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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Denn an die Stelle der früher kollegialisch konstruirten, aus juristisch und
kamcralistisch gebildeten Bernfsbeamten zusammengesetzten rechtsprechenden Be¬
hörden sind Kollegien getreten, welche der ihnen gestellten Aufgabe, in Sachen
des öffentlichen Rechtes in derselben Weise wie die ordentlichen Gerichte Recht
z" sprechen, nimmermehr gewachsen sind, insofern diese rechtsprechende Thätigkeit
nicht mit voller und ausschließlicher Hingabe, sondern mir als Nebenbeschäftigung
geübt wird.

Worauf es ankommt, ergiebt sich aus der oben mitgeteilten Kabinetsordre
vom 22, Angust 18.83. Was König Friedrich Wilhelm der Dritte damals von
den judizirenden Verwaltungsbehörden verlangte, kann man auch hente noch von
den modernen Verwaltungsgerichten erwarten, allein dazu siud dieselben, wenn
auch vielleicht augenblicklich, so doch in keiner Weise für die Dauer geeignet.
Die eigentümliche Vereinigung kvmmuualer und richterlicher Befugnisse in den
preußischen Kreis- und Stadtausschüsseu, ja sogar für Einzelheiten in den
Magistraten kleinerer Städte, dürfte in Zukunft schmerlich aufrecht zu erhalten
sein, ebensowenig wie die derselben ähnliche bei den Schöffengerichten. Die
Rechtsprechung bei den Kreis- (Stadt-) Ausschüssen und Magistraten ist eine
Nachbildung fremdländischer Einrichtungen, welche für preußische Verhältnisse
nicht passen. Im Hinblick auf die Gerichtsverfassung unsrer deutschen Urväter
kann sie als eine stilvolle Nachbildung von Rechtsaltertümern Passiren; im
übrigen gebricht dieser Einrichtung die erste Existenzbedingung eines wirksamen
richterlichen Organes in der Staatsverwaltung, die innere intellektuelle Kraft.

Als Organ der wirtschaftlichen Selbstverwaltung haben sich die Kreisaus¬
schüsse, Stadtausschüssc und Magistrate wohl bewährt, aber als Nichterkollegicn
werden sie sich für die Dauer schwerlich als brauchbar erweisen, mag man sich
auch noch so sehr bemühen, denselben geeignete Kräfte zuzuführen. Die Vor¬
sitzenden Lnudrätc find zwar nach ihren wissenschaftlichen Qualifikationen als
richterliche und Ncrwaltungsbcamte in der Regel der ihnen gestellten Aufgabe
gewachsen, aber der prozessualische Formenkram paßt garnicht zu ihren sonstigen,
auf eine möglichst freie Beurteilung der Verhältnisse zugeschnittenen Obliegen¬
heiten. Ein richtiger Landrat soll als ein rühriger Verwaltuugsbcamter in
seinem Kreise überall sein, aber hinter den Akten nicht mehr sitzen, als durchaus
nötig ist. Jede derartige Beschäftigung trägt schon den Keim der Pedanterie
in sich, und diese paßt zu den Laudratsaufgaben wie die Faust aufs Auge.
Dies fühlen auch viele tüchtige Landräte, welche sich ihrer Stellung bewußt
sind, sehr wohl heraus, sie spreche" wohl über die "Entscheidungen der Kreis¬
ansschüsse," aber im Hinblick auf das mit seiner wahrhaft vernichtenden Über¬
legenheit in Verwaltuugsrechtssacheu stets im Hintergründe drohende Oberver-
wnltungsgericht mit einer gewissen Beklommenheit und mit angnrischem Lächeln.
Die Mitglieder der Kreisausschüsse sind sicherlich die besten, gewiß mit der
größten Objektivität urteilenden, vom besten Willen beseelten und geeignetsten


Denn an die Stelle der früher kollegialisch konstruirten, aus juristisch und
kamcralistisch gebildeten Bernfsbeamten zusammengesetzten rechtsprechenden Be¬
hörden sind Kollegien getreten, welche der ihnen gestellten Aufgabe, in Sachen
des öffentlichen Rechtes in derselben Weise wie die ordentlichen Gerichte Recht
z» sprechen, nimmermehr gewachsen sind, insofern diese rechtsprechende Thätigkeit
nicht mit voller und ausschließlicher Hingabe, sondern mir als Nebenbeschäftigung
geübt wird.

Worauf es ankommt, ergiebt sich aus der oben mitgeteilten Kabinetsordre
vom 22, Angust 18.83. Was König Friedrich Wilhelm der Dritte damals von
den judizirenden Verwaltungsbehörden verlangte, kann man auch hente noch von
den modernen Verwaltungsgerichten erwarten, allein dazu siud dieselben, wenn
auch vielleicht augenblicklich, so doch in keiner Weise für die Dauer geeignet.
Die eigentümliche Vereinigung kvmmuualer und richterlicher Befugnisse in den
preußischen Kreis- und Stadtausschüsseu, ja sogar für Einzelheiten in den
Magistraten kleinerer Städte, dürfte in Zukunft schmerlich aufrecht zu erhalten
sein, ebensowenig wie die derselben ähnliche bei den Schöffengerichten. Die
Rechtsprechung bei den Kreis- (Stadt-) Ausschüssen und Magistraten ist eine
Nachbildung fremdländischer Einrichtungen, welche für preußische Verhältnisse
nicht passen. Im Hinblick auf die Gerichtsverfassung unsrer deutschen Urväter
kann sie als eine stilvolle Nachbildung von Rechtsaltertümern Passiren; im
übrigen gebricht dieser Einrichtung die erste Existenzbedingung eines wirksamen
richterlichen Organes in der Staatsverwaltung, die innere intellektuelle Kraft.

Als Organ der wirtschaftlichen Selbstverwaltung haben sich die Kreisaus¬
schüsse, Stadtausschüssc und Magistrate wohl bewährt, aber als Nichterkollegicn
werden sie sich für die Dauer schwerlich als brauchbar erweisen, mag man sich
auch noch so sehr bemühen, denselben geeignete Kräfte zuzuführen. Die Vor¬
sitzenden Lnudrätc find zwar nach ihren wissenschaftlichen Qualifikationen als
richterliche und Ncrwaltungsbcamte in der Regel der ihnen gestellten Aufgabe
gewachsen, aber der prozessualische Formenkram paßt garnicht zu ihren sonstigen,
auf eine möglichst freie Beurteilung der Verhältnisse zugeschnittenen Obliegen¬
heiten. Ein richtiger Landrat soll als ein rühriger Verwaltuugsbcamter in
seinem Kreise überall sein, aber hinter den Akten nicht mehr sitzen, als durchaus
nötig ist. Jede derartige Beschäftigung trägt schon den Keim der Pedanterie
in sich, und diese paßt zu den Laudratsaufgaben wie die Faust aufs Auge.
Dies fühlen auch viele tüchtige Landräte, welche sich ihrer Stellung bewußt
sind, sehr wohl heraus, sie spreche» wohl über die „Entscheidungen der Kreis¬
ansschüsse," aber im Hinblick auf das mit seiner wahrhaft vernichtenden Über¬
legenheit in Verwaltuugsrechtssacheu stets im Hintergründe drohende Oberver-
wnltungsgericht mit einer gewissen Beklommenheit und mit angnrischem Lächeln.
Die Mitglieder der Kreisausschüsse sind sicherlich die besten, gewiß mit der
größten Objektivität urteilenden, vom besten Willen beseelten und geeignetsten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/135>, abgerufen am 22.07.2024.