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Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal.

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Bismarck und Herr Gladstone.

etwas von oben herab, etwas kavalierement behandelt worden. Vielleicht hat
Fürst Bismarck Grund zu dieser Ansicht, ich sage aber nnr, daß es seine
Ansicht ist. Natürlich hat er noch andre Gründe für sein jetziges Verfahren.
Sein verschiednen Ministerien oft ausgedrückter Wunsch ist, England möge sich
Ägyptens unbedingt bemächtigen und es zu einer britischen Besitzung machen.. .
Das würde ein ganzes Kapitel der verschiedensten Annexionen zur Folge gehabt
haben. Denn hätte es sich für befugt gehalten, nach Ägypten zu greifen, und
wäre es bei diesem Verfahren von einer Macht wie Deutschland unterstützt
worden, so hätte es gegen keinerlei Zugreifen Deutschlands Einspruch thun
können, und dem Beispiele Deutschlands würden Frankreich und Italien gefolgt
sein... Fürst Bismarck betrachtet Herrn Gladstone und seine Amtsgenossen als
verantwortlich dafür, daß der Ehrgeiz Deutschlands Halt machen mußte, es
ärgert ihn, und er ist nicht der Mann, der sich ärgert und dann die ganze
Sache rasch vergißt. Kurz und gut: der deutsche Kanzler macht sich jetzt zu
einem Faktor in den politischen Angelegenheiten Englands. Er wird kein Mittel
unversucht lassen, mit dem sich die Gladstonesche Regierung stürzen oder doch
Herr Gladstone selbst beseitige" läßt. England soll in Ägypten insultirt werden,
damit Herr Gladstone gedemütigt und zum Verzicht auf sein Amt genötigt werde,
und er soll zu diesem Verzicht gezwungen werden, weil Fürst Bismarck ihn nicht
leiden kann."

Herr Gladstone läßt hier ganz ähnliche Ideen wie einst Palmerston ver¬
breiten', aber der Erfolg dieses Blendwerkes ist diesmal nicht derselbe gewesen
wie damals. Die heutigen Engländer sind weniger leicht zu bethören, sie haben
Fortschritte in der Erkenntnis gemacht, sie wissen ausländische Politiker besser zu
würdigen, auch war der Versuch, den gegenwärtigen britischen Premier mit
Bismarckschen Haß und deutschem Ehr- und Ländergeiz von seinen Sünden
reinzuwaschen, zu wenig geschickt, um viele Gläubige zu finden, und so klang
das Echo, welches die Stimme "hinter den Kulissen" schon in der Londoner
Presse weckte, weit mehr wie Gelächter als wie Zustimmung oder gar wie Be¬
geisterung für den Staatsmann, der durch den Mund jener Stimme sich zu
rechtfertigen und den deutscheu Kanzler zu verdächtigen gesucht hatte. Noch
viel komischer aber muß dieser Versuch dein unbefangenen festländischen und
namentlich dem deutschen Politiker erscheinen. Fürst Bismarck soll Gladstone
hassen, ans dessen Sturz hinarbeiten, ihm Verlegenheiten schaffen, ihm in Eng¬
land Gegner erwecken wollen -- Thorheiten, die auf der Hand liegen. Das
Gegenteil ist die Wahrheit. Wollte mau sagen, Gladstone hege als alter Neu-
peelit unfreundliche Gefühle gegen Deutschland, namentlich gegen das heutige
friedfertige und den Frieden auf dem Festlande zu sichern bemühte Deutsch¬
land, so würde das nicht schwer zu beweisen und zu belegen sein, und wollte
man hinzufügen, er sei von Abneigung gegen Bismarck erfüllt, so ließe sich das
gleichfalls mit zahlreichen schlagenden Beispielen darthun. Bismarck aber treibt


Bismarck und Herr Gladstone.

etwas von oben herab, etwas kavalierement behandelt worden. Vielleicht hat
Fürst Bismarck Grund zu dieser Ansicht, ich sage aber nnr, daß es seine
Ansicht ist. Natürlich hat er noch andre Gründe für sein jetziges Verfahren.
Sein verschiednen Ministerien oft ausgedrückter Wunsch ist, England möge sich
Ägyptens unbedingt bemächtigen und es zu einer britischen Besitzung machen.. .
Das würde ein ganzes Kapitel der verschiedensten Annexionen zur Folge gehabt
haben. Denn hätte es sich für befugt gehalten, nach Ägypten zu greifen, und
wäre es bei diesem Verfahren von einer Macht wie Deutschland unterstützt
worden, so hätte es gegen keinerlei Zugreifen Deutschlands Einspruch thun
können, und dem Beispiele Deutschlands würden Frankreich und Italien gefolgt
sein... Fürst Bismarck betrachtet Herrn Gladstone und seine Amtsgenossen als
verantwortlich dafür, daß der Ehrgeiz Deutschlands Halt machen mußte, es
ärgert ihn, und er ist nicht der Mann, der sich ärgert und dann die ganze
Sache rasch vergißt. Kurz und gut: der deutsche Kanzler macht sich jetzt zu
einem Faktor in den politischen Angelegenheiten Englands. Er wird kein Mittel
unversucht lassen, mit dem sich die Gladstonesche Regierung stürzen oder doch
Herr Gladstone selbst beseitige» läßt. England soll in Ägypten insultirt werden,
damit Herr Gladstone gedemütigt und zum Verzicht auf sein Amt genötigt werde,
und er soll zu diesem Verzicht gezwungen werden, weil Fürst Bismarck ihn nicht
leiden kann."

Herr Gladstone läßt hier ganz ähnliche Ideen wie einst Palmerston ver¬
breiten', aber der Erfolg dieses Blendwerkes ist diesmal nicht derselbe gewesen
wie damals. Die heutigen Engländer sind weniger leicht zu bethören, sie haben
Fortschritte in der Erkenntnis gemacht, sie wissen ausländische Politiker besser zu
würdigen, auch war der Versuch, den gegenwärtigen britischen Premier mit
Bismarckschen Haß und deutschem Ehr- und Ländergeiz von seinen Sünden
reinzuwaschen, zu wenig geschickt, um viele Gläubige zu finden, und so klang
das Echo, welches die Stimme „hinter den Kulissen" schon in der Londoner
Presse weckte, weit mehr wie Gelächter als wie Zustimmung oder gar wie Be¬
geisterung für den Staatsmann, der durch den Mund jener Stimme sich zu
rechtfertigen und den deutscheu Kanzler zu verdächtigen gesucht hatte. Noch
viel komischer aber muß dieser Versuch dein unbefangenen festländischen und
namentlich dem deutschen Politiker erscheinen. Fürst Bismarck soll Gladstone
hassen, ans dessen Sturz hinarbeiten, ihm Verlegenheiten schaffen, ihm in Eng¬
land Gegner erwecken wollen — Thorheiten, die auf der Hand liegen. Das
Gegenteil ist die Wahrheit. Wollte mau sagen, Gladstone hege als alter Neu-
peelit unfreundliche Gefühle gegen Deutschland, namentlich gegen das heutige
friedfertige und den Frieden auf dem Festlande zu sichern bemühte Deutsch¬
land, so würde das nicht schwer zu beweisen und zu belegen sein, und wollte
man hinzufügen, er sei von Abneigung gegen Bismarck erfüllt, so ließe sich das
gleichfalls mit zahlreichen schlagenden Beispielen darthun. Bismarck aber treibt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 44, 1885, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341841_194675/118>, abgerufen am 22.07.2024.