Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.Das Publikum, ncrische Art die Menschen mit Löwentatzen zu karessiren, um sich ihre Zu¬ Doch genug der Beispiele, Wollte mau die Stimmen nur der Allcr- Das Publikum, ncrische Art die Menschen mit Löwentatzen zu karessiren, um sich ihre Zu¬ Doch genug der Beispiele, Wollte mau die Stimmen nur der Allcr- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0156" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194832"/> <fw type="header" place="top"> Das Publikum,</fw><lb/> <p xml:id="ID_481" prev="#ID_480"> ncrische Art die Menschen mit Löwentatzen zu karessiren, um sich ihre Zu¬<lb/> neigung zu erwerben. Dazu muß man eben ein Löwe sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_482"> Doch genug der Beispiele, Wollte mau die Stimmen nur der Allcr-<lb/> bedeutendsten sammeln, die gelegentlich oder ganz expreß das Publikum ihren<lb/> Haß und ihre Verachtung habe» fühlen lassen, man müßte ein dickes Buch<lb/> schreiben, das übrigens recht amüsant werden würde, Ein solches Buch aber,<lb/> wenn es auch sicher manches Wahre enthielte, würde immer uoch mehr gegen<lb/> die scheltenden sprechen als gegen die Gescholtenen. Denn bei den meisten ist<lb/> es doch verletzte Eitelkeit, Vorurteil, sich geschädigt glaubender Egoismus, kurz,<lb/> nicht die bessern Eigenschaften des Menschen, die ihnen den Groll gegen da^<lb/> Publikum eingeben. Es hat daher auch nie an gerechter und besonnener<lb/> Denkenden gefehlt, die bereit waren, für die verkannte und verschmähte Würde<lb/> desselben einzutreten; vor allem der Volksmund selbst, der vom Volke, also<lb/> vom Publikum im weiteste» Sinne, sagt, daß seine Stimme Gottes Stimme<lb/> sei. Diese Stimme ist ja auch thatsächlich die letzte, oberste Instanz, an die<lb/> alle, die etwas geleistet haben oder geleistet zu haben glauben, nppellircn müssen,<lb/> auch in Sachen des Geschmackes, Und das Volk übt dieses oberste Richteramt<lb/> nicht uur der Macht uach ans, sondern auch dem Vermögen nach. Sein Urteil<lb/> ist nicht nur entscheidend, es ist jedenfalls auch das weiseste und gerechteste,<lb/> das von Menschen gefällt werden kann. Freilich, wenn man die Leute,<lb/> die zu einer Masse vereinigt ein Publikum bilden, im einzelnen betrachtet,<lb/> so nehmen sie sich auf den ersten Blick nicht viel besser aus, als Goethe<lb/> sie in einer Anwandlung übermütiger Laune geschildert hat. Wenn mau<lb/> aber schärfer Hinsicht, so entdeckt man unter den vielen trivialen, stupiden<lb/> Gesichtern doch auch manche ernste Denkcrstirne, manches von Geist<lb/> strahlende Auge, manchen zu fein verständnisvollen Lächeln geformten Mund.<lb/> Aber nicht nur weil das Publikum im ganzen doch auch immer die Klügsten<lb/> und Besten enthält, die es giebt, nicht bloß weil selbst in jeder zufällig zu¬<lb/> sammengekommenen Masse doch wenigstens ein Verständiger sein wird, dessen<lb/> Meinung ans die übrigen nicht ohne Einfluß bleiben kann, hat das Publikum<lb/> die Berechtigung und Befähigung zum Urteilen, nicht allein also weil es nur<lb/> aus vielen besteht, sondern noch mehr, weil diese vielen, sobald sie sich als<lb/> Publikum konstituirt haben, ein Ganzes bilden. Der jüngere Plinius drückt<lb/> diesen Gedanken in einem seiner Briefe fo aus: „Wenn du gleich anfangs<lb/> leinen Beifall zu erhalten glaubst, wirst du uicht entmutigt und niedergeschlagen?<lb/> Ich suche den Grund darin, daß die Zahl gewissermaßen einen großen und<lb/> allgemeinen Verstand darstellt, wobei zwar dem Einzelnen sehr wenig, allen<lb/> zusammen aber sehr viel Urteil zusteht." Ja, ein großer und allgemeiner<lb/> Verstand ist es, der diese Masse, Publikum genannt, beseelt; ein Geist durch¬<lb/> weht sie, giebt diesem großen, vielgliedrigen Körpern seinen Kopf und befähigt<lb/> ihn, zu verstehen und zu urteilen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0156]
Das Publikum,
ncrische Art die Menschen mit Löwentatzen zu karessiren, um sich ihre Zu¬
neigung zu erwerben. Dazu muß man eben ein Löwe sein.
Doch genug der Beispiele, Wollte mau die Stimmen nur der Allcr-
bedeutendsten sammeln, die gelegentlich oder ganz expreß das Publikum ihren
Haß und ihre Verachtung habe» fühlen lassen, man müßte ein dickes Buch
schreiben, das übrigens recht amüsant werden würde, Ein solches Buch aber,
wenn es auch sicher manches Wahre enthielte, würde immer uoch mehr gegen
die scheltenden sprechen als gegen die Gescholtenen. Denn bei den meisten ist
es doch verletzte Eitelkeit, Vorurteil, sich geschädigt glaubender Egoismus, kurz,
nicht die bessern Eigenschaften des Menschen, die ihnen den Groll gegen da^
Publikum eingeben. Es hat daher auch nie an gerechter und besonnener
Denkenden gefehlt, die bereit waren, für die verkannte und verschmähte Würde
desselben einzutreten; vor allem der Volksmund selbst, der vom Volke, also
vom Publikum im weiteste» Sinne, sagt, daß seine Stimme Gottes Stimme
sei. Diese Stimme ist ja auch thatsächlich die letzte, oberste Instanz, an die
alle, die etwas geleistet haben oder geleistet zu haben glauben, nppellircn müssen,
auch in Sachen des Geschmackes, Und das Volk übt dieses oberste Richteramt
nicht uur der Macht uach ans, sondern auch dem Vermögen nach. Sein Urteil
ist nicht nur entscheidend, es ist jedenfalls auch das weiseste und gerechteste,
das von Menschen gefällt werden kann. Freilich, wenn man die Leute,
die zu einer Masse vereinigt ein Publikum bilden, im einzelnen betrachtet,
so nehmen sie sich auf den ersten Blick nicht viel besser aus, als Goethe
sie in einer Anwandlung übermütiger Laune geschildert hat. Wenn mau
aber schärfer Hinsicht, so entdeckt man unter den vielen trivialen, stupiden
Gesichtern doch auch manche ernste Denkcrstirne, manches von Geist
strahlende Auge, manchen zu fein verständnisvollen Lächeln geformten Mund.
Aber nicht nur weil das Publikum im ganzen doch auch immer die Klügsten
und Besten enthält, die es giebt, nicht bloß weil selbst in jeder zufällig zu¬
sammengekommenen Masse doch wenigstens ein Verständiger sein wird, dessen
Meinung ans die übrigen nicht ohne Einfluß bleiben kann, hat das Publikum
die Berechtigung und Befähigung zum Urteilen, nicht allein also weil es nur
aus vielen besteht, sondern noch mehr, weil diese vielen, sobald sie sich als
Publikum konstituirt haben, ein Ganzes bilden. Der jüngere Plinius drückt
diesen Gedanken in einem seiner Briefe fo aus: „Wenn du gleich anfangs
leinen Beifall zu erhalten glaubst, wirst du uicht entmutigt und niedergeschlagen?
Ich suche den Grund darin, daß die Zahl gewissermaßen einen großen und
allgemeinen Verstand darstellt, wobei zwar dem Einzelnen sehr wenig, allen
zusammen aber sehr viel Urteil zusteht." Ja, ein großer und allgemeiner
Verstand ist es, der diese Masse, Publikum genannt, beseelt; ein Geist durch¬
weht sie, giebt diesem großen, vielgliedrigen Körpern seinen Kopf und befähigt
ihn, zu verstehen und zu urteilen.
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