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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Kreiseingesessenen, welche sich für diesen Zweck haben auftreiben lassen, man
findet unter denselben nur hochchrcnhafte Männer, und darunter sogar viele
mit juristischer und kameralistischer Vorbildung, z. B. ehemalige Rechtsanwälte,
Landräte, Gerichts- oder Regiernngsrcite, welche ihren einstigen Beruf wegen
Invalidität oder wegen ihrer wirtschaftlichen Angelegenheiten aufgegeben haben;
aber alle diese Herren können ja doch ihr richterliches Ehrenamt immer nur als
ein Nebengeschäft auffassen, eine Regel, von welcher wohl nnr manche aktive
gelehrte Bürgermeister als Mitglieder des Selbstverwaltuugsgerichtes eine Aus¬
nahme macheu. Will man diese Ausnahme zugeben, so stellt sich dabei wieder
heraus, daß man solche Mitglieder nicht mehr zu den "Laien" rechnen kann,
denn sie werden Verwaltungsjuristen von Beruf und wirkliche Fachleute, an
denen doch in den Negieruugskollegieu kein Mangel ist, sodaß jeder Grund
wegfällt, jene an die Stelle dieser zu setzen.

Die juristische Beurteilung von Fragen des öffentlichen Rechtes läßt sich
als Nebengeschäft nimmermehr betreiben, dazu sind diese Fragen denn doch zu
schwieriger Natur, und wenn man bisher mit der Bearbeitung dieser Fragen
bei den Krcisausschüssen u. s, w. nicht gerade unzufrieden gewesen ist, so findet
das seine Erklärung in der unendlichen Langmut des Oberverwaltuugsgerichtes,
welches dieselben Ncchtsgrundscitze in seineu Entscheidungen hundertmal wieder¬
holt und unermüdlich, aber doch nnr mit verhältnismäßig geringem Erfolge,
in den gedruckten Entscheidungen Belehrungen erteilt. Diese Erfolge würden
besser sein, wenn in den untern Instanzen nicht die Laien mit zu Gericht säßen.

Was würde ein Gutsbesitzer wohl dazu sagen, wenn man ihm als Ge¬
hilfen in seiner Landwirtschaft einen Berliner Referendar oder einen Assessor
oder einen alten Regierungs- oder Gerichtsrat aufdrängen wollte? Mit Hohn
würde er ihn zurückweisen; und doch sollte es zulässig sein, Personen, welche
in der Handhabung unsrer verwickelten Gesetzgebung auch nicht die mindeste
Übung und Erfahrung haben, an den Entscheidungen der Verwaltungsgerichte
teilnehmen zu lassen?

Ähnliche Versuche sind schon früher einmal in einer erregten und bedrängten
Zeit gemacht worden (s. die Verordnung vom 26. Dezember 1808). Das war
damals als eine euxt-Mo dLnsvolvirtias auch wohl begreiflich; allein als die ruhige
Erwägung wieder platz griff, nahm man von dieser ungewöhnlichen Maßnahme
wieder Abstand.

Aktive Rechtsanwälte als Richter in den Verwaltungsgerichten zu sehen,
ist auch bedenklich, weil Kollisionen mit ihrer Praxis, selbst bei dem redlichsten
Streben nach Objektivität, dabei ganz unvermeidlich sind, und weil die Welt
nicht nach der Wirklichkeit, sondern nach dem Scheine urteilt.

Eine ganz eigentümliche Existenz führt aber in der juristisch-knmeralistischen
Atmosphäre der Selbstverwaltungsgerichtssitzuugen der schlichte Landmann oder
Bürger, der Repräsentant des "gesunden Menschenverstandes," eines Dinges,


Kreiseingesessenen, welche sich für diesen Zweck haben auftreiben lassen, man
findet unter denselben nur hochchrcnhafte Männer, und darunter sogar viele
mit juristischer und kameralistischer Vorbildung, z. B. ehemalige Rechtsanwälte,
Landräte, Gerichts- oder Regiernngsrcite, welche ihren einstigen Beruf wegen
Invalidität oder wegen ihrer wirtschaftlichen Angelegenheiten aufgegeben haben;
aber alle diese Herren können ja doch ihr richterliches Ehrenamt immer nur als
ein Nebengeschäft auffassen, eine Regel, von welcher wohl nnr manche aktive
gelehrte Bürgermeister als Mitglieder des Selbstverwaltuugsgerichtes eine Aus¬
nahme macheu. Will man diese Ausnahme zugeben, so stellt sich dabei wieder
heraus, daß man solche Mitglieder nicht mehr zu den „Laien" rechnen kann,
denn sie werden Verwaltungsjuristen von Beruf und wirkliche Fachleute, an
denen doch in den Negieruugskollegieu kein Mangel ist, sodaß jeder Grund
wegfällt, jene an die Stelle dieser zu setzen.

Die juristische Beurteilung von Fragen des öffentlichen Rechtes läßt sich
als Nebengeschäft nimmermehr betreiben, dazu sind diese Fragen denn doch zu
schwieriger Natur, und wenn man bisher mit der Bearbeitung dieser Fragen
bei den Krcisausschüssen u. s, w. nicht gerade unzufrieden gewesen ist, so findet
das seine Erklärung in der unendlichen Langmut des Oberverwaltuugsgerichtes,
welches dieselben Ncchtsgrundscitze in seineu Entscheidungen hundertmal wieder¬
holt und unermüdlich, aber doch nnr mit verhältnismäßig geringem Erfolge,
in den gedruckten Entscheidungen Belehrungen erteilt. Diese Erfolge würden
besser sein, wenn in den untern Instanzen nicht die Laien mit zu Gericht säßen.

Was würde ein Gutsbesitzer wohl dazu sagen, wenn man ihm als Ge¬
hilfen in seiner Landwirtschaft einen Berliner Referendar oder einen Assessor
oder einen alten Regierungs- oder Gerichtsrat aufdrängen wollte? Mit Hohn
würde er ihn zurückweisen; und doch sollte es zulässig sein, Personen, welche
in der Handhabung unsrer verwickelten Gesetzgebung auch nicht die mindeste
Übung und Erfahrung haben, an den Entscheidungen der Verwaltungsgerichte
teilnehmen zu lassen?

Ähnliche Versuche sind schon früher einmal in einer erregten und bedrängten
Zeit gemacht worden (s. die Verordnung vom 26. Dezember 1808). Das war
damals als eine euxt-Mo dLnsvolvirtias auch wohl begreiflich; allein als die ruhige
Erwägung wieder platz griff, nahm man von dieser ungewöhnlichen Maßnahme
wieder Abstand.

Aktive Rechtsanwälte als Richter in den Verwaltungsgerichten zu sehen,
ist auch bedenklich, weil Kollisionen mit ihrer Praxis, selbst bei dem redlichsten
Streben nach Objektivität, dabei ganz unvermeidlich sind, und weil die Welt
nicht nach der Wirklichkeit, sondern nach dem Scheine urteilt.

Eine ganz eigentümliche Existenz führt aber in der juristisch-knmeralistischen
Atmosphäre der Selbstverwaltungsgerichtssitzuugen der schlichte Landmann oder
Bürger, der Repräsentant des „gesunden Menschenverstandes," eines Dinges,


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[0136] Kreiseingesessenen, welche sich für diesen Zweck haben auftreiben lassen, man findet unter denselben nur hochchrcnhafte Männer, und darunter sogar viele mit juristischer und kameralistischer Vorbildung, z. B. ehemalige Rechtsanwälte, Landräte, Gerichts- oder Regiernngsrcite, welche ihren einstigen Beruf wegen Invalidität oder wegen ihrer wirtschaftlichen Angelegenheiten aufgegeben haben; aber alle diese Herren können ja doch ihr richterliches Ehrenamt immer nur als ein Nebengeschäft auffassen, eine Regel, von welcher wohl nnr manche aktive gelehrte Bürgermeister als Mitglieder des Selbstverwaltuugsgerichtes eine Aus¬ nahme macheu. Will man diese Ausnahme zugeben, so stellt sich dabei wieder heraus, daß man solche Mitglieder nicht mehr zu den „Laien" rechnen kann, denn sie werden Verwaltungsjuristen von Beruf und wirkliche Fachleute, an denen doch in den Negieruugskollegieu kein Mangel ist, sodaß jeder Grund wegfällt, jene an die Stelle dieser zu setzen. Die juristische Beurteilung von Fragen des öffentlichen Rechtes läßt sich als Nebengeschäft nimmermehr betreiben, dazu sind diese Fragen denn doch zu schwieriger Natur, und wenn man bisher mit der Bearbeitung dieser Fragen bei den Krcisausschüssen u. s, w. nicht gerade unzufrieden gewesen ist, so findet das seine Erklärung in der unendlichen Langmut des Oberverwaltuugsgerichtes, welches dieselben Ncchtsgrundscitze in seineu Entscheidungen hundertmal wieder¬ holt und unermüdlich, aber doch nnr mit verhältnismäßig geringem Erfolge, in den gedruckten Entscheidungen Belehrungen erteilt. Diese Erfolge würden besser sein, wenn in den untern Instanzen nicht die Laien mit zu Gericht säßen. Was würde ein Gutsbesitzer wohl dazu sagen, wenn man ihm als Ge¬ hilfen in seiner Landwirtschaft einen Berliner Referendar oder einen Assessor oder einen alten Regierungs- oder Gerichtsrat aufdrängen wollte? Mit Hohn würde er ihn zurückweisen; und doch sollte es zulässig sein, Personen, welche in der Handhabung unsrer verwickelten Gesetzgebung auch nicht die mindeste Übung und Erfahrung haben, an den Entscheidungen der Verwaltungsgerichte teilnehmen zu lassen? Ähnliche Versuche sind schon früher einmal in einer erregten und bedrängten Zeit gemacht worden (s. die Verordnung vom 26. Dezember 1808). Das war damals als eine euxt-Mo dLnsvolvirtias auch wohl begreiflich; allein als die ruhige Erwägung wieder platz griff, nahm man von dieser ungewöhnlichen Maßnahme wieder Abstand. Aktive Rechtsanwälte als Richter in den Verwaltungsgerichten zu sehen, ist auch bedenklich, weil Kollisionen mit ihrer Praxis, selbst bei dem redlichsten Streben nach Objektivität, dabei ganz unvermeidlich sind, und weil die Welt nicht nach der Wirklichkeit, sondern nach dem Scheine urteilt. Eine ganz eigentümliche Existenz führt aber in der juristisch-knmeralistischen Atmosphäre der Selbstverwaltungsgerichtssitzuugen der schlichte Landmann oder Bürger, der Repräsentant des „gesunden Menschenverstandes," eines Dinges,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/136>, abgerufen am 22.07.2024.