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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die Erhaltung und Wiederherstellung älterer Bau- und Runstdcnkmäler.

entstammenden Gestalt unendlich weit hinter dem Bamberger an Bedeutung
zurücksteht, heimelt mehr an als jener.

Anders als durch den Umstand, daß man früher viel zu rücksichtslos und
radikal bei Wiederherstellungsarbeiten Verfahren ist, läßt sich die auffallende That-
sache garnicht erklären, daß erst seit den allerletzten Jahren so häufig mittel¬
alterliche Wandmalereien gefunden werden und gefunden worden sind. Indem
man die häßliche weiße Tünche beseitigte und abklopfte, unterließ mau es wohl,
genauere Untersuchungen anzustellen, und mit der weißen Tünche mag auch
der darunter befindliche alte Kalkaufwurf herabgeschlagen worden sein. Fast
jede Woche melden uns die Zeitungen von einem neuen derartigen Funde. I"
Augsburg, Regensburg, Mainz, selbst an kleinen, sonst ganz unbekannten Orten
tauchen mittelalterliche Wandgemälde auf -- ich vermeide absichtlich den Aus¬
druck Fresken, da in Deutschland die Temperamanicr vorgeherrscht zu haben
scheint. Einem Vortrage, den der Landeskonservator Professor Dr. Paulus
etwa vor Jahresfrist im Verein der Altertumsfreunde zu Stuttgart gehalten
hat, entnehme ich, daß sich für Württemberg in jüngster Zeit die Zahl der be-
kannten alten Wandgemälde verdoppelt hat und jetzt schon über sechzig beträgt.
Allein in den letzten drei Jahren sind folgende Wandgemälde gefunden worden:
aus dem dreizehnten Jahrhundert im Turmgewölbe der Kirche zu Eheband bei
Gaildorf, aus dem vierzehnten im Turm der Kirche zu Gemmrigheim, in der
östlichen Kapelle der Kreuzkirche zu Gmünd, in der Stadtkirche zu Mengen, im
Sommerrefektorium des Klosters Bebenhausen bei Tübingen, der ausgedehnte
Cyklus von Wand- und Deckenmalereien im Chor der Kirche zu Schützingen
bei Maulbronn u. v. a. Und mit diesen Ergebnissen ist nicht etwa die Hoff¬
nung auf weitere Funde erschöpft; die Forschungen werden aufs eifrigste fort¬
gesetzt, und sicher versprechen Erfolg die Kirchen zu Bronnweilcr, Oferdingen
und Mühlhausen a. N., ferner die zu Trnchtclfingcn, Oberstenfeld, Pflaumloch,
Thnlheim u. a. Dies gilt von einem einzigen deutschen Landesteil! Wie
viel läßt sich da nicht bei einer planmäßigen Durchforschung von Gesamtdeutsch¬
land erwarten, zumal da Würtemberg mit diesen Untersuchungen bis jetzt ziemlich
vereinzelt dasteht!

Auch die Bekanntschaft mit den ältesten aller deutschen Wandgemälde ist
ganz jung. Vor drei Jahren wurden von dem verdienstvollen Pfarrer Feederlc
in der Kirche zu Oberzell auf der Insel Reicheren Spuren von Gemälden ent¬
deckt, und bei näherer Untersuchung ergab sich, daß die ganze Kirche mit szenischen
und ornamentalen Darstellungen bemalt sei. Bis jetzt sind dieselben im Mittel¬
schiff freigelegt; sie sind im wesentlichen unversehrt, entstammen dem zehnten
Jahrhundert und sind von geradezu überraschender Schönheit. Eine Ausdehnung
der Arbeiten auf die Nebenschiffe hinderte bis jetzt der Mangel an Geld.
Soviel steht aber bereits fest, daß wir es mit einem der allerwichtigsten Funde
zu thun haben. Er ist nicht bloß ein großartiges Zeugnis für deutsche Kunst-


Die Erhaltung und Wiederherstellung älterer Bau- und Runstdcnkmäler.

entstammenden Gestalt unendlich weit hinter dem Bamberger an Bedeutung
zurücksteht, heimelt mehr an als jener.

Anders als durch den Umstand, daß man früher viel zu rücksichtslos und
radikal bei Wiederherstellungsarbeiten Verfahren ist, läßt sich die auffallende That-
sache garnicht erklären, daß erst seit den allerletzten Jahren so häufig mittel¬
alterliche Wandmalereien gefunden werden und gefunden worden sind. Indem
man die häßliche weiße Tünche beseitigte und abklopfte, unterließ mau es wohl,
genauere Untersuchungen anzustellen, und mit der weißen Tünche mag auch
der darunter befindliche alte Kalkaufwurf herabgeschlagen worden sein. Fast
jede Woche melden uns die Zeitungen von einem neuen derartigen Funde. I»
Augsburg, Regensburg, Mainz, selbst an kleinen, sonst ganz unbekannten Orten
tauchen mittelalterliche Wandgemälde auf — ich vermeide absichtlich den Aus¬
druck Fresken, da in Deutschland die Temperamanicr vorgeherrscht zu haben
scheint. Einem Vortrage, den der Landeskonservator Professor Dr. Paulus
etwa vor Jahresfrist im Verein der Altertumsfreunde zu Stuttgart gehalten
hat, entnehme ich, daß sich für Württemberg in jüngster Zeit die Zahl der be-
kannten alten Wandgemälde verdoppelt hat und jetzt schon über sechzig beträgt.
Allein in den letzten drei Jahren sind folgende Wandgemälde gefunden worden:
aus dem dreizehnten Jahrhundert im Turmgewölbe der Kirche zu Eheband bei
Gaildorf, aus dem vierzehnten im Turm der Kirche zu Gemmrigheim, in der
östlichen Kapelle der Kreuzkirche zu Gmünd, in der Stadtkirche zu Mengen, im
Sommerrefektorium des Klosters Bebenhausen bei Tübingen, der ausgedehnte
Cyklus von Wand- und Deckenmalereien im Chor der Kirche zu Schützingen
bei Maulbronn u. v. a. Und mit diesen Ergebnissen ist nicht etwa die Hoff¬
nung auf weitere Funde erschöpft; die Forschungen werden aufs eifrigste fort¬
gesetzt, und sicher versprechen Erfolg die Kirchen zu Bronnweilcr, Oferdingen
und Mühlhausen a. N., ferner die zu Trnchtclfingcn, Oberstenfeld, Pflaumloch,
Thnlheim u. a. Dies gilt von einem einzigen deutschen Landesteil! Wie
viel läßt sich da nicht bei einer planmäßigen Durchforschung von Gesamtdeutsch¬
land erwarten, zumal da Würtemberg mit diesen Untersuchungen bis jetzt ziemlich
vereinzelt dasteht!

Auch die Bekanntschaft mit den ältesten aller deutschen Wandgemälde ist
ganz jung. Vor drei Jahren wurden von dem verdienstvollen Pfarrer Feederlc
in der Kirche zu Oberzell auf der Insel Reicheren Spuren von Gemälden ent¬
deckt, und bei näherer Untersuchung ergab sich, daß die ganze Kirche mit szenischen
und ornamentalen Darstellungen bemalt sei. Bis jetzt sind dieselben im Mittel¬
schiff freigelegt; sie sind im wesentlichen unversehrt, entstammen dem zehnten
Jahrhundert und sind von geradezu überraschender Schönheit. Eine Ausdehnung
der Arbeiten auf die Nebenschiffe hinderte bis jetzt der Mangel an Geld.
Soviel steht aber bereits fest, daß wir es mit einem der allerwichtigsten Funde
zu thun haben. Er ist nicht bloß ein großartiges Zeugnis für deutsche Kunst-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/90>, abgerufen am 25.08.2024.