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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

durch Jan Gossaert, genannt Mabuse, und Bernhard van Orley veranlaßt, noch
in den letzten Jahren seiner Thätigkeit den nationalen Stil des Realismus dem
Streben nach italienischer Formenschönheit opferte. Uns erscheinen diese Künstler,
denen noch Jan van Scorel, Martin van Heemskerk, Frans Floris, Jan Massijs,
Quintins Sohn, Martin de Vos, Cornelius van Harlem und die Familie
Franeker anzureihen sind, in ihren historischen Kompositionen mnnicrirt, schwülstig,
gespreizt und unerfreulich, und nur in ihren Bildnissen und dem landschaftlichen
Teil ihrer Gemälde hat sich der realistische Zug noch ziemlich frisch erhalte".
Die Zeitgenossen feierten dagegen in dem Anschluß an die italienischen Meister,
welcher mit der Aufnahme der klassischen Studien und der Wiederbelebung der
Wissenschaften parallel lief, einen ruhmvolle" Aufschwung der heimischen Kunst.
Im Wetteifer mit Michelangelo, Raffael und Giulio Romano sah man damals
das höchste Ziel der Kunst, und besonders war es der erstere, welcher in den
Niederlanden eines großen Ansehens genoß. Mau sah nicht ein, daß das
nordische Kunstnaturell in vollstem Widerspruch zu dein Formenidealismus der
Italiener stand. Man wollte auch nackte Figuren in idealem, großem Stile
malen, obwohl man weder die dazu nötigen Modelle vor Augen hatte, noch
die Schulung besaß, um des spröden Stoffes Herr zu werden. Länger als ein
Jahrhundert dauerte dieser Kampf zwischen dem widerstrebenden Naturell und
dem heiß ersehnten Ideal, ohne daß es einem der Künstler, die nach Italien
zogen, glücken wollte, aus diesem Kampfe als Sieger hervorzugehen. Erst dem
größten Kunstgenius des siebzehnten Jahrhunderts, dem Haupte der Antwerpen"'
Malerschule, gelang es, den italienischen Idealismus mit dem niederländischen
Geiste so innig zu verschmelze", daß ein neuer, selbständiger Stil daraus erwuchs.
Nach Rubens und van Dhck folgte aber wieder ein Absturz von der mühsam
erkämpften Hohe. Die Mauieristen der Spätzeit des siebzehnten Jahrhunderts
sind nicht viel erfreulicher als die des sechzehnten, unter denen wohl Cornelius
van Harlem mit seinen riesengroßen mythologischen Stücken die widerwärtigste
Figur bildet.

Zu solchen Verirrungen scheint sich Pieter Aertsen nicht haben hinreiße"
zu lasse", obwohl auch er gelegentlich Gemälde mit lebensgroßen Figuren malte.
Das Bruchstück eines solchen besitzt das Berliner Museum: von einer Frau,
welche ein nacktes Kind auf der Schulter trägt, ist nur die obere Körperhälfte
zu sehen. Das Bosscigeuwerk der Mauer hinter ihr, mehr noch die ausdrucks¬
volle, ins Mässige und Muskulöse gehende Formengebung zeigen deutlich deu
Einfluß der Italiener, besonders Michelangelos. Die Art, wie die Lokalfarben
gedämpft und matt gehalten find und wie die Mvdellirung der nackten Körper¬
teile in breiten Flüchen behandelt ist, erinnert an die Freskomalerei des Südens,
welche auf die Niederländer einen besonders mächtigen Eindruck machte, weil
ihnen die monumentale Kunst fremd war.


Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

durch Jan Gossaert, genannt Mabuse, und Bernhard van Orley veranlaßt, noch
in den letzten Jahren seiner Thätigkeit den nationalen Stil des Realismus dem
Streben nach italienischer Formenschönheit opferte. Uns erscheinen diese Künstler,
denen noch Jan van Scorel, Martin van Heemskerk, Frans Floris, Jan Massijs,
Quintins Sohn, Martin de Vos, Cornelius van Harlem und die Familie
Franeker anzureihen sind, in ihren historischen Kompositionen mnnicrirt, schwülstig,
gespreizt und unerfreulich, und nur in ihren Bildnissen und dem landschaftlichen
Teil ihrer Gemälde hat sich der realistische Zug noch ziemlich frisch erhalte».
Die Zeitgenossen feierten dagegen in dem Anschluß an die italienischen Meister,
welcher mit der Aufnahme der klassischen Studien und der Wiederbelebung der
Wissenschaften parallel lief, einen ruhmvolle» Aufschwung der heimischen Kunst.
Im Wetteifer mit Michelangelo, Raffael und Giulio Romano sah man damals
das höchste Ziel der Kunst, und besonders war es der erstere, welcher in den
Niederlanden eines großen Ansehens genoß. Mau sah nicht ein, daß das
nordische Kunstnaturell in vollstem Widerspruch zu dein Formenidealismus der
Italiener stand. Man wollte auch nackte Figuren in idealem, großem Stile
malen, obwohl man weder die dazu nötigen Modelle vor Augen hatte, noch
die Schulung besaß, um des spröden Stoffes Herr zu werden. Länger als ein
Jahrhundert dauerte dieser Kampf zwischen dem widerstrebenden Naturell und
dem heiß ersehnten Ideal, ohne daß es einem der Künstler, die nach Italien
zogen, glücken wollte, aus diesem Kampfe als Sieger hervorzugehen. Erst dem
größten Kunstgenius des siebzehnten Jahrhunderts, dem Haupte der Antwerpen«'
Malerschule, gelang es, den italienischen Idealismus mit dem niederländischen
Geiste so innig zu verschmelze», daß ein neuer, selbständiger Stil daraus erwuchs.
Nach Rubens und van Dhck folgte aber wieder ein Absturz von der mühsam
erkämpften Hohe. Die Mauieristen der Spätzeit des siebzehnten Jahrhunderts
sind nicht viel erfreulicher als die des sechzehnten, unter denen wohl Cornelius
van Harlem mit seinen riesengroßen mythologischen Stücken die widerwärtigste
Figur bildet.

Zu solchen Verirrungen scheint sich Pieter Aertsen nicht haben hinreiße»
zu lasse», obwohl auch er gelegentlich Gemälde mit lebensgroßen Figuren malte.
Das Bruchstück eines solchen besitzt das Berliner Museum: von einer Frau,
welche ein nacktes Kind auf der Schulter trägt, ist nur die obere Körperhälfte
zu sehen. Das Bosscigeuwerk der Mauer hinter ihr, mehr noch die ausdrucks¬
volle, ins Mässige und Muskulöse gehende Formengebung zeigen deutlich deu
Einfluß der Italiener, besonders Michelangelos. Die Art, wie die Lokalfarben
gedämpft und matt gehalten find und wie die Mvdellirung der nackten Körper¬
teile in breiten Flüchen behandelt ist, erinnert an die Freskomalerei des Südens,
welche auf die Niederländer einen besonders mächtigen Eindruck machte, weil
ihnen die monumentale Kunst fremd war.


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[0666] Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei. durch Jan Gossaert, genannt Mabuse, und Bernhard van Orley veranlaßt, noch in den letzten Jahren seiner Thätigkeit den nationalen Stil des Realismus dem Streben nach italienischer Formenschönheit opferte. Uns erscheinen diese Künstler, denen noch Jan van Scorel, Martin van Heemskerk, Frans Floris, Jan Massijs, Quintins Sohn, Martin de Vos, Cornelius van Harlem und die Familie Franeker anzureihen sind, in ihren historischen Kompositionen mnnicrirt, schwülstig, gespreizt und unerfreulich, und nur in ihren Bildnissen und dem landschaftlichen Teil ihrer Gemälde hat sich der realistische Zug noch ziemlich frisch erhalte». Die Zeitgenossen feierten dagegen in dem Anschluß an die italienischen Meister, welcher mit der Aufnahme der klassischen Studien und der Wiederbelebung der Wissenschaften parallel lief, einen ruhmvolle» Aufschwung der heimischen Kunst. Im Wetteifer mit Michelangelo, Raffael und Giulio Romano sah man damals das höchste Ziel der Kunst, und besonders war es der erstere, welcher in den Niederlanden eines großen Ansehens genoß. Mau sah nicht ein, daß das nordische Kunstnaturell in vollstem Widerspruch zu dein Formenidealismus der Italiener stand. Man wollte auch nackte Figuren in idealem, großem Stile malen, obwohl man weder die dazu nötigen Modelle vor Augen hatte, noch die Schulung besaß, um des spröden Stoffes Herr zu werden. Länger als ein Jahrhundert dauerte dieser Kampf zwischen dem widerstrebenden Naturell und dem heiß ersehnten Ideal, ohne daß es einem der Künstler, die nach Italien zogen, glücken wollte, aus diesem Kampfe als Sieger hervorzugehen. Erst dem größten Kunstgenius des siebzehnten Jahrhunderts, dem Haupte der Antwerpen«' Malerschule, gelang es, den italienischen Idealismus mit dem niederländischen Geiste so innig zu verschmelze», daß ein neuer, selbständiger Stil daraus erwuchs. Nach Rubens und van Dhck folgte aber wieder ein Absturz von der mühsam erkämpften Hohe. Die Mauieristen der Spätzeit des siebzehnten Jahrhunderts sind nicht viel erfreulicher als die des sechzehnten, unter denen wohl Cornelius van Harlem mit seinen riesengroßen mythologischen Stücken die widerwärtigste Figur bildet. Zu solchen Verirrungen scheint sich Pieter Aertsen nicht haben hinreiße» zu lasse», obwohl auch er gelegentlich Gemälde mit lebensgroßen Figuren malte. Das Bruchstück eines solchen besitzt das Berliner Museum: von einer Frau, welche ein nacktes Kind auf der Schulter trägt, ist nur die obere Körperhälfte zu sehen. Das Bosscigeuwerk der Mauer hinter ihr, mehr noch die ausdrucks¬ volle, ins Mässige und Muskulöse gehende Formengebung zeigen deutlich deu Einfluß der Italiener, besonders Michelangelos. Die Art, wie die Lokalfarben gedämpft und matt gehalten find und wie die Mvdellirung der nackten Körper¬ teile in breiten Flüchen behandelt ist, erinnert an die Freskomalerei des Südens, welche auf die Niederländer einen besonders mächtigen Eindruck machte, weil ihnen die monumentale Kunst fremd war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/666>, abgerufen am 02.10.2024.