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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Tandschaftsmalerei.

Die Bilderstürmer haben unter den Werken Pieter Aertsens so gründlich
aufgeräumt, daß wir diese Seite seiner Kunst nicht weiter beurteilen können.
Das Amsterdamer Museum besitzt noch ein Genrebild von seiner Hand, einen
"Eiertanz" mit sehr lebendig charakterisirten Figuren, und von einigen andern
Bildern hat F. Jos. van den Brander in seiner gehaltreichen Geschichte der
Antwerpens Malerschule aus den Jnventaren alter Kunstsammlungen wenigstens
die Titel ermitteln können: eine Küchenmagd, ein Fruchtmarkt, ein Neujahr
und -- s<zu LorässIKsn ox Mirsel. Mit letzteren Bilde berühren wir eine
Seite des niederländischen Lebens, welche in der Malerei eine so umfassende
Berücksichtigung gefunden hat, daß wir über diesen heikeln Gegenstand nicht
hinweggehen dürfen. Es ist dabei zu bemerken, daß die ältern Sittenmaler das
Treiben in öffentlichen Häusern mit so strengem Ernst behandelt haben, daß
ein naiver Beschauer garnicht auf den bedenklichen Charakter der Darstellung
aufmerksam wird. Die spätern, Terborch, Metsu, Pieter Codde, I. A. Duck,
van Lamm und andre, wußten den Genrebildern dieser Art wiederum den
Stempel äußerer Eleganz aufzuprägen, sodaß dieselben oft unter den un¬
schuldigsten Bezeichnungen in den Galerien populär geworden sind. Es scheint,
daß es im siebzehnten Jahrhundert für gewisse Gesellschaftsklassen, welche sich
zu vornehm dünkten, um in den niedrigen Wirtshäusern zwischen Bauern,
Marktweibern und Handwerkern Platz zu nehmen, keine andern öffentlichen
Vereinigungspunkte gegeben hat als diese Häuser, welche etwa die Stelle unsrer
feinern Restaurants vertraten. Einen allzustrengen moralischen Maßstab darf
man daher an diese Darstellungen nicht anlegen und nicht etwa aus dem häufigen
Vorkommen solcher Bilder schließen, daß die Sittenverderbnis in den Nieder¬
landen größer gewesen sei als anderswo. Man sagt gewöhnlich, daß das wüste
Söldnerleben des dreißigjährigen Krieges, dessen Wogen auch Holland über¬
fluteten, erst eine allgemeine Verwilderung der Sitten bewirkt habe, und in der
That sind anch Offiziere und Soldaten die Hauptfiguren in der bedenklichen
Gesellschaft, welche uns mit den raffinirtesten Virtuosenkunststücken des Pinsels
vorgeführt wird. Diese allerdings auffallende Erscheinung erklärt sich aber
daraus, daß uns aus dem siebzehnten Jahrhundert eine unübersehbare Masse
von Genrebildern erhalten ist, während Genrebilder des sechzehnten Jahrhunderts
nur sehr vereinzelt vorkommen, weil die Religionskriege dem Familienbesitz
äußerst verhängnisvoll gewesen sind.

Umso wertvoller sind die übrig gebliebenen Sittenbilder des sechzehnten
Jahrhunderts, und zu ihnen gehören auch einige der angedeuteten Schilderungen
aus Häusern. Der Name des Urhebers derselben ist bis jetzt noch unbekannt.
W. Bode, welcher sich mit seinen Bildern eingehend beschäftigt hat, konnte bisher
nur soviel ermitteln, daß sich auf einem im Braunschweiger Museum befindlichen
Bilde, einer "Speisung der Armen," ein aus I. v. N. und andern Buchstaben
gebildetes Monogramm befindet, weshalb er diesen Maler bis auf weiteres


Grenzboten I. 1884. 83
Die niederländische Genre- und Tandschaftsmalerei.

Die Bilderstürmer haben unter den Werken Pieter Aertsens so gründlich
aufgeräumt, daß wir diese Seite seiner Kunst nicht weiter beurteilen können.
Das Amsterdamer Museum besitzt noch ein Genrebild von seiner Hand, einen
„Eiertanz" mit sehr lebendig charakterisirten Figuren, und von einigen andern
Bildern hat F. Jos. van den Brander in seiner gehaltreichen Geschichte der
Antwerpens Malerschule aus den Jnventaren alter Kunstsammlungen wenigstens
die Titel ermitteln können: eine Küchenmagd, ein Fruchtmarkt, ein Neujahr
und — s<zu LorässIKsn ox Mirsel. Mit letzteren Bilde berühren wir eine
Seite des niederländischen Lebens, welche in der Malerei eine so umfassende
Berücksichtigung gefunden hat, daß wir über diesen heikeln Gegenstand nicht
hinweggehen dürfen. Es ist dabei zu bemerken, daß die ältern Sittenmaler das
Treiben in öffentlichen Häusern mit so strengem Ernst behandelt haben, daß
ein naiver Beschauer garnicht auf den bedenklichen Charakter der Darstellung
aufmerksam wird. Die spätern, Terborch, Metsu, Pieter Codde, I. A. Duck,
van Lamm und andre, wußten den Genrebildern dieser Art wiederum den
Stempel äußerer Eleganz aufzuprägen, sodaß dieselben oft unter den un¬
schuldigsten Bezeichnungen in den Galerien populär geworden sind. Es scheint,
daß es im siebzehnten Jahrhundert für gewisse Gesellschaftsklassen, welche sich
zu vornehm dünkten, um in den niedrigen Wirtshäusern zwischen Bauern,
Marktweibern und Handwerkern Platz zu nehmen, keine andern öffentlichen
Vereinigungspunkte gegeben hat als diese Häuser, welche etwa die Stelle unsrer
feinern Restaurants vertraten. Einen allzustrengen moralischen Maßstab darf
man daher an diese Darstellungen nicht anlegen und nicht etwa aus dem häufigen
Vorkommen solcher Bilder schließen, daß die Sittenverderbnis in den Nieder¬
landen größer gewesen sei als anderswo. Man sagt gewöhnlich, daß das wüste
Söldnerleben des dreißigjährigen Krieges, dessen Wogen auch Holland über¬
fluteten, erst eine allgemeine Verwilderung der Sitten bewirkt habe, und in der
That sind anch Offiziere und Soldaten die Hauptfiguren in der bedenklichen
Gesellschaft, welche uns mit den raffinirtesten Virtuosenkunststücken des Pinsels
vorgeführt wird. Diese allerdings auffallende Erscheinung erklärt sich aber
daraus, daß uns aus dem siebzehnten Jahrhundert eine unübersehbare Masse
von Genrebildern erhalten ist, während Genrebilder des sechzehnten Jahrhunderts
nur sehr vereinzelt vorkommen, weil die Religionskriege dem Familienbesitz
äußerst verhängnisvoll gewesen sind.

Umso wertvoller sind die übrig gebliebenen Sittenbilder des sechzehnten
Jahrhunderts, und zu ihnen gehören auch einige der angedeuteten Schilderungen
aus Häusern. Der Name des Urhebers derselben ist bis jetzt noch unbekannt.
W. Bode, welcher sich mit seinen Bildern eingehend beschäftigt hat, konnte bisher
nur soviel ermitteln, daß sich auf einem im Braunschweiger Museum befindlichen
Bilde, einer „Speisung der Armen," ein aus I. v. N. und andern Buchstaben
gebildetes Monogramm befindet, weshalb er diesen Maler bis auf weiteres


Grenzboten I. 1884. 83
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[0667] Die niederländische Genre- und Tandschaftsmalerei. Die Bilderstürmer haben unter den Werken Pieter Aertsens so gründlich aufgeräumt, daß wir diese Seite seiner Kunst nicht weiter beurteilen können. Das Amsterdamer Museum besitzt noch ein Genrebild von seiner Hand, einen „Eiertanz" mit sehr lebendig charakterisirten Figuren, und von einigen andern Bildern hat F. Jos. van den Brander in seiner gehaltreichen Geschichte der Antwerpens Malerschule aus den Jnventaren alter Kunstsammlungen wenigstens die Titel ermitteln können: eine Küchenmagd, ein Fruchtmarkt, ein Neujahr und — s<zu LorässIKsn ox Mirsel. Mit letzteren Bilde berühren wir eine Seite des niederländischen Lebens, welche in der Malerei eine so umfassende Berücksichtigung gefunden hat, daß wir über diesen heikeln Gegenstand nicht hinweggehen dürfen. Es ist dabei zu bemerken, daß die ältern Sittenmaler das Treiben in öffentlichen Häusern mit so strengem Ernst behandelt haben, daß ein naiver Beschauer garnicht auf den bedenklichen Charakter der Darstellung aufmerksam wird. Die spätern, Terborch, Metsu, Pieter Codde, I. A. Duck, van Lamm und andre, wußten den Genrebildern dieser Art wiederum den Stempel äußerer Eleganz aufzuprägen, sodaß dieselben oft unter den un¬ schuldigsten Bezeichnungen in den Galerien populär geworden sind. Es scheint, daß es im siebzehnten Jahrhundert für gewisse Gesellschaftsklassen, welche sich zu vornehm dünkten, um in den niedrigen Wirtshäusern zwischen Bauern, Marktweibern und Handwerkern Platz zu nehmen, keine andern öffentlichen Vereinigungspunkte gegeben hat als diese Häuser, welche etwa die Stelle unsrer feinern Restaurants vertraten. Einen allzustrengen moralischen Maßstab darf man daher an diese Darstellungen nicht anlegen und nicht etwa aus dem häufigen Vorkommen solcher Bilder schließen, daß die Sittenverderbnis in den Nieder¬ landen größer gewesen sei als anderswo. Man sagt gewöhnlich, daß das wüste Söldnerleben des dreißigjährigen Krieges, dessen Wogen auch Holland über¬ fluteten, erst eine allgemeine Verwilderung der Sitten bewirkt habe, und in der That sind anch Offiziere und Soldaten die Hauptfiguren in der bedenklichen Gesellschaft, welche uns mit den raffinirtesten Virtuosenkunststücken des Pinsels vorgeführt wird. Diese allerdings auffallende Erscheinung erklärt sich aber daraus, daß uns aus dem siebzehnten Jahrhundert eine unübersehbare Masse von Genrebildern erhalten ist, während Genrebilder des sechzehnten Jahrhunderts nur sehr vereinzelt vorkommen, weil die Religionskriege dem Familienbesitz äußerst verhängnisvoll gewesen sind. Umso wertvoller sind die übrig gebliebenen Sittenbilder des sechzehnten Jahrhunderts, und zu ihnen gehören auch einige der angedeuteten Schilderungen aus Häusern. Der Name des Urhebers derselben ist bis jetzt noch unbekannt. W. Bode, welcher sich mit seinen Bildern eingehend beschäftigt hat, konnte bisher nur soviel ermitteln, daß sich auf einem im Braunschweiger Museum befindlichen Bilde, einer „Speisung der Armen," ein aus I. v. N. und andern Buchstaben gebildetes Monogramm befindet, weshalb er diesen Maler bis auf weiteres Grenzboten I. 1884. 83

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/667>, abgerufen am 23.07.2024.