Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der erste wissenschaftliche Sozialist.

Magazinen zu ebenso strikten Eigentumsrechte verabfolgt werden als heute sein
Lohn... Der Arbeiter erhält jedoch nicht den ganzen Wert seines Produkts.
Ein Teil davon wird abgezogen, damit die Beamten, welche die Produktion
leiten, die Richter, Lehrer, Ärzte, Künstler, kurz alle, welche die immaterielle
Arbeit verrichten, dafür belohnt werde"? können. Alle diese Verdienste würden
natürlich nicht wie die aus mechanischer Arbeit nach Normalarbeitszeit, sondern
vielmehr in Gehalt nach autoritativen Ermessen vergütet werden."

Es läßt sich nicht leugnen, daß der Rodbertussche Zukunftsstaat sich vor¬
teilhaft von den roh kommunistischen Traumgebilden der extremen Sozialisten
unterscheidet. Wir haben es hier mit einem wissenschaftlichen Forscher und
Denker, nicht mit einem Phantasten zu thun. Trotzdem erweckt sein Plan große
Bedenken, die unsre Schrift nicht unterläßt hervorzuheben.

Rodbertns will seinem Zukunftsstaate die Leitung der gesamten agrarischen
und gewerblichen Produktion übertragen, aber wird diese Leitung in den ein¬
zelnen Produktionswirtschaften mindestens so gut wie die jetzige privatwirtschaft-
liche, und werden letztere also mindestens so einträglich sein wie die heutigen Produk-
tiousapparate? Nodbertus hat diese Frage unbeantwortet gelassen. Ferner würde
im Rodbertnsschen Staate die Regierung über hunderttausende von Beamten ge¬
bieten, und dies würde, wenn man nicht die sorgfältigsten Vorbeugungsma߬
regeln träfe, zur allerschlimmsten politischen Korruption führen. Ist es endlich
möglich, das Rodbertussche Vcrteilungsprinzip: "Jedem nach seiner Arbeit!"
durchzuführen? Ist es vor allem möglich, den Wert des Produktes beständig
genau auf der kostender Arbeitsquantität festzuhalten? Unsre Schrift weist, wie
uns scheint, mit schlagenden Gründen, nach, daß dies unmöglich ist.

Wir geben nur noch einige Notizen über die politischen Meinungen unsers
Sozialisten, die, wie man sehen wird, mit denen der Herren Bebel und Liebknecht
nichts gemein haben, ja teilweise in direktem Gegensatze zu denselben stehen.

Rodbertus hat einmal den bezeichnenden Ausspruch gethan, die Partei, welche
großartige Aussichten in die Zukunft gewinnen wolle, werde eine sozial-monarchisch¬
nationale sein müssen. Er hat auch thatsächlich einmal die Absicht gehabt, mit
Rudolf Meyer und Hasenclever eine solche Partei zu gründen, doch wurde der
Plan aufgegeben, ohne daß man über Anfragen bei den beteiligten Personen
hinausgekommen wäre. Jener Ausspruch trifft aber wirklich den Kern der
Rodbertusschen Anschauungen.

Solange die Ziele der sozialdemokratischen Partei rein wirtschaftliche waren,
gehörte ihr Rodbertus mit ganzer Seele an, wenn er auch für die konkrete
Form der ökonomischen Bestrebungen der Lassalleaner, für die Produktivasso-
ziationen mit staatlicher Unterstützung, sich nicht erwärmen konnte. Gerade jene
Ausscheidung der Politik aus dem Programme der ersten Sozialdemokraten ist
für ihn besonders charakteristisch. Vom Komitee des deutscheu Arbeitervereins
zu Leipzig aufgefordert, über die Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen


Der erste wissenschaftliche Sozialist.

Magazinen zu ebenso strikten Eigentumsrechte verabfolgt werden als heute sein
Lohn... Der Arbeiter erhält jedoch nicht den ganzen Wert seines Produkts.
Ein Teil davon wird abgezogen, damit die Beamten, welche die Produktion
leiten, die Richter, Lehrer, Ärzte, Künstler, kurz alle, welche die immaterielle
Arbeit verrichten, dafür belohnt werde»? können. Alle diese Verdienste würden
natürlich nicht wie die aus mechanischer Arbeit nach Normalarbeitszeit, sondern
vielmehr in Gehalt nach autoritativen Ermessen vergütet werden."

Es läßt sich nicht leugnen, daß der Rodbertussche Zukunftsstaat sich vor¬
teilhaft von den roh kommunistischen Traumgebilden der extremen Sozialisten
unterscheidet. Wir haben es hier mit einem wissenschaftlichen Forscher und
Denker, nicht mit einem Phantasten zu thun. Trotzdem erweckt sein Plan große
Bedenken, die unsre Schrift nicht unterläßt hervorzuheben.

Rodbertns will seinem Zukunftsstaate die Leitung der gesamten agrarischen
und gewerblichen Produktion übertragen, aber wird diese Leitung in den ein¬
zelnen Produktionswirtschaften mindestens so gut wie die jetzige privatwirtschaft-
liche, und werden letztere also mindestens so einträglich sein wie die heutigen Produk-
tiousapparate? Nodbertus hat diese Frage unbeantwortet gelassen. Ferner würde
im Rodbertnsschen Staate die Regierung über hunderttausende von Beamten ge¬
bieten, und dies würde, wenn man nicht die sorgfältigsten Vorbeugungsma߬
regeln träfe, zur allerschlimmsten politischen Korruption führen. Ist es endlich
möglich, das Rodbertussche Vcrteilungsprinzip: „Jedem nach seiner Arbeit!"
durchzuführen? Ist es vor allem möglich, den Wert des Produktes beständig
genau auf der kostender Arbeitsquantität festzuhalten? Unsre Schrift weist, wie
uns scheint, mit schlagenden Gründen, nach, daß dies unmöglich ist.

Wir geben nur noch einige Notizen über die politischen Meinungen unsers
Sozialisten, die, wie man sehen wird, mit denen der Herren Bebel und Liebknecht
nichts gemein haben, ja teilweise in direktem Gegensatze zu denselben stehen.

Rodbertus hat einmal den bezeichnenden Ausspruch gethan, die Partei, welche
großartige Aussichten in die Zukunft gewinnen wolle, werde eine sozial-monarchisch¬
nationale sein müssen. Er hat auch thatsächlich einmal die Absicht gehabt, mit
Rudolf Meyer und Hasenclever eine solche Partei zu gründen, doch wurde der
Plan aufgegeben, ohne daß man über Anfragen bei den beteiligten Personen
hinausgekommen wäre. Jener Ausspruch trifft aber wirklich den Kern der
Rodbertusschen Anschauungen.

Solange die Ziele der sozialdemokratischen Partei rein wirtschaftliche waren,
gehörte ihr Rodbertus mit ganzer Seele an, wenn er auch für die konkrete
Form der ökonomischen Bestrebungen der Lassalleaner, für die Produktivasso-
ziationen mit staatlicher Unterstützung, sich nicht erwärmen konnte. Gerade jene
Ausscheidung der Politik aus dem Programme der ersten Sozialdemokraten ist
für ihn besonders charakteristisch. Vom Komitee des deutscheu Arbeitervereins
zu Leipzig aufgefordert, über die Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0076" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154959"/>
          <fw type="header" place="top"> Der erste wissenschaftliche Sozialist.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_234" prev="#ID_233"> Magazinen zu ebenso strikten Eigentumsrechte verabfolgt werden als heute sein<lb/>
Lohn... Der Arbeiter erhält jedoch nicht den ganzen Wert seines Produkts.<lb/>
Ein Teil davon wird abgezogen, damit die Beamten, welche die Produktion<lb/>
leiten, die Richter, Lehrer, Ärzte, Künstler, kurz alle, welche die immaterielle<lb/>
Arbeit verrichten, dafür belohnt werde»? können. Alle diese Verdienste würden<lb/>
natürlich nicht wie die aus mechanischer Arbeit nach Normalarbeitszeit, sondern<lb/>
vielmehr in Gehalt nach autoritativen Ermessen vergütet werden."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_235"> Es läßt sich nicht leugnen, daß der Rodbertussche Zukunftsstaat sich vor¬<lb/>
teilhaft von den roh kommunistischen Traumgebilden der extremen Sozialisten<lb/>
unterscheidet. Wir haben es hier mit einem wissenschaftlichen Forscher und<lb/>
Denker, nicht mit einem Phantasten zu thun. Trotzdem erweckt sein Plan große<lb/>
Bedenken, die unsre Schrift nicht unterläßt hervorzuheben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_236"> Rodbertns will seinem Zukunftsstaate die Leitung der gesamten agrarischen<lb/>
und gewerblichen Produktion übertragen, aber wird diese Leitung in den ein¬<lb/>
zelnen Produktionswirtschaften mindestens so gut wie die jetzige privatwirtschaft-<lb/>
liche, und werden letztere also mindestens so einträglich sein wie die heutigen Produk-<lb/>
tiousapparate? Nodbertus hat diese Frage unbeantwortet gelassen. Ferner würde<lb/>
im Rodbertnsschen Staate die Regierung über hunderttausende von Beamten ge¬<lb/>
bieten, und dies würde, wenn man nicht die sorgfältigsten Vorbeugungsma߬<lb/>
regeln träfe, zur allerschlimmsten politischen Korruption führen. Ist es endlich<lb/>
möglich, das Rodbertussche Vcrteilungsprinzip: &#x201E;Jedem nach seiner Arbeit!"<lb/>
durchzuführen? Ist es vor allem möglich, den Wert des Produktes beständig<lb/>
genau auf der kostender Arbeitsquantität festzuhalten? Unsre Schrift weist, wie<lb/>
uns scheint, mit schlagenden Gründen, nach, daß dies unmöglich ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_237"> Wir geben nur noch einige Notizen über die politischen Meinungen unsers<lb/>
Sozialisten, die, wie man sehen wird, mit denen der Herren Bebel und Liebknecht<lb/>
nichts gemein haben, ja teilweise in direktem Gegensatze zu denselben stehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_238"> Rodbertus hat einmal den bezeichnenden Ausspruch gethan, die Partei, welche<lb/>
großartige Aussichten in die Zukunft gewinnen wolle, werde eine sozial-monarchisch¬<lb/>
nationale sein müssen. Er hat auch thatsächlich einmal die Absicht gehabt, mit<lb/>
Rudolf Meyer und Hasenclever eine solche Partei zu gründen, doch wurde der<lb/>
Plan aufgegeben, ohne daß man über Anfragen bei den beteiligten Personen<lb/>
hinausgekommen wäre. Jener Ausspruch trifft aber wirklich den Kern der<lb/>
Rodbertusschen Anschauungen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_239" next="#ID_240"> Solange die Ziele der sozialdemokratischen Partei rein wirtschaftliche waren,<lb/>
gehörte ihr Rodbertus mit ganzer Seele an, wenn er auch für die konkrete<lb/>
Form der ökonomischen Bestrebungen der Lassalleaner, für die Produktivasso-<lb/>
ziationen mit staatlicher Unterstützung, sich nicht erwärmen konnte. Gerade jene<lb/>
Ausscheidung der Politik aus dem Programme der ersten Sozialdemokraten ist<lb/>
für ihn besonders charakteristisch. Vom Komitee des deutscheu Arbeitervereins<lb/>
zu Leipzig aufgefordert, über die Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0076] Der erste wissenschaftliche Sozialist. Magazinen zu ebenso strikten Eigentumsrechte verabfolgt werden als heute sein Lohn... Der Arbeiter erhält jedoch nicht den ganzen Wert seines Produkts. Ein Teil davon wird abgezogen, damit die Beamten, welche die Produktion leiten, die Richter, Lehrer, Ärzte, Künstler, kurz alle, welche die immaterielle Arbeit verrichten, dafür belohnt werde»? können. Alle diese Verdienste würden natürlich nicht wie die aus mechanischer Arbeit nach Normalarbeitszeit, sondern vielmehr in Gehalt nach autoritativen Ermessen vergütet werden." Es läßt sich nicht leugnen, daß der Rodbertussche Zukunftsstaat sich vor¬ teilhaft von den roh kommunistischen Traumgebilden der extremen Sozialisten unterscheidet. Wir haben es hier mit einem wissenschaftlichen Forscher und Denker, nicht mit einem Phantasten zu thun. Trotzdem erweckt sein Plan große Bedenken, die unsre Schrift nicht unterläßt hervorzuheben. Rodbertns will seinem Zukunftsstaate die Leitung der gesamten agrarischen und gewerblichen Produktion übertragen, aber wird diese Leitung in den ein¬ zelnen Produktionswirtschaften mindestens so gut wie die jetzige privatwirtschaft- liche, und werden letztere also mindestens so einträglich sein wie die heutigen Produk- tiousapparate? Nodbertus hat diese Frage unbeantwortet gelassen. Ferner würde im Rodbertnsschen Staate die Regierung über hunderttausende von Beamten ge¬ bieten, und dies würde, wenn man nicht die sorgfältigsten Vorbeugungsma߬ regeln träfe, zur allerschlimmsten politischen Korruption führen. Ist es endlich möglich, das Rodbertussche Vcrteilungsprinzip: „Jedem nach seiner Arbeit!" durchzuführen? Ist es vor allem möglich, den Wert des Produktes beständig genau auf der kostender Arbeitsquantität festzuhalten? Unsre Schrift weist, wie uns scheint, mit schlagenden Gründen, nach, daß dies unmöglich ist. Wir geben nur noch einige Notizen über die politischen Meinungen unsers Sozialisten, die, wie man sehen wird, mit denen der Herren Bebel und Liebknecht nichts gemein haben, ja teilweise in direktem Gegensatze zu denselben stehen. Rodbertus hat einmal den bezeichnenden Ausspruch gethan, die Partei, welche großartige Aussichten in die Zukunft gewinnen wolle, werde eine sozial-monarchisch¬ nationale sein müssen. Er hat auch thatsächlich einmal die Absicht gehabt, mit Rudolf Meyer und Hasenclever eine solche Partei zu gründen, doch wurde der Plan aufgegeben, ohne daß man über Anfragen bei den beteiligten Personen hinausgekommen wäre. Jener Ausspruch trifft aber wirklich den Kern der Rodbertusschen Anschauungen. Solange die Ziele der sozialdemokratischen Partei rein wirtschaftliche waren, gehörte ihr Rodbertus mit ganzer Seele an, wenn er auch für die konkrete Form der ökonomischen Bestrebungen der Lassalleaner, für die Produktivasso- ziationen mit staatlicher Unterstützung, sich nicht erwärmen konnte. Gerade jene Ausscheidung der Politik aus dem Programme der ersten Sozialdemokraten ist für ihn besonders charakteristisch. Vom Komitee des deutscheu Arbeitervereins zu Leipzig aufgefordert, über die Verbesserung der Lage der arbeitenden Klassen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/76
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/76>, abgerufen am 30.06.2024.