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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Preußen,

allen Beamten verbot, sich irgendeine Kognition in Postsachen anzumaßen oder
die Postbeamten nnter ihre Jurisdiktion zu ziehen, da das Postwesen und alle
Postbeamten hinsichtlich ihres Amtes der ausschließliche" Jurisdiktion des Ge-
ncralpostmeisters unterworfen seien. Auf einem ähnlichen Standpunkte steht
noch heute das Reichspostgesetz vom 28. Oktober 1871.

Jnnungsstreitigkeiten unterlagen schon im dreizehnten Jahrhundert der Juris¬
diktion der Magistrate in den Städten, wobei allerdings zu berücksichtigen ist,
daß die Städte damals Staaten im Staate bildeten, weshalb denn auch schon
im siebzehnten Jahrhundert, als man mit diesem Übelstande aufräumte, diese
Jurisdiktion in der Regel den ordentlichen Gerichten zustand, d. h. wo damals
besondre Provinzialgcrichtc bestanden. Jetzt gebührt die Entscheidung den Ge¬
meindebehörden oder den Jnnuugsschiedsgerichtcu, welche hierbei ebenfalls eine
verwaltungsrichterliche Thätigkeit entfalten, allerdings in den Formen des privat¬
rechtlichen Verfahrens.

Wie man solchen Thatsachen gegenüber behaupten kann, daß die Verwal¬
tungsgerichtsbarkeit (an sich und abgesehen von einer einzigen, sogleich zu er¬
wähnenden Eigentümlichkeit) ein modernes, lediglich aus theoretischen Erwägungen
hervorgegangenes Produkt unpraktischer Gelehrsamkeit sei, ist nicht wohl be¬
greiflich. In den nichtprcußischcu Ländern mögen wohl die Theorien der Ge¬
lehrten hie und da mächtig genug gewesen sein, der ordentlichen Gerichtsbarkeit
ohne jeden historischen Vorgang einen Konkurrenten an die Seite zu stellen,
allein in Brandenburg-Preußen beruht die Vcrwaltuugsgerichtsbarkeit ihrer Ent¬
stehung und ihrem ursprünglichen Wesen nach auf der vaterländischen Rechts¬
geschichte, hier war sie (in vollständigem Gegensatze zu dem Entwicklungsgange
in Frankreich) eine unvermeidliche Folge der Kollision zwischen dem siegreich
aus der ständischen Verfassung hervorgegangen"! monarchischen Prinzip und dem
geltenden öffentlichen Rechte; in Frankreich war sie ein Akt der Willkür, durch
welchen die Handhabung des unverändert gebliebenen öffentlichen Rechtes dem
unabhängigen ordentlichen Richter entzogen und auf abhängige Verwaltungs¬
beamte übertragen wurde. Seit der Stein- und Hardenbergischen Gesetzgebung
ist die preußische Verwaltuugsgerichtsbarkcit ihren eignen Weg gegangen, an¬
fangs mit Zielen, welche lediglich auf das Praktische gerichtet waren, und erst
später mit einigen theoretischen Zuthaten, welche vielleicht manchem als die
Essentialien der Verwaltungsgerichtsbarkeit erscheinen mögen, was sie aber that¬
sächlich nicht sind.

Es soll mit dieser letzteren Bemerkung hingewiesen werden ans jenen eigen¬
tümlichen Zusammenhang der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit der obrigkeitliche"
Selbstverwaltung, eine Einrichtung, welche englischen Zuständen nachgebildet
ist und darauf hinausgeht, die obrigkeitliche Selbstverwaltung in die Hände
der kommunalen Organe zu bringen, wodurch aber das Wesen der Verwal-
tnngsgerichtsbarkcit mit der Zeit vollständig aus den Fügen zu gehen droht.


Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Preußen,

allen Beamten verbot, sich irgendeine Kognition in Postsachen anzumaßen oder
die Postbeamten nnter ihre Jurisdiktion zu ziehen, da das Postwesen und alle
Postbeamten hinsichtlich ihres Amtes der ausschließliche» Jurisdiktion des Ge-
ncralpostmeisters unterworfen seien. Auf einem ähnlichen Standpunkte steht
noch heute das Reichspostgesetz vom 28. Oktober 1871.

Jnnungsstreitigkeiten unterlagen schon im dreizehnten Jahrhundert der Juris¬
diktion der Magistrate in den Städten, wobei allerdings zu berücksichtigen ist,
daß die Städte damals Staaten im Staate bildeten, weshalb denn auch schon
im siebzehnten Jahrhundert, als man mit diesem Übelstande aufräumte, diese
Jurisdiktion in der Regel den ordentlichen Gerichten zustand, d. h. wo damals
besondre Provinzialgcrichtc bestanden. Jetzt gebührt die Entscheidung den Ge¬
meindebehörden oder den Jnnuugsschiedsgerichtcu, welche hierbei ebenfalls eine
verwaltungsrichterliche Thätigkeit entfalten, allerdings in den Formen des privat¬
rechtlichen Verfahrens.

Wie man solchen Thatsachen gegenüber behaupten kann, daß die Verwal¬
tungsgerichtsbarkeit (an sich und abgesehen von einer einzigen, sogleich zu er¬
wähnenden Eigentümlichkeit) ein modernes, lediglich aus theoretischen Erwägungen
hervorgegangenes Produkt unpraktischer Gelehrsamkeit sei, ist nicht wohl be¬
greiflich. In den nichtprcußischcu Ländern mögen wohl die Theorien der Ge¬
lehrten hie und da mächtig genug gewesen sein, der ordentlichen Gerichtsbarkeit
ohne jeden historischen Vorgang einen Konkurrenten an die Seite zu stellen,
allein in Brandenburg-Preußen beruht die Vcrwaltuugsgerichtsbarkeit ihrer Ent¬
stehung und ihrem ursprünglichen Wesen nach auf der vaterländischen Rechts¬
geschichte, hier war sie (in vollständigem Gegensatze zu dem Entwicklungsgange
in Frankreich) eine unvermeidliche Folge der Kollision zwischen dem siegreich
aus der ständischen Verfassung hervorgegangen«! monarchischen Prinzip und dem
geltenden öffentlichen Rechte; in Frankreich war sie ein Akt der Willkür, durch
welchen die Handhabung des unverändert gebliebenen öffentlichen Rechtes dem
unabhängigen ordentlichen Richter entzogen und auf abhängige Verwaltungs¬
beamte übertragen wurde. Seit der Stein- und Hardenbergischen Gesetzgebung
ist die preußische Verwaltuugsgerichtsbarkcit ihren eignen Weg gegangen, an¬
fangs mit Zielen, welche lediglich auf das Praktische gerichtet waren, und erst
später mit einigen theoretischen Zuthaten, welche vielleicht manchem als die
Essentialien der Verwaltungsgerichtsbarkeit erscheinen mögen, was sie aber that¬
sächlich nicht sind.

Es soll mit dieser letzteren Bemerkung hingewiesen werden ans jenen eigen¬
tümlichen Zusammenhang der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit der obrigkeitliche»
Selbstverwaltung, eine Einrichtung, welche englischen Zuständen nachgebildet
ist und darauf hinausgeht, die obrigkeitliche Selbstverwaltung in die Hände
der kommunalen Organe zu bringen, wodurch aber das Wesen der Verwal-
tnngsgerichtsbarkcit mit der Zeit vollständig aus den Fügen zu gehen droht.


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[0134] Die Verwaltungsgerichtsbarkeit in Preußen, allen Beamten verbot, sich irgendeine Kognition in Postsachen anzumaßen oder die Postbeamten nnter ihre Jurisdiktion zu ziehen, da das Postwesen und alle Postbeamten hinsichtlich ihres Amtes der ausschließliche» Jurisdiktion des Ge- ncralpostmeisters unterworfen seien. Auf einem ähnlichen Standpunkte steht noch heute das Reichspostgesetz vom 28. Oktober 1871. Jnnungsstreitigkeiten unterlagen schon im dreizehnten Jahrhundert der Juris¬ diktion der Magistrate in den Städten, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß die Städte damals Staaten im Staate bildeten, weshalb denn auch schon im siebzehnten Jahrhundert, als man mit diesem Übelstande aufräumte, diese Jurisdiktion in der Regel den ordentlichen Gerichten zustand, d. h. wo damals besondre Provinzialgcrichtc bestanden. Jetzt gebührt die Entscheidung den Ge¬ meindebehörden oder den Jnnuugsschiedsgerichtcu, welche hierbei ebenfalls eine verwaltungsrichterliche Thätigkeit entfalten, allerdings in den Formen des privat¬ rechtlichen Verfahrens. Wie man solchen Thatsachen gegenüber behaupten kann, daß die Verwal¬ tungsgerichtsbarkeit (an sich und abgesehen von einer einzigen, sogleich zu er¬ wähnenden Eigentümlichkeit) ein modernes, lediglich aus theoretischen Erwägungen hervorgegangenes Produkt unpraktischer Gelehrsamkeit sei, ist nicht wohl be¬ greiflich. In den nichtprcußischcu Ländern mögen wohl die Theorien der Ge¬ lehrten hie und da mächtig genug gewesen sein, der ordentlichen Gerichtsbarkeit ohne jeden historischen Vorgang einen Konkurrenten an die Seite zu stellen, allein in Brandenburg-Preußen beruht die Vcrwaltuugsgerichtsbarkeit ihrer Ent¬ stehung und ihrem ursprünglichen Wesen nach auf der vaterländischen Rechts¬ geschichte, hier war sie (in vollständigem Gegensatze zu dem Entwicklungsgange in Frankreich) eine unvermeidliche Folge der Kollision zwischen dem siegreich aus der ständischen Verfassung hervorgegangen«! monarchischen Prinzip und dem geltenden öffentlichen Rechte; in Frankreich war sie ein Akt der Willkür, durch welchen die Handhabung des unverändert gebliebenen öffentlichen Rechtes dem unabhängigen ordentlichen Richter entzogen und auf abhängige Verwaltungs¬ beamte übertragen wurde. Seit der Stein- und Hardenbergischen Gesetzgebung ist die preußische Verwaltuugsgerichtsbarkcit ihren eignen Weg gegangen, an¬ fangs mit Zielen, welche lediglich auf das Praktische gerichtet waren, und erst später mit einigen theoretischen Zuthaten, welche vielleicht manchem als die Essentialien der Verwaltungsgerichtsbarkeit erscheinen mögen, was sie aber that¬ sächlich nicht sind. Es soll mit dieser letzteren Bemerkung hingewiesen werden ans jenen eigen¬ tümlichen Zusammenhang der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit der obrigkeitliche» Selbstverwaltung, eine Einrichtung, welche englischen Zuständen nachgebildet ist und darauf hinausgeht, die obrigkeitliche Selbstverwaltung in die Hände der kommunalen Organe zu bringen, wodurch aber das Wesen der Verwal- tnngsgerichtsbarkcit mit der Zeit vollständig aus den Fügen zu gehen droht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/134>, abgerufen am 22.07.2024.