Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.Die Sage vom ewigen Juden. Wulsten in Hannover, wo er alle sieben Jahre ans demselben Wege zu bemerken Von Deutschland aus verbreitete sich die Sage in ihrer letzten Gestalt nach Die Sage vom ewigen Juden. Wulsten in Hannover, wo er alle sieben Jahre ans demselben Wege zu bemerken Von Deutschland aus verbreitete sich die Sage in ihrer letzten Gestalt nach <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0657" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155540"/> <fw type="header" place="top"> Die Sage vom ewigen Juden.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2579" prev="#ID_2578"> Wulsten in Hannover, wo er alle sieben Jahre ans demselben Wege zu bemerken<lb/> ist. Rock und Bart reichen ihm bis zur Erde. Jeden Tag erhält er achtzehn<lb/> Pfennige zu seiner Zehrung. Julius Mosen berichtet aus dem voigtläudischcu<lb/> Dorfe Marieney: „Ich war fast noch ein Kind, als sich in meinem Geburtsorte<lb/> das wunderliche Gerücht verbreitete, daß der ewige Jude durch das Dorf ge¬<lb/> gangen wäre. Er wurde geschildert als ein Maun von mittlere» Jahren, von<lb/> rüstiger Gestalt und nachdenklich entschlossenem Ansehen. Er soll mit einem<lb/> Reisemantel bekleidet und sein Haupt mit einem breitkrämpigen grauen Hute<lb/> bedeckt gewesen sein. Ein abergläubiger Schäfer wollte mit ihm gesprochen<lb/> haben. Aus der Verwunderung des Reisenden, daß auf der Stelle, wo er vor<lb/> tausend Jahren nichts als Wald gefunden habe, jetzt ein großes Dorf mit<lb/> Feldern und Wiesen liege, machte jener den Schluß, daß dieser Fremde kein<lb/> andrer als eben der ewige Jude gewesen sein müsse." Wir aber schließen<lb/> daraus weiter, daß in demi ewigen Juden jener dem Gros der Leser aus<lb/> Rückerts Gedicht bekannte mythische Chidr der Araber steht, der in der Zeit<lb/> der Kreuzzüge ins Frankenland gelangt fein wird. In der Schweiz ist der<lb/> Jude gleichfalls bekannt. Wenn er das Frickthal und die angrenzende Basel-<lb/> landschaft bereist, übernachtet er stets in demselben Wirtshause, wobei er aber<lb/> nicht zu Bett geht, sondern bis zum Morgen unablässig in seiner Stube<lb/> herumläuft. Er erzählt, als er das erstemal in diesen Rheinwinkel gekommen,<lb/> habe er da, wo jetzt Basel steht, nur einen schwarzen Tannenwald vorgefunden,<lb/> das zweitemal sei hier ein breites Dorngestrüpp, das drittemal eine vom Erd¬<lb/> beben zerstörte Stadt gewesen. Wenn er zum letztenmale dieses Weges kommen<lb/> werde, werde man stundenweit gehen müssen, um Reiser zu einem Besen zu¬<lb/> sammenzubringen. Man sieht, wieder starke Ähnlichkeit mit Chidr, die sich<lb/> auch in einer andern Schweizersage ausdrückt, in der erzählt wird: Einst kam<lb/> der ewige Jude durch die auf dem Matterberg unter dem Matterhorn im<lb/> Wcilliserland gelegne, jetzt verschwundne Stadt und erklärte: „Wenn ich zum<lb/> zweitenmale hier durchwandre, werden da, wo jetzt Häuser und Gassen sind,<lb/> Burne wachsen und Steine liegen. Und wenn mich zum drittenmale der Weg<lb/> daherführt, wird nichts dasein als Schnee und Eis." Letzteres ist jetzt ein¬<lb/> getreten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2580" next="#ID_2581"> Von Deutschland aus verbreitete sich die Sage in ihrer letzten Gestalt nach<lb/> Frankreich, wo im siebzehnten Jahrhundert aus ihr das Volksbuch Hiswirs<lb/> aäwirMs ein ^nit Lrrant entstand. Im Jahre 1604 sah ihn der Advokat<lb/> Louvet, der Chronist der Stadt Beauvois, dort im Hause des Sachwalters Raoul<lb/> Adrian um Almosen bitten. Zehn Jahre später erschien Ahasverus in der<lb/> Nachbarschaft von Fontainebleau und bald nachher in Chalons sur Marne,<lb/> auch traf er in Jsle de France mit Soldaten des Prinzen von Conde zusammen,<lb/> der ihn vor sich führen ließ und von ihm Vorwürfe hören mußte, daß er die<lb/> Waffen gegen den König, seinen Herrn, und die Königin, seine Mutter, ergriffen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0657]
Die Sage vom ewigen Juden.
Wulsten in Hannover, wo er alle sieben Jahre ans demselben Wege zu bemerken
ist. Rock und Bart reichen ihm bis zur Erde. Jeden Tag erhält er achtzehn
Pfennige zu seiner Zehrung. Julius Mosen berichtet aus dem voigtläudischcu
Dorfe Marieney: „Ich war fast noch ein Kind, als sich in meinem Geburtsorte
das wunderliche Gerücht verbreitete, daß der ewige Jude durch das Dorf ge¬
gangen wäre. Er wurde geschildert als ein Maun von mittlere» Jahren, von
rüstiger Gestalt und nachdenklich entschlossenem Ansehen. Er soll mit einem
Reisemantel bekleidet und sein Haupt mit einem breitkrämpigen grauen Hute
bedeckt gewesen sein. Ein abergläubiger Schäfer wollte mit ihm gesprochen
haben. Aus der Verwunderung des Reisenden, daß auf der Stelle, wo er vor
tausend Jahren nichts als Wald gefunden habe, jetzt ein großes Dorf mit
Feldern und Wiesen liege, machte jener den Schluß, daß dieser Fremde kein
andrer als eben der ewige Jude gewesen sein müsse." Wir aber schließen
daraus weiter, daß in demi ewigen Juden jener dem Gros der Leser aus
Rückerts Gedicht bekannte mythische Chidr der Araber steht, der in der Zeit
der Kreuzzüge ins Frankenland gelangt fein wird. In der Schweiz ist der
Jude gleichfalls bekannt. Wenn er das Frickthal und die angrenzende Basel-
landschaft bereist, übernachtet er stets in demselben Wirtshause, wobei er aber
nicht zu Bett geht, sondern bis zum Morgen unablässig in seiner Stube
herumläuft. Er erzählt, als er das erstemal in diesen Rheinwinkel gekommen,
habe er da, wo jetzt Basel steht, nur einen schwarzen Tannenwald vorgefunden,
das zweitemal sei hier ein breites Dorngestrüpp, das drittemal eine vom Erd¬
beben zerstörte Stadt gewesen. Wenn er zum letztenmale dieses Weges kommen
werde, werde man stundenweit gehen müssen, um Reiser zu einem Besen zu¬
sammenzubringen. Man sieht, wieder starke Ähnlichkeit mit Chidr, die sich
auch in einer andern Schweizersage ausdrückt, in der erzählt wird: Einst kam
der ewige Jude durch die auf dem Matterberg unter dem Matterhorn im
Wcilliserland gelegne, jetzt verschwundne Stadt und erklärte: „Wenn ich zum
zweitenmale hier durchwandre, werden da, wo jetzt Häuser und Gassen sind,
Burne wachsen und Steine liegen. Und wenn mich zum drittenmale der Weg
daherführt, wird nichts dasein als Schnee und Eis." Letzteres ist jetzt ein¬
getreten.
Von Deutschland aus verbreitete sich die Sage in ihrer letzten Gestalt nach
Frankreich, wo im siebzehnten Jahrhundert aus ihr das Volksbuch Hiswirs
aäwirMs ein ^nit Lrrant entstand. Im Jahre 1604 sah ihn der Advokat
Louvet, der Chronist der Stadt Beauvois, dort im Hause des Sachwalters Raoul
Adrian um Almosen bitten. Zehn Jahre später erschien Ahasverus in der
Nachbarschaft von Fontainebleau und bald nachher in Chalons sur Marne,
auch traf er in Jsle de France mit Soldaten des Prinzen von Conde zusammen,
der ihn vor sich führen ließ und von ihm Vorwürfe hören mußte, daß er die
Waffen gegen den König, seinen Herrn, und die Königin, seine Mutter, ergriffen
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