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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Bismarck und Herr Gladstone,

durchaus keine persönliche, keine Gefühlspolitik, und er denkt nicht daran, sich
in die innern Angelegenheiten fremder Völker und Staaten zu mischen, deren
Ministerien zu untergraben u. dergl. Am wenigsten hat er Ursache, sich in
London eine andre Regierung zu wünschen, ja man darf getrost behaupten,
stünde dort kein Gladstone mit seiner unklaren, zaghaften und wankelmütigen
Politik in auswärtigen Fragen am Ruder, so müßten fremde Staatsmänner
den Wunsch hegen, daß er oder ein andrer Politiker solchen Schlages dorthin
gelangte, da niemand ihren Zwecken besser zu dienen verspräche, niemand weniger
zu Befürchtungen Anlaß gäbe als er. Den deutschen Reichskanzler als ehr¬
geizigen und ränkevollen Friedensstörer hinstellen kaun nur die Dummdreistig¬
keit, die als ars dsliiirä et<z soönss in og.it/ I^vos offiziös das englische Pu¬
blikum zu beschwindeln bemüht war. Weit besser wäre es, Gladstones Politik
als eine solche nachzuweisen, welcher der Friede zwischen den Völkern des Fest¬
landes nicht recht ist, und welche deshalb nichts für dessen Sicherung thu"
will. Allgemein und selbst in englischen Kreisen weitverbreitet ist die Über¬
zeugung, daß das Verdienst des leitenden deutscheu Staatsmannes seit 1871
jahrelang vorwiegend in seinem erfolgreichen Bestreben bestanden hat, nach Mög¬
lichkeit vermittelnd, versöhnend und vorbauend für den europäischen Frieden zu
wirken und starke Bürgschaften für dessen Erhaltung zu schaffen. Dieses Be¬
mühen gelang zunächst mit Österreich-Ungarn, dann mit Italien und mit Ru߬
land. Schwieriger war das Werk, auch Frankreichs Mitwirken in dieser Richtung
zu gewinen und für die Dauer zu sichern, da hier eine zeitlang Partei¬
kämpfe einer festen Politik entgegenstanden und Politiker von Einfluß Rache¬
gefühle gegen die deutscheu Sieger vou 1870 in ihre Berechnungen aufgenommen
hatten. Leichter dagegen schien es unter Beaeonsfields Regierung, England in die
Gemeinschaft der zur Erhaltung der Ruhe in Europa verbündeten hereinzuziehen,
und der Versuch wurde von Berlin her gemacht. Der Reichskanzler fand Ge¬
legenheit, den Engländern ihre Absichten auf Sicherung der nächsten Wasser¬
straße nach Indien zu erleichtern, und die damalige Regierung Großbritanniens
zeigte sich erkenntlich für solche Gefälligkeit. Sie siel indes unter dem Ansturme
der liberalen Gegenpartei, und Gladstone, der Führer der letzteren, erwies sich,
einmal, weil er das Gegenteil von dem, was sein Amtsvorgänger gethan, thun
zu müssen meinte, dann, weil er die Feindschaft Frankreichs gegen Deutschland
für unlösbar und letzteres sür stärker und somit für einen bessern Bundes¬
genossen ansah, den Werbungen der deutscheu Politik unzugänglich, er lehnte
es ab, sich den Bemühungen Bismarcks um Sicherung des Friedens anzu¬
schließen, und statt auch Englands Gewicht zu diesem Zwecke in die Wagschale
allen zu lassen, zeigte er sich vielmehr bei verschiednett Anlässen geneigt, den
Franzosen zur Seite zu treten. Die natürliche Folge war, daß die deutsche
Politik den Versuch unternahm, sich mit der Pariser Negierung zu verständigen.
Allerdings standen ihr in Frankreich Erinnerungen und EmpsindlichkcitenZim


Bismarck und Herr Gladstone,

durchaus keine persönliche, keine Gefühlspolitik, und er denkt nicht daran, sich
in die innern Angelegenheiten fremder Völker und Staaten zu mischen, deren
Ministerien zu untergraben u. dergl. Am wenigsten hat er Ursache, sich in
London eine andre Regierung zu wünschen, ja man darf getrost behaupten,
stünde dort kein Gladstone mit seiner unklaren, zaghaften und wankelmütigen
Politik in auswärtigen Fragen am Ruder, so müßten fremde Staatsmänner
den Wunsch hegen, daß er oder ein andrer Politiker solchen Schlages dorthin
gelangte, da niemand ihren Zwecken besser zu dienen verspräche, niemand weniger
zu Befürchtungen Anlaß gäbe als er. Den deutschen Reichskanzler als ehr¬
geizigen und ränkevollen Friedensstörer hinstellen kaun nur die Dummdreistig¬
keit, die als ars dsliiirä et<z soönss in og.it/ I^vos offiziös das englische Pu¬
blikum zu beschwindeln bemüht war. Weit besser wäre es, Gladstones Politik
als eine solche nachzuweisen, welcher der Friede zwischen den Völkern des Fest¬
landes nicht recht ist, und welche deshalb nichts für dessen Sicherung thu»
will. Allgemein und selbst in englischen Kreisen weitverbreitet ist die Über¬
zeugung, daß das Verdienst des leitenden deutscheu Staatsmannes seit 1871
jahrelang vorwiegend in seinem erfolgreichen Bestreben bestanden hat, nach Mög¬
lichkeit vermittelnd, versöhnend und vorbauend für den europäischen Frieden zu
wirken und starke Bürgschaften für dessen Erhaltung zu schaffen. Dieses Be¬
mühen gelang zunächst mit Österreich-Ungarn, dann mit Italien und mit Ru߬
land. Schwieriger war das Werk, auch Frankreichs Mitwirken in dieser Richtung
zu gewinen und für die Dauer zu sichern, da hier eine zeitlang Partei¬
kämpfe einer festen Politik entgegenstanden und Politiker von Einfluß Rache¬
gefühle gegen die deutscheu Sieger vou 1870 in ihre Berechnungen aufgenommen
hatten. Leichter dagegen schien es unter Beaeonsfields Regierung, England in die
Gemeinschaft der zur Erhaltung der Ruhe in Europa verbündeten hereinzuziehen,
und der Versuch wurde von Berlin her gemacht. Der Reichskanzler fand Ge¬
legenheit, den Engländern ihre Absichten auf Sicherung der nächsten Wasser¬
straße nach Indien zu erleichtern, und die damalige Regierung Großbritanniens
zeigte sich erkenntlich für solche Gefälligkeit. Sie siel indes unter dem Ansturme
der liberalen Gegenpartei, und Gladstone, der Führer der letzteren, erwies sich,
einmal, weil er das Gegenteil von dem, was sein Amtsvorgänger gethan, thun
zu müssen meinte, dann, weil er die Feindschaft Frankreichs gegen Deutschland
für unlösbar und letzteres sür stärker und somit für einen bessern Bundes¬
genossen ansah, den Werbungen der deutscheu Politik unzugänglich, er lehnte
es ab, sich den Bemühungen Bismarcks um Sicherung des Friedens anzu¬
schließen, und statt auch Englands Gewicht zu diesem Zwecke in die Wagschale
allen zu lassen, zeigte er sich vielmehr bei verschiednett Anlässen geneigt, den
Franzosen zur Seite zu treten. Die natürliche Folge war, daß die deutsche
Politik den Versuch unternahm, sich mit der Pariser Negierung zu verständigen.
Allerdings standen ihr in Frankreich Erinnerungen und EmpsindlichkcitenZim


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[0119] Bismarck und Herr Gladstone, durchaus keine persönliche, keine Gefühlspolitik, und er denkt nicht daran, sich in die innern Angelegenheiten fremder Völker und Staaten zu mischen, deren Ministerien zu untergraben u. dergl. Am wenigsten hat er Ursache, sich in London eine andre Regierung zu wünschen, ja man darf getrost behaupten, stünde dort kein Gladstone mit seiner unklaren, zaghaften und wankelmütigen Politik in auswärtigen Fragen am Ruder, so müßten fremde Staatsmänner den Wunsch hegen, daß er oder ein andrer Politiker solchen Schlages dorthin gelangte, da niemand ihren Zwecken besser zu dienen verspräche, niemand weniger zu Befürchtungen Anlaß gäbe als er. Den deutschen Reichskanzler als ehr¬ geizigen und ränkevollen Friedensstörer hinstellen kaun nur die Dummdreistig¬ keit, die als ars dsliiirä et<z soönss in og.it/ I^vos offiziös das englische Pu¬ blikum zu beschwindeln bemüht war. Weit besser wäre es, Gladstones Politik als eine solche nachzuweisen, welcher der Friede zwischen den Völkern des Fest¬ landes nicht recht ist, und welche deshalb nichts für dessen Sicherung thu» will. Allgemein und selbst in englischen Kreisen weitverbreitet ist die Über¬ zeugung, daß das Verdienst des leitenden deutscheu Staatsmannes seit 1871 jahrelang vorwiegend in seinem erfolgreichen Bestreben bestanden hat, nach Mög¬ lichkeit vermittelnd, versöhnend und vorbauend für den europäischen Frieden zu wirken und starke Bürgschaften für dessen Erhaltung zu schaffen. Dieses Be¬ mühen gelang zunächst mit Österreich-Ungarn, dann mit Italien und mit Ru߬ land. Schwieriger war das Werk, auch Frankreichs Mitwirken in dieser Richtung zu gewinen und für die Dauer zu sichern, da hier eine zeitlang Partei¬ kämpfe einer festen Politik entgegenstanden und Politiker von Einfluß Rache¬ gefühle gegen die deutscheu Sieger vou 1870 in ihre Berechnungen aufgenommen hatten. Leichter dagegen schien es unter Beaeonsfields Regierung, England in die Gemeinschaft der zur Erhaltung der Ruhe in Europa verbündeten hereinzuziehen, und der Versuch wurde von Berlin her gemacht. Der Reichskanzler fand Ge¬ legenheit, den Engländern ihre Absichten auf Sicherung der nächsten Wasser¬ straße nach Indien zu erleichtern, und die damalige Regierung Großbritanniens zeigte sich erkenntlich für solche Gefälligkeit. Sie siel indes unter dem Ansturme der liberalen Gegenpartei, und Gladstone, der Führer der letzteren, erwies sich, einmal, weil er das Gegenteil von dem, was sein Amtsvorgänger gethan, thun zu müssen meinte, dann, weil er die Feindschaft Frankreichs gegen Deutschland für unlösbar und letzteres sür stärker und somit für einen bessern Bundes¬ genossen ansah, den Werbungen der deutscheu Politik unzugänglich, er lehnte es ab, sich den Bemühungen Bismarcks um Sicherung des Friedens anzu¬ schließen, und statt auch Englands Gewicht zu diesem Zwecke in die Wagschale allen zu lassen, zeigte er sich vielmehr bei verschiednett Anlässen geneigt, den Franzosen zur Seite zu treten. Die natürliche Folge war, daß die deutsche Politik den Versuch unternahm, sich mit der Pariser Negierung zu verständigen. Allerdings standen ihr in Frankreich Erinnerungen und EmpsindlichkcitenZim

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/119>, abgerufen am 22.07.2024.