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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Regensburg als Verfertiger, Die Sprache des Textes ist aber ganz schwäbisch,
und Meister Lienhart scheint mit einem Ulmer Formschueider Lienhart identisch
zu sein, der in den dortigen Urkunden unter dem Jahre 1442 erwähnt wird
und wahrscheinlich wie viele andre Formschneider Schulden halber aus Ulm
ausgewiesen wurde. Ein Hauptort in Bairen wurde dann das Kloster Tegernsee,
wo wahrscheinlich das L^mboluw Apo8t,0ki<mur entworfen wurde. Der Haupt¬
sitz der fränkischen Schule endlich ist Nürnberg, und von Druckern ist nament¬
lich ein auch später uoch nachweisbarer Hans Sporer bekannt. Er veröffent¬
lichte im Jahre 1472 eine Ausgabe des Antichrist, welche auf der ersten Seite
die Angabe enthält: "Der jung hanns priffmaler hat das puch zu Nürn¬
berg 1472 ^gedruckt!," sowie im Jahre 1475 die zweite deutsche Ausgabe der
Livus, xg,uvvrum.

Mit dem Umstände, daß es einfache Formschneider, keine Künstler waren,
welche die Zeichnungen anfertigten, hängt nun ein weiterer Punkt zusammen,
nämlich daß die Kompositionen nicht selbständig sind, sondern auf alte Vorlagen
zurückgehen. Die erste Thätigkeit der Xylographie bestand darin, alte, im Mittel¬
alter beliebte handschriftliche Werke in Massen zu verbreiten, und so gehen auch
die Holzschnitte fast sämtlich auf Miniaturen alter Manuskripte zurück. Mau
kam auf diesen Gedanken zuerst bei der Prüfung der Apokalypse. Die Holz¬
schnitte derselben zeigen einen ausgesprochen byzantinischen Stil, und da sie aus
diesem Grunde keinem abendländischen Künstler des fünfzehnten Jahrhunderts
angehören konnten, nahm man zuerst an, daß sie das Werk eines der griechischen
Künstler seien, die nach der Einnahme von Konstantinopel 1453 aus ihrem
Lande vertrieben wurden. Später fand mau die einfachere Lösung, nämlich daß
die Holzschnitte uralte mittelalterliche Miniaturen kopiren. Die Apokalypse
eignete sich ja mehr als jedes andre Buch zur Illustration und hat zu allen
Zeiten die Geister zum Grübeln angeregt. Johannes war der Lieblingsapostel
Griechenlands, und so hat Ostrom früh den Cyklus der apokalyptischen Illu¬
strationen festgestellt. Dieser Cyklus wurde bald nach dem Abendlande über¬
tragen, und wir können Manuskripte aus dem elften Jahrhundert nachweisen,
die schon dieselbe Folge von Darstellungen enthalten, welche in den xylographischen
Werken vorkommt.*)

In ähnlicher Weise giebt es Bilderfolgen, die lange vor Erfindung der
Xylographie dieselben Gegenstände wie die Armenbibel behandelten. Der ganze
Vorstellungskreis der Armenbibel geht zurück auf das Wort Jesu (Luk. 24, 44):
"Es muß alles erfüllet werden, was in dem Gesetze Mosis, in den Propheten
und den Psalmen von mir geschrieben ist." Dieser Gedanke, daß die Begeben¬
heiten des alten Bundes Vorbilder dessen seien, was in dem neuen Bunde zur



*) Vgl. ^wdroiso?irmin-viäot, oss ^xo""1z?xsos ÜKnrvos unum3Mitos ot xMKrs,Mynss.
I'n1870.

Regensburg als Verfertiger, Die Sprache des Textes ist aber ganz schwäbisch,
und Meister Lienhart scheint mit einem Ulmer Formschueider Lienhart identisch
zu sein, der in den dortigen Urkunden unter dem Jahre 1442 erwähnt wird
und wahrscheinlich wie viele andre Formschneider Schulden halber aus Ulm
ausgewiesen wurde. Ein Hauptort in Bairen wurde dann das Kloster Tegernsee,
wo wahrscheinlich das L^mboluw Apo8t,0ki<mur entworfen wurde. Der Haupt¬
sitz der fränkischen Schule endlich ist Nürnberg, und von Druckern ist nament¬
lich ein auch später uoch nachweisbarer Hans Sporer bekannt. Er veröffent¬
lichte im Jahre 1472 eine Ausgabe des Antichrist, welche auf der ersten Seite
die Angabe enthält: „Der jung hanns priffmaler hat das puch zu Nürn¬
berg 1472 ^gedruckt!," sowie im Jahre 1475 die zweite deutsche Ausgabe der
Livus, xg,uvvrum.

Mit dem Umstände, daß es einfache Formschneider, keine Künstler waren,
welche die Zeichnungen anfertigten, hängt nun ein weiterer Punkt zusammen,
nämlich daß die Kompositionen nicht selbständig sind, sondern auf alte Vorlagen
zurückgehen. Die erste Thätigkeit der Xylographie bestand darin, alte, im Mittel¬
alter beliebte handschriftliche Werke in Massen zu verbreiten, und so gehen auch
die Holzschnitte fast sämtlich auf Miniaturen alter Manuskripte zurück. Mau
kam auf diesen Gedanken zuerst bei der Prüfung der Apokalypse. Die Holz¬
schnitte derselben zeigen einen ausgesprochen byzantinischen Stil, und da sie aus
diesem Grunde keinem abendländischen Künstler des fünfzehnten Jahrhunderts
angehören konnten, nahm man zuerst an, daß sie das Werk eines der griechischen
Künstler seien, die nach der Einnahme von Konstantinopel 1453 aus ihrem
Lande vertrieben wurden. Später fand mau die einfachere Lösung, nämlich daß
die Holzschnitte uralte mittelalterliche Miniaturen kopiren. Die Apokalypse
eignete sich ja mehr als jedes andre Buch zur Illustration und hat zu allen
Zeiten die Geister zum Grübeln angeregt. Johannes war der Lieblingsapostel
Griechenlands, und so hat Ostrom früh den Cyklus der apokalyptischen Illu¬
strationen festgestellt. Dieser Cyklus wurde bald nach dem Abendlande über¬
tragen, und wir können Manuskripte aus dem elften Jahrhundert nachweisen,
die schon dieselbe Folge von Darstellungen enthalten, welche in den xylographischen
Werken vorkommt.*)

In ähnlicher Weise giebt es Bilderfolgen, die lange vor Erfindung der
Xylographie dieselben Gegenstände wie die Armenbibel behandelten. Der ganze
Vorstellungskreis der Armenbibel geht zurück auf das Wort Jesu (Luk. 24, 44):
„Es muß alles erfüllet werden, was in dem Gesetze Mosis, in den Propheten
und den Psalmen von mir geschrieben ist." Dieser Gedanke, daß die Begeben¬
heiten des alten Bundes Vorbilder dessen seien, was in dem neuen Bunde zur



*) Vgl. ^wdroiso?irmin-viäot, oss ^xo«»1z?xsos ÜKnrvos unum3Mitos ot xMKrs,Mynss.
I'n1870.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/192>, abgerufen am 22.07.2024.