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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die Erhaltung und Wiederherstellung älterer Bau- und UunstdenkmLler.

Übung in einer Zeit, aus der wir bisher derartiges garnicht zu hoffen wagten,
auch geschichtlich ist er von großer Bedeutung, indem er ein weiterer, durch¬
schlagender Beweis für die von unserm bedeutendsten Kunsthistoriker Anton
Springer schon lange und mit immer siegreicherem Erfolg vertretene Ansicht
ist, daß die deutsche Kunst nichts oder sogut wie nichts mit der byzantinischen
zu thun habe, sondern sich unter Anlehnung an gewisse römische Elemente
völlig selbständig entwickelt habe. Da binnen kurzem eine größere Veröffent¬
lichung der badischen Regierung über diese Gemälde zu erwarten steht, so wird
sich Gelegenheit bieten, in diesen Blättern ausführlicher auf sie zurückzukommen.
Für heute galt es nur, zu zeigen, wie durch sorgsame Beachtung und sachver¬
ständige Behandlung uns ein Schatz von der größten Wichtigkeit gehoben worden
ist. Mögen auch unter den andern erwähnten Funden manche sein, die unser
Schönheitsgefühl nicht befriedigen, so gewähren uns doch viele einen überraschenden
Einblick in die reizende, anmutige Naivität und den nicht gering anzu¬
schlagenden Kunstsinn unsrer Altvordern. Auch wirft gerade die große Zahl
der schnell hintereinander gemachten Entdeckungen ein neues Licht auf die Kunst¬
entwicklung in Deutschland während des Mittelalters. Während wir bisher
für diese Zeit nur die Architektur und Skulptur besonders beachten, die Malerei
aber dem Umfange ihrer Ausübung sowohl wie ihrer Bedeutung nach niedriger
schätzen zu müssen glaubten, bemerken wir jetzt, daß auch in der Wandmalerei
unsre Vorfahren sich eifrig bethätigt und Werke geschaffen haben, die der sorg¬
lichen Bewahrung wohl wert erscheinen.

Wir sehen also, daß die radikalen, puritanistischen Restaurationen in der ersten
Hälfte unsers Jahrhunderts uns neben großem Nutzen auch viel Schaden ge¬
bracht haben. Sie haben uns manches Kunstwerks unwiderbringlich beraubt.
Während man im achtzehnten Jahrhundert die alten Gemälde (auf die ich absichtlich
etwas näher eingegangen bin, da an ihnen sich die Sache am deutlichsten er¬
läutern läßt) nur mit Tünche zu überstreichen beliebte, hat man sie in unserm
Jahrhundert vielfach heruntergeschlagen. Während man im vorigen schöne
Lettner, wie den berühmten romanischen am Ostchor des Naumburger Domes,
mit einer Hvlzempore überbaute, hat man in unserm aus Stilfanatismus ein
stilistisch etwas abweichendes, technisch und historisch aber hochbedeutendes Werk,
den spätgothischen Lettner im Münsterer Dom, gänzlich zerstört. Während man
im vorigen Jahrhundert schöne, buntfarbige Renaissancekanzeln, Altäre u. dergl.
nach dem eignen Geschmack überpinselte, hat man sie im neunzehnten ganz aus
der Kirche entfernt und womöglich als altes Holz verkauft. Dagegen verdanken
wir das schöne Ergebnis der letzten Jahre, das jeden Patrioten erfreuen muß,
allein der erhöhten Sorgfalt, dem allgemeiner sich regenden Interesse, den tiefer
eindringenden historischen Forschungen, und dies glückliche Ergebnis mahnt uns,
den gewonnenen Standpunkt ja nicht aufzugeben, sondern ihn überall mit vollstem
Nachdruck zur Geltung zu bringen.


Grenzboten I. 1884, II
Die Erhaltung und Wiederherstellung älterer Bau- und UunstdenkmLler.

Übung in einer Zeit, aus der wir bisher derartiges garnicht zu hoffen wagten,
auch geschichtlich ist er von großer Bedeutung, indem er ein weiterer, durch¬
schlagender Beweis für die von unserm bedeutendsten Kunsthistoriker Anton
Springer schon lange und mit immer siegreicherem Erfolg vertretene Ansicht
ist, daß die deutsche Kunst nichts oder sogut wie nichts mit der byzantinischen
zu thun habe, sondern sich unter Anlehnung an gewisse römische Elemente
völlig selbständig entwickelt habe. Da binnen kurzem eine größere Veröffent¬
lichung der badischen Regierung über diese Gemälde zu erwarten steht, so wird
sich Gelegenheit bieten, in diesen Blättern ausführlicher auf sie zurückzukommen.
Für heute galt es nur, zu zeigen, wie durch sorgsame Beachtung und sachver¬
ständige Behandlung uns ein Schatz von der größten Wichtigkeit gehoben worden
ist. Mögen auch unter den andern erwähnten Funden manche sein, die unser
Schönheitsgefühl nicht befriedigen, so gewähren uns doch viele einen überraschenden
Einblick in die reizende, anmutige Naivität und den nicht gering anzu¬
schlagenden Kunstsinn unsrer Altvordern. Auch wirft gerade die große Zahl
der schnell hintereinander gemachten Entdeckungen ein neues Licht auf die Kunst¬
entwicklung in Deutschland während des Mittelalters. Während wir bisher
für diese Zeit nur die Architektur und Skulptur besonders beachten, die Malerei
aber dem Umfange ihrer Ausübung sowohl wie ihrer Bedeutung nach niedriger
schätzen zu müssen glaubten, bemerken wir jetzt, daß auch in der Wandmalerei
unsre Vorfahren sich eifrig bethätigt und Werke geschaffen haben, die der sorg¬
lichen Bewahrung wohl wert erscheinen.

Wir sehen also, daß die radikalen, puritanistischen Restaurationen in der ersten
Hälfte unsers Jahrhunderts uns neben großem Nutzen auch viel Schaden ge¬
bracht haben. Sie haben uns manches Kunstwerks unwiderbringlich beraubt.
Während man im achtzehnten Jahrhundert die alten Gemälde (auf die ich absichtlich
etwas näher eingegangen bin, da an ihnen sich die Sache am deutlichsten er¬
läutern läßt) nur mit Tünche zu überstreichen beliebte, hat man sie in unserm
Jahrhundert vielfach heruntergeschlagen. Während man im vorigen schöne
Lettner, wie den berühmten romanischen am Ostchor des Naumburger Domes,
mit einer Hvlzempore überbaute, hat man in unserm aus Stilfanatismus ein
stilistisch etwas abweichendes, technisch und historisch aber hochbedeutendes Werk,
den spätgothischen Lettner im Münsterer Dom, gänzlich zerstört. Während man
im vorigen Jahrhundert schöne, buntfarbige Renaissancekanzeln, Altäre u. dergl.
nach dem eignen Geschmack überpinselte, hat man sie im neunzehnten ganz aus
der Kirche entfernt und womöglich als altes Holz verkauft. Dagegen verdanken
wir das schöne Ergebnis der letzten Jahre, das jeden Patrioten erfreuen muß,
allein der erhöhten Sorgfalt, dem allgemeiner sich regenden Interesse, den tiefer
eindringenden historischen Forschungen, und dies glückliche Ergebnis mahnt uns,
den gewonnenen Standpunkt ja nicht aufzugeben, sondern ihn überall mit vollstem
Nachdruck zur Geltung zu bringen.


Grenzboten I. 1884, II
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[0091] Die Erhaltung und Wiederherstellung älterer Bau- und UunstdenkmLler. Übung in einer Zeit, aus der wir bisher derartiges garnicht zu hoffen wagten, auch geschichtlich ist er von großer Bedeutung, indem er ein weiterer, durch¬ schlagender Beweis für die von unserm bedeutendsten Kunsthistoriker Anton Springer schon lange und mit immer siegreicherem Erfolg vertretene Ansicht ist, daß die deutsche Kunst nichts oder sogut wie nichts mit der byzantinischen zu thun habe, sondern sich unter Anlehnung an gewisse römische Elemente völlig selbständig entwickelt habe. Da binnen kurzem eine größere Veröffent¬ lichung der badischen Regierung über diese Gemälde zu erwarten steht, so wird sich Gelegenheit bieten, in diesen Blättern ausführlicher auf sie zurückzukommen. Für heute galt es nur, zu zeigen, wie durch sorgsame Beachtung und sachver¬ ständige Behandlung uns ein Schatz von der größten Wichtigkeit gehoben worden ist. Mögen auch unter den andern erwähnten Funden manche sein, die unser Schönheitsgefühl nicht befriedigen, so gewähren uns doch viele einen überraschenden Einblick in die reizende, anmutige Naivität und den nicht gering anzu¬ schlagenden Kunstsinn unsrer Altvordern. Auch wirft gerade die große Zahl der schnell hintereinander gemachten Entdeckungen ein neues Licht auf die Kunst¬ entwicklung in Deutschland während des Mittelalters. Während wir bisher für diese Zeit nur die Architektur und Skulptur besonders beachten, die Malerei aber dem Umfange ihrer Ausübung sowohl wie ihrer Bedeutung nach niedriger schätzen zu müssen glaubten, bemerken wir jetzt, daß auch in der Wandmalerei unsre Vorfahren sich eifrig bethätigt und Werke geschaffen haben, die der sorg¬ lichen Bewahrung wohl wert erscheinen. Wir sehen also, daß die radikalen, puritanistischen Restaurationen in der ersten Hälfte unsers Jahrhunderts uns neben großem Nutzen auch viel Schaden ge¬ bracht haben. Sie haben uns manches Kunstwerks unwiderbringlich beraubt. Während man im achtzehnten Jahrhundert die alten Gemälde (auf die ich absichtlich etwas näher eingegangen bin, da an ihnen sich die Sache am deutlichsten er¬ läutern läßt) nur mit Tünche zu überstreichen beliebte, hat man sie in unserm Jahrhundert vielfach heruntergeschlagen. Während man im vorigen schöne Lettner, wie den berühmten romanischen am Ostchor des Naumburger Domes, mit einer Hvlzempore überbaute, hat man in unserm aus Stilfanatismus ein stilistisch etwas abweichendes, technisch und historisch aber hochbedeutendes Werk, den spätgothischen Lettner im Münsterer Dom, gänzlich zerstört. Während man im vorigen Jahrhundert schöne, buntfarbige Renaissancekanzeln, Altäre u. dergl. nach dem eignen Geschmack überpinselte, hat man sie im neunzehnten ganz aus der Kirche entfernt und womöglich als altes Holz verkauft. Dagegen verdanken wir das schöne Ergebnis der letzten Jahre, das jeden Patrioten erfreuen muß, allein der erhöhten Sorgfalt, dem allgemeiner sich regenden Interesse, den tiefer eindringenden historischen Forschungen, und dies glückliche Ergebnis mahnt uns, den gewonnenen Standpunkt ja nicht aufzugeben, sondern ihn überall mit vollstem Nachdruck zur Geltung zu bringen. Grenzboten I. 1884, II

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/91>, abgerufen am 25.08.2024.