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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Der erste wissenschaftliche Sozialist.

seine Ansicht darzulegen, bekannte er offen, daß ihm die sozialen Fragen über
die politischen gingen, und riet den Arbeitern entschieden davon ab, sich an eine
politische Partei anzuschließen, ja auch nur das allgemeine Stimmrecht auf ihr
Panier zu schreiben. "Seien Sie die soziale Partei, die Sie nun doch einmal
sind, auch offen und unumwunden. Keine" politischen Umweg, sondern geradeaus!"
so ruft er ihnen in seiner Antwort zu.

Rodbertus war sein ganzes Leben hindurch ein Mann von streng mon¬
archischer Gesinnung. Im Jahre 1848 gehörte er in der preußischen verfassung¬
gebenden Versammlung zur Partei des linken Zentrums, einer Gruppe von
Politikern, welche Reformen wünschte, aber zugleich fähig sein wollte, ein Mi¬
nisterium zu bilden. Am 25, Juni desselben Jahres trat er als Kultus- und
Unterrichtsminister in das Kabinet Auerswald-Hansemann ein, nahm aber schon
nach vierzehn Tagen seinen Abschied, nachdem er sich überzeugt hatte, daß ein
Zusammengehen mit der Frankfurter Nationalversammlung nicht beabsichtigt war.
1849 in die zweite Kammer des preußischen Landtags gewählt, stellte er am
13. April den Antrag auf Anerkennung der Reichsverfassung der Paulskirche,
welcher einige Tage später angenommen wurde. Nach Oktroyirung des Drei¬
klassenwahlgesetzes vertrat er das Prinzip der Wahlenthaltung. Nach Annahme
der Verfassung des Norddeutschen Bundes wurde er als Kandidat für den
Reichstag aufgestellt, aber nicht gewählt, und seitdem ist er bis zu seinem 187S
erfolgten Tode der Politik ferngeblieben. Zwar hielt er die sozialistische Re¬
publik für möglich, doch war er überzeugt, daß derjenige Sozialismus, der in
der Geschichte obzusiegen und sich auf die Dauer zu behaupten bestimmt sei,
monarchischer Natur sein werde. Er hoffte vor allem, daß ein deutscher Fürst
die Rolle eines Sozialkaisers übernehmen, und daß ein solcher den die Fort¬
entwicklung zu einer höhern und vollkommnern Staatenvrdnung versperrenden
"Hexenbann der sozialen Frage" lösen würde. Zugleich aber betonte er, daß
eine solche wahrhafte Sozialmonarchie von freiheitlichen Geiste durchdrungen
sein und Karlsbader Beschlüsse unbedingt ausschließen müsse.

Endlich freute sich Rodbertus aufrichtig über die Wiederaufrichtung des
deutschen Reiches und die dadurch entstandene bewirkte Einigung der Nation,
die er als zur Trägerin der Weltgeschichte berufen und als bestimmt ansah, in
Wahrheit an der Spitze der Zivilisation zu marschiren. "Jeder echte Deutsche,
sagte er nach Rudolf Meyers Bericht, trägt heute das Vollgefühl in der Brust,
daß, obwohl seine Nation schon einmal in der Weltgeschichte die großartigste
Titelrolle mit Glanz gespielt hat, sie international und sozial noch zu größeren
und zu den größten Dingen berufen ist." Doch war er kein Chauvinist. Er
glaubte vielmehr, daß das deutsche Reich noch manche Mängel zu überwinden
habe, ja er äußerte sogar, wenn man "zu einer Art Karlsbader Beschlüsse gegen
die Sozialdemokratie kommen sollte, dies ein Unglück sein würde, welches das
Glück des wiedererstandenen deutschen Reiches aufwöge."




Der erste wissenschaftliche Sozialist.

seine Ansicht darzulegen, bekannte er offen, daß ihm die sozialen Fragen über
die politischen gingen, und riet den Arbeitern entschieden davon ab, sich an eine
politische Partei anzuschließen, ja auch nur das allgemeine Stimmrecht auf ihr
Panier zu schreiben. „Seien Sie die soziale Partei, die Sie nun doch einmal
sind, auch offen und unumwunden. Keine» politischen Umweg, sondern geradeaus!"
so ruft er ihnen in seiner Antwort zu.

Rodbertus war sein ganzes Leben hindurch ein Mann von streng mon¬
archischer Gesinnung. Im Jahre 1848 gehörte er in der preußischen verfassung¬
gebenden Versammlung zur Partei des linken Zentrums, einer Gruppe von
Politikern, welche Reformen wünschte, aber zugleich fähig sein wollte, ein Mi¬
nisterium zu bilden. Am 25, Juni desselben Jahres trat er als Kultus- und
Unterrichtsminister in das Kabinet Auerswald-Hansemann ein, nahm aber schon
nach vierzehn Tagen seinen Abschied, nachdem er sich überzeugt hatte, daß ein
Zusammengehen mit der Frankfurter Nationalversammlung nicht beabsichtigt war.
1849 in die zweite Kammer des preußischen Landtags gewählt, stellte er am
13. April den Antrag auf Anerkennung der Reichsverfassung der Paulskirche,
welcher einige Tage später angenommen wurde. Nach Oktroyirung des Drei¬
klassenwahlgesetzes vertrat er das Prinzip der Wahlenthaltung. Nach Annahme
der Verfassung des Norddeutschen Bundes wurde er als Kandidat für den
Reichstag aufgestellt, aber nicht gewählt, und seitdem ist er bis zu seinem 187S
erfolgten Tode der Politik ferngeblieben. Zwar hielt er die sozialistische Re¬
publik für möglich, doch war er überzeugt, daß derjenige Sozialismus, der in
der Geschichte obzusiegen und sich auf die Dauer zu behaupten bestimmt sei,
monarchischer Natur sein werde. Er hoffte vor allem, daß ein deutscher Fürst
die Rolle eines Sozialkaisers übernehmen, und daß ein solcher den die Fort¬
entwicklung zu einer höhern und vollkommnern Staatenvrdnung versperrenden
„Hexenbann der sozialen Frage" lösen würde. Zugleich aber betonte er, daß
eine solche wahrhafte Sozialmonarchie von freiheitlichen Geiste durchdrungen
sein und Karlsbader Beschlüsse unbedingt ausschließen müsse.

Endlich freute sich Rodbertus aufrichtig über die Wiederaufrichtung des
deutschen Reiches und die dadurch entstandene bewirkte Einigung der Nation,
die er als zur Trägerin der Weltgeschichte berufen und als bestimmt ansah, in
Wahrheit an der Spitze der Zivilisation zu marschiren. „Jeder echte Deutsche,
sagte er nach Rudolf Meyers Bericht, trägt heute das Vollgefühl in der Brust,
daß, obwohl seine Nation schon einmal in der Weltgeschichte die großartigste
Titelrolle mit Glanz gespielt hat, sie international und sozial noch zu größeren
und zu den größten Dingen berufen ist." Doch war er kein Chauvinist. Er
glaubte vielmehr, daß das deutsche Reich noch manche Mängel zu überwinden
habe, ja er äußerte sogar, wenn man „zu einer Art Karlsbader Beschlüsse gegen
die Sozialdemokratie kommen sollte, dies ein Unglück sein würde, welches das
Glück des wiedererstandenen deutschen Reiches aufwöge."




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/77>, abgerufen am 28.06.2024.