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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Weiter zu gehen und nach den Künstlern zu fragen, welche die Zeichnungen
für die Bücher anfertigten, ist mißlich und hat, namentlich was die Nieder¬
lande anlangt, schon zu großen Irrtümern geführt. Früher hat man immer
bedeutende Meister angenommen und versuchte z. B, zu beweisen, daß die Original¬
zeichnungen zur Armenbibel von Jan van Eyck oder Roger van der Weyden
entworfen seien. Aber diese Behauptungen sind ohne jeden wissenschaftlichen
Wert. Auf namhafte Meister zu raten, verbietet allein schon die Ermägnug,
daß bis in das sechzehnte Jahrhundert die Miniaturmalerei eine noch unan¬
getastete Stellung in der flandrischen Kunst einnahm, und daß eine Schule,
welche das Breviarium Grimani schuf, keine große Neigung zu den noch ganz
primitiven Holzschnitten der Blvckbücher fassen konnte. Möglich, daß einzelne
verlaufene Glieder der Schule zu dem neuen Erwerbszweige griffen und auf
diese Weise Handwerk und Kunst vermittelten; oft wurden aber die Bücher über¬
haupt nicht von Künstlern oder Kartenmachern, sondern von schlichten Kloster-
geistlichen zur Erbauung angefertigt. Und zwar scheint sich vorzugsweise die
von I. de Grovte im vierzehnten Jahrhundert in Deventer begründete halb-
klösterliche Genossenschaft der Brüder des gemeinsamen Lebens mit der Ausgabe
der Plattendrncke in den Niederlanden beschäftigt zu haben. Hier in Deventer,
sowie in deu spätern Zweigniederlassungen dieser Brüderschaft in Zwolle, Her¬
zogenbusch, Grönendal, Brüssel und Löwen sind wahrscheinlich die meisten dieser
alten niederländischen Blvckbücher entstanden.

Über Deutschland sind wir etwas besser unterrichtet. Hier kommt zuerst
der Niederrhein mit Köln als Mittelpunkt in Betracht. Dort entstand, wie
man aus dem Charakter der Holzschnitte, sowie ans der Ähnlichkeit mit spätern
in Köln erschienenen typographischen Ausgaben schließen kann, die schöne Lanio
xriuoexs der ^rs moriouäi, die ans der Weigelschen Sammlung in das Bri¬
tische Museum gelangt ist und von der wiederum vier spätere lateinische Aus¬
gaben abhängig sind. Ebenso wichtig wie der Niederrhein war aber für den
Hvlztafeldruck Oberdeutschland. Hier sind drei Schulen auseinanderzuhalten.
Die erste ist die schwäbische mit den drei Hauptstädten Nördlingen, Ma und
Augsburg. In Nördlingen wurde durch zwei Briefmaler, Friedrich Walther und
Hans Hürning die erste deutsche Ausgabe der LWm MUPsrniri angefertigt. In
Ulm lieferte ein Meister Ludwig die zweite ohne Jahresangabe erschienene deutsche
Allsgabe der ^.'8 irwriLiräi, ein andrer das Buch über die acht Schalkheiten,
wie man aus dem Dialekt mit Sicherheit schließen kann. In Augsburg ent¬
stand Hartliebs Chiromantie, als deren Verfertiger sich am Schlüsse Jörg Schapff
zu Augsburg angiebt. Auch im südlichem Schwaben und in der Schweiz war
man thätig, denn es kann als sicher gelten, daß die Legende vom heiligen
Meinrad in Einsiedeln, dem Kloster dieses Heiligen, gedruckt worden ist. Von
Schwaben aus scheint sich die Vorliebe für Blockbücher nach Vaiern verbreitet
zu haben. So nennt sich beim Lulvo UvM^ der Holzschneider Lienhart zu


Weiter zu gehen und nach den Künstlern zu fragen, welche die Zeichnungen
für die Bücher anfertigten, ist mißlich und hat, namentlich was die Nieder¬
lande anlangt, schon zu großen Irrtümern geführt. Früher hat man immer
bedeutende Meister angenommen und versuchte z. B, zu beweisen, daß die Original¬
zeichnungen zur Armenbibel von Jan van Eyck oder Roger van der Weyden
entworfen seien. Aber diese Behauptungen sind ohne jeden wissenschaftlichen
Wert. Auf namhafte Meister zu raten, verbietet allein schon die Ermägnug,
daß bis in das sechzehnte Jahrhundert die Miniaturmalerei eine noch unan¬
getastete Stellung in der flandrischen Kunst einnahm, und daß eine Schule,
welche das Breviarium Grimani schuf, keine große Neigung zu den noch ganz
primitiven Holzschnitten der Blvckbücher fassen konnte. Möglich, daß einzelne
verlaufene Glieder der Schule zu dem neuen Erwerbszweige griffen und auf
diese Weise Handwerk und Kunst vermittelten; oft wurden aber die Bücher über¬
haupt nicht von Künstlern oder Kartenmachern, sondern von schlichten Kloster-
geistlichen zur Erbauung angefertigt. Und zwar scheint sich vorzugsweise die
von I. de Grovte im vierzehnten Jahrhundert in Deventer begründete halb-
klösterliche Genossenschaft der Brüder des gemeinsamen Lebens mit der Ausgabe
der Plattendrncke in den Niederlanden beschäftigt zu haben. Hier in Deventer,
sowie in deu spätern Zweigniederlassungen dieser Brüderschaft in Zwolle, Her¬
zogenbusch, Grönendal, Brüssel und Löwen sind wahrscheinlich die meisten dieser
alten niederländischen Blvckbücher entstanden.

Über Deutschland sind wir etwas besser unterrichtet. Hier kommt zuerst
der Niederrhein mit Köln als Mittelpunkt in Betracht. Dort entstand, wie
man aus dem Charakter der Holzschnitte, sowie ans der Ähnlichkeit mit spätern
in Köln erschienenen typographischen Ausgaben schließen kann, die schöne Lanio
xriuoexs der ^rs moriouäi, die ans der Weigelschen Sammlung in das Bri¬
tische Museum gelangt ist und von der wiederum vier spätere lateinische Aus¬
gaben abhängig sind. Ebenso wichtig wie der Niederrhein war aber für den
Hvlztafeldruck Oberdeutschland. Hier sind drei Schulen auseinanderzuhalten.
Die erste ist die schwäbische mit den drei Hauptstädten Nördlingen, Ma und
Augsburg. In Nördlingen wurde durch zwei Briefmaler, Friedrich Walther und
Hans Hürning die erste deutsche Ausgabe der LWm MUPsrniri angefertigt. In
Ulm lieferte ein Meister Ludwig die zweite ohne Jahresangabe erschienene deutsche
Allsgabe der ^.'8 irwriLiräi, ein andrer das Buch über die acht Schalkheiten,
wie man aus dem Dialekt mit Sicherheit schließen kann. In Augsburg ent¬
stand Hartliebs Chiromantie, als deren Verfertiger sich am Schlüsse Jörg Schapff
zu Augsburg angiebt. Auch im südlichem Schwaben und in der Schweiz war
man thätig, denn es kann als sicher gelten, daß die Legende vom heiligen
Meinrad in Einsiedeln, dem Kloster dieses Heiligen, gedruckt worden ist. Von
Schwaben aus scheint sich die Vorliebe für Blockbücher nach Vaiern verbreitet
zu haben. So nennt sich beim Lulvo UvM^ der Holzschneider Lienhart zu


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[0191] Weiter zu gehen und nach den Künstlern zu fragen, welche die Zeichnungen für die Bücher anfertigten, ist mißlich und hat, namentlich was die Nieder¬ lande anlangt, schon zu großen Irrtümern geführt. Früher hat man immer bedeutende Meister angenommen und versuchte z. B, zu beweisen, daß die Original¬ zeichnungen zur Armenbibel von Jan van Eyck oder Roger van der Weyden entworfen seien. Aber diese Behauptungen sind ohne jeden wissenschaftlichen Wert. Auf namhafte Meister zu raten, verbietet allein schon die Ermägnug, daß bis in das sechzehnte Jahrhundert die Miniaturmalerei eine noch unan¬ getastete Stellung in der flandrischen Kunst einnahm, und daß eine Schule, welche das Breviarium Grimani schuf, keine große Neigung zu den noch ganz primitiven Holzschnitten der Blvckbücher fassen konnte. Möglich, daß einzelne verlaufene Glieder der Schule zu dem neuen Erwerbszweige griffen und auf diese Weise Handwerk und Kunst vermittelten; oft wurden aber die Bücher über¬ haupt nicht von Künstlern oder Kartenmachern, sondern von schlichten Kloster- geistlichen zur Erbauung angefertigt. Und zwar scheint sich vorzugsweise die von I. de Grovte im vierzehnten Jahrhundert in Deventer begründete halb- klösterliche Genossenschaft der Brüder des gemeinsamen Lebens mit der Ausgabe der Plattendrncke in den Niederlanden beschäftigt zu haben. Hier in Deventer, sowie in deu spätern Zweigniederlassungen dieser Brüderschaft in Zwolle, Her¬ zogenbusch, Grönendal, Brüssel und Löwen sind wahrscheinlich die meisten dieser alten niederländischen Blvckbücher entstanden. Über Deutschland sind wir etwas besser unterrichtet. Hier kommt zuerst der Niederrhein mit Köln als Mittelpunkt in Betracht. Dort entstand, wie man aus dem Charakter der Holzschnitte, sowie ans der Ähnlichkeit mit spätern in Köln erschienenen typographischen Ausgaben schließen kann, die schöne Lanio xriuoexs der ^rs moriouäi, die ans der Weigelschen Sammlung in das Bri¬ tische Museum gelangt ist und von der wiederum vier spätere lateinische Aus¬ gaben abhängig sind. Ebenso wichtig wie der Niederrhein war aber für den Hvlztafeldruck Oberdeutschland. Hier sind drei Schulen auseinanderzuhalten. Die erste ist die schwäbische mit den drei Hauptstädten Nördlingen, Ma und Augsburg. In Nördlingen wurde durch zwei Briefmaler, Friedrich Walther und Hans Hürning die erste deutsche Ausgabe der LWm MUPsrniri angefertigt. In Ulm lieferte ein Meister Ludwig die zweite ohne Jahresangabe erschienene deutsche Allsgabe der ^.'8 irwriLiräi, ein andrer das Buch über die acht Schalkheiten, wie man aus dem Dialekt mit Sicherheit schließen kann. In Augsburg ent¬ stand Hartliebs Chiromantie, als deren Verfertiger sich am Schlüsse Jörg Schapff zu Augsburg angiebt. Auch im südlichem Schwaben und in der Schweiz war man thätig, denn es kann als sicher gelten, daß die Legende vom heiligen Meinrad in Einsiedeln, dem Kloster dieses Heiligen, gedruckt worden ist. Von Schwaben aus scheint sich die Vorliebe für Blockbücher nach Vaiern verbreitet zu haben. So nennt sich beim Lulvo UvM^ der Holzschneider Lienhart zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/191>, abgerufen am 22.07.2024.