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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- >nit Landschciftsmalerei.

Hähne und Hennen zum Verkauf, und hinter ihnen steht eine Bäuerin mit einem
Korbe voll Feldfrüchten. Auf der Erde stehen noch andre Körbe und ein Käfig
mit einem Hahn, einem Küken und einer Ente, Eine Magd nähert sich dieser
Gruppe, um ihre Einkäufe zu machen. Von einem dritten Küchenbildc haben
wir nur durch Karel van Mander Kunde, welcher berichtet, daß Pieter Acrtscn
in dieser Küche seineu zweiten Sohn, einen kleinen Knaben, dargestellt habe und
daneben unter andern einen abgehäuteten Ochsenkopf, wie ihn die Schlächter zu¬
zurichten Pflegen, Der holländische Schriftsteller setzt höchst naiv hinzu, daß
dieses Bild so gefallen habe, daß der Maler infolge dessen den Auftrag erhielt,
das Hochaltarbild für die Liebfrauenkirche in Amsterdam, den Tod der Jung¬
frau Maria, zu male".

Dieses und andre große Kirchenbilder des Meisters sind zu Grunde ge¬
gangen. Doch haben sich einige der Szenen aus der heiligen Geschichte erhalten,
so ein Kalvarienberg im Antwerpener Museum, auf welchem in die tragische
Haupthandlung gcnrchafte Züge eingeflochten sind, und eine Kreuztragung
Christi in der Berliner Galerie, welche mit deu Anfangsbuchstaben des Künstler¬
namens, dem Datum "22, Dezember 1SS2" und dem Dreizack des Neptun,
der auch sonst vorkommenden Marke des Malers, auf einer Mulde ans Flecht¬
werk bezeichnet ist. Auf dem letztern Bilde ist der biblische Vorgang schon so
sehr in den Hintergrund gedrängt worden, daß man die Schilderung eines
niederländischen Volksfestes vor sich zu haben glaubt. Weit mehr als das
Drama auf Golgatha fesselt der Volkshaufe im Vordergründe, Hier haben sich
Verkäufer und Bauern mit beladnen Wagen eingefunden, welche die Gelegenheit
benutzen, um ihre Produkte loszuschlagen. An der saubern Durchführung der
Körbe und der in flachen Schalen liegenden Früchte erkennt man deu feinen
Beobachter und Nachahmer der Natur. Zugleich macht man aber eine andre,
weit merkwürdigere Beobachtung. Die Figuren sind durchweg in kleinem Ma߬
stabe gehalten. In ihren Bewegungen, in ihrer Haltung, in dem Arrangement
der Gewänder, in den ungebührlich langgestreckten Körperverhältnissen giebt sich
aber das Streben nach einem feierlichen, idealen Ausdrucke kund, welches sonderbar
genug mit dem genrcbildlichen Charakter der ganzen Komposition kontrastirt.
Die Erklärung dieses Zwiespaltes zwischen Inhalt und Form ist nicht schwer.
Am Ende konnte auch ein so spezifisch nationaler Künstler wie Pieter Acrtsen
dem Einflüsse Italiens nicht widerstehen, umsoweniger, als ihm nicht ver¬
borgen bleiben konnte, daß seine Bilder jenseits der Alpen geschätzt wurden.
Wir erfahren durch Vasari, daß man ihn in Italien unter dein Namen
Bistro luuZo kannte, und so glaubte auch der "lange Peer" es seinem in Italien
gewonnenen Rufe schuldig zu sein, daß er sich der italienischen Manier anschloß,
welche damals, als er jene Kreuztragung malte, schon ein halbes Jahrhundert
lang einen großen Teil der niederländischen Künstler zur Heeresfolge gezwungen
hatte. Wir haben schon früher gesehen, daß selbst Lukas von Leyden, vermutlich


Die niederländische Genre- >nit Landschciftsmalerei.

Hähne und Hennen zum Verkauf, und hinter ihnen steht eine Bäuerin mit einem
Korbe voll Feldfrüchten. Auf der Erde stehen noch andre Körbe und ein Käfig
mit einem Hahn, einem Küken und einer Ente, Eine Magd nähert sich dieser
Gruppe, um ihre Einkäufe zu machen. Von einem dritten Küchenbildc haben
wir nur durch Karel van Mander Kunde, welcher berichtet, daß Pieter Acrtscn
in dieser Küche seineu zweiten Sohn, einen kleinen Knaben, dargestellt habe und
daneben unter andern einen abgehäuteten Ochsenkopf, wie ihn die Schlächter zu¬
zurichten Pflegen, Der holländische Schriftsteller setzt höchst naiv hinzu, daß
dieses Bild so gefallen habe, daß der Maler infolge dessen den Auftrag erhielt,
das Hochaltarbild für die Liebfrauenkirche in Amsterdam, den Tod der Jung¬
frau Maria, zu male».

Dieses und andre große Kirchenbilder des Meisters sind zu Grunde ge¬
gangen. Doch haben sich einige der Szenen aus der heiligen Geschichte erhalten,
so ein Kalvarienberg im Antwerpener Museum, auf welchem in die tragische
Haupthandlung gcnrchafte Züge eingeflochten sind, und eine Kreuztragung
Christi in der Berliner Galerie, welche mit deu Anfangsbuchstaben des Künstler¬
namens, dem Datum „22, Dezember 1SS2" und dem Dreizack des Neptun,
der auch sonst vorkommenden Marke des Malers, auf einer Mulde ans Flecht¬
werk bezeichnet ist. Auf dem letztern Bilde ist der biblische Vorgang schon so
sehr in den Hintergrund gedrängt worden, daß man die Schilderung eines
niederländischen Volksfestes vor sich zu haben glaubt. Weit mehr als das
Drama auf Golgatha fesselt der Volkshaufe im Vordergründe, Hier haben sich
Verkäufer und Bauern mit beladnen Wagen eingefunden, welche die Gelegenheit
benutzen, um ihre Produkte loszuschlagen. An der saubern Durchführung der
Körbe und der in flachen Schalen liegenden Früchte erkennt man deu feinen
Beobachter und Nachahmer der Natur. Zugleich macht man aber eine andre,
weit merkwürdigere Beobachtung. Die Figuren sind durchweg in kleinem Ma߬
stabe gehalten. In ihren Bewegungen, in ihrer Haltung, in dem Arrangement
der Gewänder, in den ungebührlich langgestreckten Körperverhältnissen giebt sich
aber das Streben nach einem feierlichen, idealen Ausdrucke kund, welches sonderbar
genug mit dem genrcbildlichen Charakter der ganzen Komposition kontrastirt.
Die Erklärung dieses Zwiespaltes zwischen Inhalt und Form ist nicht schwer.
Am Ende konnte auch ein so spezifisch nationaler Künstler wie Pieter Acrtsen
dem Einflüsse Italiens nicht widerstehen, umsoweniger, als ihm nicht ver¬
borgen bleiben konnte, daß seine Bilder jenseits der Alpen geschätzt wurden.
Wir erfahren durch Vasari, daß man ihn in Italien unter dein Namen
Bistro luuZo kannte, und so glaubte auch der „lange Peer" es seinem in Italien
gewonnenen Rufe schuldig zu sein, daß er sich der italienischen Manier anschloß,
welche damals, als er jene Kreuztragung malte, schon ein halbes Jahrhundert
lang einen großen Teil der niederländischen Künstler zur Heeresfolge gezwungen
hatte. Wir haben schon früher gesehen, daß selbst Lukas von Leyden, vermutlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/665>, abgerufen am 02.07.2024.