Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.
So läßt er im "Faust" den Dichter im "Vorspiel auf dem Theater" sprechen.
Eine ähnliche Ansicht vom Publikum, wie dieser biedere Theaterdirektor, muß Noch grober als Goethe spricht sich der berühmte französische Jamben¬
Ähnliches wie von Napoleon dem "Großen," den der französische Dichter
So läßt er im „Faust" den Dichter im „Vorspiel auf dem Theater" sprechen.
Eine ähnliche Ansicht vom Publikum, wie dieser biedere Theaterdirektor, muß Noch grober als Goethe spricht sich der berühmte französische Jamben¬
Ähnliches wie von Napoleon dem „Großen," den der französische Dichter <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0155" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194831"/> <quote> <lg xml:id="POEMID_2" type="poem"> <l> Verhülle mir das wogende Gedränge,<lb/> Das wider Willen uns zum Strudel zieht.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_477"> So läßt er im „Faust" den Dichter im „Vorspiel auf dem Theater" sprechen.<lb/> Und gar der Direktor in demselben Vorspiel giebt eine noch viel gehässigere<lb/> Schilderung des Publikums, von dem er doch existirt, und dem um jeden Preis<lb/> zu schmeicheln er für seine höchste Aufgabe hält:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_3" type="poem"> <l> Bedenkt, ihr habet weiches Holz zu spalten,<lb/> Und seht nur hin, für wen ihr schreibt!<lb/> Wenn diesen Langeweile treibt,<lb/> Kommt jener satt vom übertischten Mahle,<lb/> Und was das Allerschlimmste bleibt,<lb/> Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.<lb/> Man eilt zerstreut zu uns wie zu deu Maskenfestcn,<lb/> Und Neugier uur beflügelt jedem Schritt;<lb/> Die Damen geben sich und ihren Putz zum Beseelt<lb/> Und spielen ohne Gage mit.<lb/> Was träumet ihr auf eurer Dichtcrhohc?<lb/> Was macht ein volles Haus euch froh?<lb/> Befehl die Gönner in der Nähe!<lb/> Halb sind sie kalt, halb sind sie roh;<lb/> Der, nach dein Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,<lb/> Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen . . .<lb/></l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_478"> Eine ähnliche Ansicht vom Publikum, wie dieser biedere Theaterdirektor, muß<lb/> Wagner auch gehabt haben, als er für seine Verehrer das Baireuther Zcllen-<lb/> gefängnis zu bauen beschloß.</p><lb/> <p xml:id="ID_479"> Noch grober als Goethe spricht sich der berühmte französische Jamben¬<lb/> dichter August Barbier über das Publikum aus, allerdings hinsichtlich seines<lb/> Verhaltens gegen den Staatenlenker, nicht gegen den Künstler.</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_4" type="poem"> <l> Das Volk — was ist das Volk? ES ist die Schcnkendirne,<lb/> Die, wenn vom Wein das Blut ihr kocht,<lb/> Sich den zum Buhlen wühlt, der mit verwegner Stirne<lb/> Und eh'rnen Arm sie unterjocht,<lb/> Und die auf ihrer Streu, zum Brautbett umgewandelt,<lb/> Noch keinen: ihre Reize bot,<lb/> Als nur dem Kühnen, der sie schlägt und sie mißhandelt<lb/> Vom Abend bis zum Morgenrot.<lb/></l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_480" next="#ID_481"> Ähnliches wie von Napoleon dem „Großen," den der französische Dichter<lb/> hier im Auge hatte, hat sich das Publikum auch von Richard Wagner gefallen<lb/> lassen. Siehe Baireuth! Und ist es diesem merkwürdigen Manne nicht auch<lb/> gelungen — offenbar der höchste Triumph, den je ein Künstler zu verzeichnen<lb/> gehabt hat —, eine Kunstgattung populär zu machen, die einzige, die der scharf¬<lb/> sinnigen Voltaire für unfähig erklärte, je einen Erfolg zu erringen: 1<z ggnro<lb/> MMyoux? Ich wollte indessen nicht jedem raten, auf solche napoleonisch-wäg/</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0155]
Verhülle mir das wogende Gedränge,
Das wider Willen uns zum Strudel zieht.
So läßt er im „Faust" den Dichter im „Vorspiel auf dem Theater" sprechen.
Und gar der Direktor in demselben Vorspiel giebt eine noch viel gehässigere
Schilderung des Publikums, von dem er doch existirt, und dem um jeden Preis
zu schmeicheln er für seine höchste Aufgabe hält:
Bedenkt, ihr habet weiches Holz zu spalten,
Und seht nur hin, für wen ihr schreibt!
Wenn diesen Langeweile treibt,
Kommt jener satt vom übertischten Mahle,
Und was das Allerschlimmste bleibt,
Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.
Man eilt zerstreut zu uns wie zu deu Maskenfestcn,
Und Neugier uur beflügelt jedem Schritt;
Die Damen geben sich und ihren Putz zum Beseelt
Und spielen ohne Gage mit.
Was träumet ihr auf eurer Dichtcrhohc?
Was macht ein volles Haus euch froh?
Befehl die Gönner in der Nähe!
Halb sind sie kalt, halb sind sie roh;
Der, nach dein Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,
Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen . . .
Eine ähnliche Ansicht vom Publikum, wie dieser biedere Theaterdirektor, muß
Wagner auch gehabt haben, als er für seine Verehrer das Baireuther Zcllen-
gefängnis zu bauen beschloß.
Noch grober als Goethe spricht sich der berühmte französische Jamben¬
dichter August Barbier über das Publikum aus, allerdings hinsichtlich seines
Verhaltens gegen den Staatenlenker, nicht gegen den Künstler.
Das Volk — was ist das Volk? ES ist die Schcnkendirne,
Die, wenn vom Wein das Blut ihr kocht,
Sich den zum Buhlen wühlt, der mit verwegner Stirne
Und eh'rnen Arm sie unterjocht,
Und die auf ihrer Streu, zum Brautbett umgewandelt,
Noch keinen: ihre Reize bot,
Als nur dem Kühnen, der sie schlägt und sie mißhandelt
Vom Abend bis zum Morgenrot.
Ähnliches wie von Napoleon dem „Großen," den der französische Dichter
hier im Auge hatte, hat sich das Publikum auch von Richard Wagner gefallen
lassen. Siehe Baireuth! Und ist es diesem merkwürdigen Manne nicht auch
gelungen — offenbar der höchste Triumph, den je ein Künstler zu verzeichnen
gehabt hat —, eine Kunstgattung populär zu machen, die einzige, die der scharf¬
sinnigen Voltaire für unfähig erklärte, je einen Erfolg zu erringen: 1<z ggnro
MMyoux? Ich wollte indessen nicht jedem raten, auf solche napoleonisch-wäg/
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