleget!, worauf auch die etwas italienische
Formenbehandlung hinweist. Es kann als sicher gelten, daß bei weiterer Nach¬
forschung sich auch noch für andre Blockbücher der Zusammenhang mit mittel¬
alterlichen Manuskripten wird feststellen lassen.

Die Zeit, in welcher diese mittelalterlichen Schriften durch den Hvlztafel-
drnck neu verbreitet wurden, wurde früher viel zu früh augesetzt. Die Haupt¬
thätigkeit in den Niederlanden scheint in die vierziger Jahre des fünfzehnten
Jahrhunderts zu fallen. Damals dürften dort die ersten Ausgaben der Armen¬
bibel, der Apokalypse und des Heilsspiegels entstanden sein, während das (lau-
tieum und das Vaterunser etwa ins Jahr 1450 fallen. In der zweiten Hälfte
des Jahrhunderts war dann die Thätigkeit in Deutschland eine besonders rege.
Der Vorrang scheint hier den Kölnischen Ausgaben der ^r>8 riioriemäi zu ge¬
bühren, die wohl noch in der ersten Hälfte des Jahrhunderts, 1440 bis 1450,
entstanden find. Das De4Susa'iurn., die ^rs lnsravrMäi, das Buch der Könige,
die Zehn Gebote, der Antichrist, die Passion, das Apostelsymbol, der Toten¬
tanz und die Fabel vom kranken Löwen werden der Mitte des Jahrhunderts
angehören. Etwa ins Jahr 1460 setzt man die acht Schalkheiten, ins Jahr
1466 die Legende vom heiligen Meinrad und das 3Aos Usg'iun. Besonders
viel wurde dann in den siebziger Jahren veröffentlicht. 1470 entstand die
Nördlinger, 1475 die Nürnberger Ausgabe der Armenbibel, 1473 die Bam-
berger, 1477 die Ulmer Ausgabe der ^rs raorlöväi; 1470 bis 1473 druckte
man die .Kalender des Johannes von Gmünd und des Regiomontanus. Auch
das "Heilige und profane Rom" muß damals, in den Jahren 1471 bis 1484,
entstanden sein, da sich unter den Wappen dasjenige des Papstes Sixtus IV.
befindet. Und noch in den letzten zwanzig Jahren des Jahrhunderts wurde
der Hvlztafeldruck in Deutschland rüstig weiter betrieben. So weist bei dem
Beichtspiegel der Stil der Teppiche, welche im Hintergründe der Holzschnitte
hängen, auf die neunziger Jahre des fünfzehnten Jahrhunderts hin. Als eines
der letzten deutschen Werke kann schließlich die Chiromantie gelten, da Jörg
Schapff zu Augsburg, der sich auf der letzten Seite des Buches als den Fvrm-
schneider bezeichnet, in den Augsburger Steuerbüchern vom Jahre 1473 bis
zum Jahre 1516 zu verfolgen ist. Es ist also eigentlich nicht richtig, von
einem "Buchdruck vor Gutenberg" zu reden; wir beobachten vielmehr in den
Blockbüchern das letzte Ringen der alten Kartenmacher mit den neuen Buch¬
druckern und sehen, daß noch lange nach der Erfindung der Buchdruckerkunst
das alte Gewerbe der Briefdrucker, wenn auch in beschränkterem Maße, weiter
betrieben wurde.

Daß wir über alle diese Dinge jetzt besser als früher unterrichtet sind,
verdanken wir hauptsächlich einem neuen, vielversprechenden Buche, dein Niinuc-I
cle ä'vswmpvL, dessen Herausgabe Eugene Dutuit, ein allen Kunst¬
freunden als Kenner und Sammler alter Drucke längst bekannter Gelehrter,


Der Buchdruck vor Gutenberg.

niaturwerk dem Xylographen vorgeleget!, worauf auch die etwas italienische
Formenbehandlung hinweist. Es kann als sicher gelten, daß bei weiterer Nach¬
forschung sich auch noch für andre Blockbücher der Zusammenhang mit mittel¬
alterlichen Manuskripten wird feststellen lassen.

Die Zeit, in welcher diese mittelalterlichen Schriften durch den Hvlztafel-
drnck neu verbreitet wurden, wurde früher viel zu früh augesetzt. Die Haupt¬
thätigkeit in den Niederlanden scheint in die vierziger Jahre des fünfzehnten
Jahrhunderts zu fallen. Damals dürften dort die ersten Ausgaben der Armen¬
bibel, der Apokalypse und des Heilsspiegels entstanden sein, während das (lau-
tieum und das Vaterunser etwa ins Jahr 1450 fallen. In der zweiten Hälfte
des Jahrhunderts war dann die Thätigkeit in Deutschland eine besonders rege.
Der Vorrang scheint hier den Kölnischen Ausgaben der ^r>8 riioriemäi zu ge¬
bühren, die wohl noch in der ersten Hälfte des Jahrhunderts, 1440 bis 1450,
entstanden find. Das De4Susa'iurn., die ^rs lnsravrMäi, das Buch der Könige,
die Zehn Gebote, der Antichrist, die Passion, das Apostelsymbol, der Toten¬
tanz und die Fabel vom kranken Löwen werden der Mitte des Jahrhunderts
angehören. Etwa ins Jahr 1460 setzt man die acht Schalkheiten, ins Jahr
1466 die Legende vom heiligen Meinrad und das 3Aos Usg'iun. Besonders
viel wurde dann in den siebziger Jahren veröffentlicht. 1470 entstand die
Nördlinger, 1475 die Nürnberger Ausgabe der Armenbibel, 1473 die Bam-
berger, 1477 die Ulmer Ausgabe der ^rs raorlöväi; 1470 bis 1473 druckte
man die .Kalender des Johannes von Gmünd und des Regiomontanus. Auch
das „Heilige und profane Rom" muß damals, in den Jahren 1471 bis 1484,
entstanden sein, da sich unter den Wappen dasjenige des Papstes Sixtus IV.
befindet. Und noch in den letzten zwanzig Jahren des Jahrhunderts wurde
der Hvlztafeldruck in Deutschland rüstig weiter betrieben. So weist bei dem
Beichtspiegel der Stil der Teppiche, welche im Hintergründe der Holzschnitte
hängen, auf die neunziger Jahre des fünfzehnten Jahrhunderts hin. Als eines
der letzten deutschen Werke kann schließlich die Chiromantie gelten, da Jörg
Schapff zu Augsburg, der sich auf der letzten Seite des Buches als den Fvrm-
schneider bezeichnet, in den Augsburger Steuerbüchern vom Jahre 1473 bis
zum Jahre 1516 zu verfolgen ist. Es ist also eigentlich nicht richtig, von
einem „Buchdruck vor Gutenberg" zu reden; wir beobachten vielmehr in den
Blockbüchern das letzte Ringen der alten Kartenmacher mit den neuen Buch¬
druckern und sehen, daß noch lange nach der Erfindung der Buchdruckerkunst
das alte Gewerbe der Briefdrucker, wenn auch in beschränkterem Maße, weiter
betrieben wurde.

Daß wir über alle diese Dinge jetzt besser als früher unterrichtet sind,
verdanken wir hauptsächlich einem neuen, vielversprechenden Buche, dein Niinuc-I
cle ä'vswmpvL, dessen Herausgabe Eugene Dutuit, ein allen Kunst¬
freunden als Kenner und Sammler alter Drucke längst bekannter Gelehrter,


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[0194] Der Buchdruck vor Gutenberg. niaturwerk dem Xylographen vorgeleget!, worauf auch die etwas italienische Formenbehandlung hinweist. Es kann als sicher gelten, daß bei weiterer Nach¬ forschung sich auch noch für andre Blockbücher der Zusammenhang mit mittel¬ alterlichen Manuskripten wird feststellen lassen. Die Zeit, in welcher diese mittelalterlichen Schriften durch den Hvlztafel- drnck neu verbreitet wurden, wurde früher viel zu früh augesetzt. Die Haupt¬ thätigkeit in den Niederlanden scheint in die vierziger Jahre des fünfzehnten Jahrhunderts zu fallen. Damals dürften dort die ersten Ausgaben der Armen¬ bibel, der Apokalypse und des Heilsspiegels entstanden sein, während das (lau- tieum und das Vaterunser etwa ins Jahr 1450 fallen. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts war dann die Thätigkeit in Deutschland eine besonders rege. Der Vorrang scheint hier den Kölnischen Ausgaben der ^r>8 riioriemäi zu ge¬ bühren, die wohl noch in der ersten Hälfte des Jahrhunderts, 1440 bis 1450, entstanden find. Das De4Susa'iurn., die ^rs lnsravrMäi, das Buch der Könige, die Zehn Gebote, der Antichrist, die Passion, das Apostelsymbol, der Toten¬ tanz und die Fabel vom kranken Löwen werden der Mitte des Jahrhunderts angehören. Etwa ins Jahr 1460 setzt man die acht Schalkheiten, ins Jahr 1466 die Legende vom heiligen Meinrad und das 3Aos Usg'iun. Besonders viel wurde dann in den siebziger Jahren veröffentlicht. 1470 entstand die Nördlinger, 1475 die Nürnberger Ausgabe der Armenbibel, 1473 die Bam- berger, 1477 die Ulmer Ausgabe der ^rs raorlöväi; 1470 bis 1473 druckte man die .Kalender des Johannes von Gmünd und des Regiomontanus. Auch das „Heilige und profane Rom" muß damals, in den Jahren 1471 bis 1484, entstanden sein, da sich unter den Wappen dasjenige des Papstes Sixtus IV. befindet. Und noch in den letzten zwanzig Jahren des Jahrhunderts wurde der Hvlztafeldruck in Deutschland rüstig weiter betrieben. So weist bei dem Beichtspiegel der Stil der Teppiche, welche im Hintergründe der Holzschnitte hängen, auf die neunziger Jahre des fünfzehnten Jahrhunderts hin. Als eines der letzten deutschen Werke kann schließlich die Chiromantie gelten, da Jörg Schapff zu Augsburg, der sich auf der letzten Seite des Buches als den Fvrm- schneider bezeichnet, in den Augsburger Steuerbüchern vom Jahre 1473 bis zum Jahre 1516 zu verfolgen ist. Es ist also eigentlich nicht richtig, von einem „Buchdruck vor Gutenberg" zu reden; wir beobachten vielmehr in den Blockbüchern das letzte Ringen der alten Kartenmacher mit den neuen Buch¬ druckern und sehen, daß noch lange nach der Erfindung der Buchdruckerkunst das alte Gewerbe der Briefdrucker, wenn auch in beschränkterem Maße, weiter betrieben wurde. Daß wir über alle diese Dinge jetzt besser als früher unterrichtet sind, verdanken wir hauptsächlich einem neuen, vielversprechenden Buche, dein Niinuc-I cle ä'vswmpvL, dessen Herausgabe Eugene Dutuit, ein allen Kunst¬ freunden als Kenner und Sammler alter Drucke längst bekannter Gelehrter,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/194>, abgerufen am 22.07.2024.