Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

beschäftige", den Eindruck, den die Darstellung auf der Bühne machen soll,
verstärkt und die Stimmung des Publikums wesentlich erhöht?

Was die Reise nach Vaireuth und den Aufenthalt daselbst im allgemeinen
betrifft, so habe ich im vorstehende" meine Ansicht darüber schon anzudeuten
versucht. Ich möchte dem uur uoch die Bemerkung hinzufügen, daß das
Reisen, auch abgesehen von den unangenehmen, störenden Wirkungen, die es
ausübt, selbst durch das Gute, das es an und für sich bietet, der Empfäng¬
lichkeit für Kunsteindrücke durchaus nicht günstig ist. Denn das Reisen bringt
es mit sich, daß der Mensch sich für die Wirklichkeit in andrer Weise interessirt
als sonst, und geneigt ist, die Dinge als Erscheinung auf sich wirken zu lassen.
Alles, was ihn umgiebt und was ihm begegnet, ist ihm ungewohnt, neu. Er
steht auch diesem Neuen, Ungewohnten meist ohne egoistisches Interesse gegen¬
über und empfängt, selbst künstlerisch produktiv werdend, einen objektiven, künst¬
lerische" Eindruck, der zu mächtig ist, als daß die viel schivücher wirkenden
Kunsteindrücke dagegen aufkommen könnten. Wo Wirklichkeit und Kunstwerk
mit einander rivalisiren, trägt in der Regel die erstere den Sieg davo". El"
feuerspeiender Berg, das brandende Meer, eine alte Stadt, eine merkwürdige
Persönlichkeit, wenn wir sie zum erstenmale sehen oder nach langer Pause
wiedersehen, machen einen weit tieferen Eindruck auf uns, als die schönste
Theaterdekvration und der bestgeschulte Schauspieler. Zwar stumpfen sich diese
Eindrücke sehr schnell ab; der Mensch weiß auf die Läuge mit allen diese"
wunderbaren Naturerscheinungen, ja mit allen Gebilden der Wirklichkeit, den
Menschen eingeschlossen, nichts rechtes anzufangen und kehrt immer wieder zu
den Schöpfungen der Kunst zurück, die ihm eben, als vom Menschengeiste aus¬
gehend, menschlich näher treten. Aber im ersten Momente des Begegnens über¬
wältigt ihn doch die Wirklichkeit.

Aber kehren wir wieder in das Innere des Wagttertheaters zurück und
suchen uus die oben aufgeworfene Frage nun inbczug auf diese, am spe¬
ziellste" auf unsre Knnstempfänglichkeit berechnete Erfindung Wagners zu be¬
antworten.

"Sehen Sie," sagte mir jemand, der übrigens ein großer Waguervcrehrer
ist, nach der Vorstellung, "ich habe immer das Gefühl, we"n ich da heraus¬
komme, als hätte ich in einen Guckkasten gesehen, oder als wäre ich in einer
Zauberbnde gewesen. Man sühlt sich der Wirklichkeit, der Natur entrückt, aber
in einer unheimlichen, mysteriösen Weise. Da zaubert mir irgend ein Magier
oder Spiritist bunte, singende Gestalten vor, Wesen, die ans einer andern
Welt zu kommen scheine". Ich bin nicht mehr ein Mensch unter Menschen,
ich bin tot, von allen Lebenden, die mir teuer waren, abgeschieden und ver¬
kehre nur uoch mit Phantomen. Kein Mensch, der ein Mensch ist, wird sich
gern ohne Gesellschaft zu Tische setzen, um eine lukullische Mahlzeit zu sich zu
nehmen; denn selbst Lucull, wenn er bei Lucull speiste, hatte doch noch ein


beschäftige», den Eindruck, den die Darstellung auf der Bühne machen soll,
verstärkt und die Stimmung des Publikums wesentlich erhöht?

Was die Reise nach Vaireuth und den Aufenthalt daselbst im allgemeinen
betrifft, so habe ich im vorstehende» meine Ansicht darüber schon anzudeuten
versucht. Ich möchte dem uur uoch die Bemerkung hinzufügen, daß das
Reisen, auch abgesehen von den unangenehmen, störenden Wirkungen, die es
ausübt, selbst durch das Gute, das es an und für sich bietet, der Empfäng¬
lichkeit für Kunsteindrücke durchaus nicht günstig ist. Denn das Reisen bringt
es mit sich, daß der Mensch sich für die Wirklichkeit in andrer Weise interessirt
als sonst, und geneigt ist, die Dinge als Erscheinung auf sich wirken zu lassen.
Alles, was ihn umgiebt und was ihm begegnet, ist ihm ungewohnt, neu. Er
steht auch diesem Neuen, Ungewohnten meist ohne egoistisches Interesse gegen¬
über und empfängt, selbst künstlerisch produktiv werdend, einen objektiven, künst¬
lerische» Eindruck, der zu mächtig ist, als daß die viel schivücher wirkenden
Kunsteindrücke dagegen aufkommen könnten. Wo Wirklichkeit und Kunstwerk
mit einander rivalisiren, trägt in der Regel die erstere den Sieg davo». El»
feuerspeiender Berg, das brandende Meer, eine alte Stadt, eine merkwürdige
Persönlichkeit, wenn wir sie zum erstenmale sehen oder nach langer Pause
wiedersehen, machen einen weit tieferen Eindruck auf uns, als die schönste
Theaterdekvration und der bestgeschulte Schauspieler. Zwar stumpfen sich diese
Eindrücke sehr schnell ab; der Mensch weiß auf die Läuge mit allen diese»
wunderbaren Naturerscheinungen, ja mit allen Gebilden der Wirklichkeit, den
Menschen eingeschlossen, nichts rechtes anzufangen und kehrt immer wieder zu
den Schöpfungen der Kunst zurück, die ihm eben, als vom Menschengeiste aus¬
gehend, menschlich näher treten. Aber im ersten Momente des Begegnens über¬
wältigt ihn doch die Wirklichkeit.

Aber kehren wir wieder in das Innere des Wagttertheaters zurück und
suchen uus die oben aufgeworfene Frage nun inbczug auf diese, am spe¬
ziellste» auf unsre Knnstempfänglichkeit berechnete Erfindung Wagners zu be¬
antworten.

„Sehen Sie," sagte mir jemand, der übrigens ein großer Waguervcrehrer
ist, nach der Vorstellung, „ich habe immer das Gefühl, we»n ich da heraus¬
komme, als hätte ich in einen Guckkasten gesehen, oder als wäre ich in einer
Zauberbnde gewesen. Man sühlt sich der Wirklichkeit, der Natur entrückt, aber
in einer unheimlichen, mysteriösen Weise. Da zaubert mir irgend ein Magier
oder Spiritist bunte, singende Gestalten vor, Wesen, die ans einer andern
Welt zu kommen scheine». Ich bin nicht mehr ein Mensch unter Menschen,
ich bin tot, von allen Lebenden, die mir teuer waren, abgeschieden und ver¬
kehre nur uoch mit Phantomen. Kein Mensch, der ein Mensch ist, wird sich
gern ohne Gesellschaft zu Tische setzen, um eine lukullische Mahlzeit zu sich zu
nehmen; denn selbst Lucull, wenn er bei Lucull speiste, hatte doch noch ein


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0153" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/194829"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_467" prev="#ID_466"> beschäftige», den Eindruck, den die Darstellung auf der Bühne machen soll,<lb/>
verstärkt und die Stimmung des Publikums wesentlich erhöht?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_468"> Was die Reise nach Vaireuth und den Aufenthalt daselbst im allgemeinen<lb/>
betrifft, so habe ich im vorstehende» meine Ansicht darüber schon anzudeuten<lb/>
versucht. Ich möchte dem uur uoch die Bemerkung hinzufügen, daß das<lb/>
Reisen, auch abgesehen von den unangenehmen, störenden Wirkungen, die es<lb/>
ausübt, selbst durch das Gute, das es an und für sich bietet, der Empfäng¬<lb/>
lichkeit für Kunsteindrücke durchaus nicht günstig ist. Denn das Reisen bringt<lb/>
es mit sich, daß der Mensch sich für die Wirklichkeit in andrer Weise interessirt<lb/>
als sonst, und geneigt ist, die Dinge als Erscheinung auf sich wirken zu lassen.<lb/>
Alles, was ihn umgiebt und was ihm begegnet, ist ihm ungewohnt, neu. Er<lb/>
steht auch diesem Neuen, Ungewohnten meist ohne egoistisches Interesse gegen¬<lb/>
über und empfängt, selbst künstlerisch produktiv werdend, einen objektiven, künst¬<lb/>
lerische» Eindruck, der zu mächtig ist, als daß die viel schivücher wirkenden<lb/>
Kunsteindrücke dagegen aufkommen könnten. Wo Wirklichkeit und Kunstwerk<lb/>
mit einander rivalisiren, trägt in der Regel die erstere den Sieg davo». El»<lb/>
feuerspeiender Berg, das brandende Meer, eine alte Stadt, eine merkwürdige<lb/>
Persönlichkeit, wenn wir sie zum erstenmale sehen oder nach langer Pause<lb/>
wiedersehen, machen einen weit tieferen Eindruck auf uns, als die schönste<lb/>
Theaterdekvration und der bestgeschulte Schauspieler. Zwar stumpfen sich diese<lb/>
Eindrücke sehr schnell ab; der Mensch weiß auf die Läuge mit allen diese»<lb/>
wunderbaren Naturerscheinungen, ja mit allen Gebilden der Wirklichkeit, den<lb/>
Menschen eingeschlossen, nichts rechtes anzufangen und kehrt immer wieder zu<lb/>
den Schöpfungen der Kunst zurück, die ihm eben, als vom Menschengeiste aus¬<lb/>
gehend, menschlich näher treten. Aber im ersten Momente des Begegnens über¬<lb/>
wältigt ihn doch die Wirklichkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_469"> Aber kehren wir wieder in das Innere des Wagttertheaters zurück und<lb/>
suchen uus die oben aufgeworfene Frage nun inbczug auf diese, am spe¬<lb/>
ziellste» auf unsre Knnstempfänglichkeit berechnete Erfindung Wagners zu be¬<lb/>
antworten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_470" next="#ID_471"> &#x201E;Sehen Sie," sagte mir jemand, der übrigens ein großer Waguervcrehrer<lb/>
ist, nach der Vorstellung, &#x201E;ich habe immer das Gefühl, we»n ich da heraus¬<lb/>
komme, als hätte ich in einen Guckkasten gesehen, oder als wäre ich in einer<lb/>
Zauberbnde gewesen. Man sühlt sich der Wirklichkeit, der Natur entrückt, aber<lb/>
in einer unheimlichen, mysteriösen Weise. Da zaubert mir irgend ein Magier<lb/>
oder Spiritist bunte, singende Gestalten vor, Wesen, die ans einer andern<lb/>
Welt zu kommen scheine». Ich bin nicht mehr ein Mensch unter Menschen,<lb/>
ich bin tot, von allen Lebenden, die mir teuer waren, abgeschieden und ver¬<lb/>
kehre nur uoch mit Phantomen. Kein Mensch, der ein Mensch ist, wird sich<lb/>
gern ohne Gesellschaft zu Tische setzen, um eine lukullische Mahlzeit zu sich zu<lb/>
nehmen; denn selbst Lucull, wenn er bei Lucull speiste, hatte doch noch ein</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0153] beschäftige», den Eindruck, den die Darstellung auf der Bühne machen soll, verstärkt und die Stimmung des Publikums wesentlich erhöht? Was die Reise nach Vaireuth und den Aufenthalt daselbst im allgemeinen betrifft, so habe ich im vorstehende» meine Ansicht darüber schon anzudeuten versucht. Ich möchte dem uur uoch die Bemerkung hinzufügen, daß das Reisen, auch abgesehen von den unangenehmen, störenden Wirkungen, die es ausübt, selbst durch das Gute, das es an und für sich bietet, der Empfäng¬ lichkeit für Kunsteindrücke durchaus nicht günstig ist. Denn das Reisen bringt es mit sich, daß der Mensch sich für die Wirklichkeit in andrer Weise interessirt als sonst, und geneigt ist, die Dinge als Erscheinung auf sich wirken zu lassen. Alles, was ihn umgiebt und was ihm begegnet, ist ihm ungewohnt, neu. Er steht auch diesem Neuen, Ungewohnten meist ohne egoistisches Interesse gegen¬ über und empfängt, selbst künstlerisch produktiv werdend, einen objektiven, künst¬ lerische» Eindruck, der zu mächtig ist, als daß die viel schivücher wirkenden Kunsteindrücke dagegen aufkommen könnten. Wo Wirklichkeit und Kunstwerk mit einander rivalisiren, trägt in der Regel die erstere den Sieg davo». El» feuerspeiender Berg, das brandende Meer, eine alte Stadt, eine merkwürdige Persönlichkeit, wenn wir sie zum erstenmale sehen oder nach langer Pause wiedersehen, machen einen weit tieferen Eindruck auf uns, als die schönste Theaterdekvration und der bestgeschulte Schauspieler. Zwar stumpfen sich diese Eindrücke sehr schnell ab; der Mensch weiß auf die Läuge mit allen diese» wunderbaren Naturerscheinungen, ja mit allen Gebilden der Wirklichkeit, den Menschen eingeschlossen, nichts rechtes anzufangen und kehrt immer wieder zu den Schöpfungen der Kunst zurück, die ihm eben, als vom Menschengeiste aus¬ gehend, menschlich näher treten. Aber im ersten Momente des Begegnens über¬ wältigt ihn doch die Wirklichkeit. Aber kehren wir wieder in das Innere des Wagttertheaters zurück und suchen uus die oben aufgeworfene Frage nun inbczug auf diese, am spe¬ ziellste» auf unsre Knnstempfänglichkeit berechnete Erfindung Wagners zu be¬ antworten. „Sehen Sie," sagte mir jemand, der übrigens ein großer Waguervcrehrer ist, nach der Vorstellung, „ich habe immer das Gefühl, we»n ich da heraus¬ komme, als hätte ich in einen Guckkasten gesehen, oder als wäre ich in einer Zauberbnde gewesen. Man sühlt sich der Wirklichkeit, der Natur entrückt, aber in einer unheimlichen, mysteriösen Weise. Da zaubert mir irgend ein Magier oder Spiritist bunte, singende Gestalten vor, Wesen, die ans einer andern Welt zu kommen scheine». Ich bin nicht mehr ein Mensch unter Menschen, ich bin tot, von allen Lebenden, die mir teuer waren, abgeschieden und ver¬ kehre nur uoch mit Phantomen. Kein Mensch, der ein Mensch ist, wird sich gern ohne Gesellschaft zu Tische setzen, um eine lukullische Mahlzeit zu sich zu nehmen; denn selbst Lucull, wenn er bei Lucull speiste, hatte doch noch ein

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/153
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/153>, abgerufen am 22.07.2024.