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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Jahren getroffen habe, der ihm durch sein seltsames Benehmen aufgefallen sei.
Es sei eine große Gestalt gewesen, mit langen, über die Schultern herab¬
hängenden Haaren, bekleidet mit zerlumpten Hosen und einem Rocke, über den
er einen bis an die Füße reichenden Mantel getragen habe. Trotz des harten
Winters sei er in der Kirche barfuß erschiene!,. Auf Befragen habe er sich
für einen Schuhmacher aus Jerusalem, Namens Ahasverus, ausgegeben, welcher
von Christus, dem er auf seinem Wege nach Golgatha eine kurze Rast vor
seinem Hause verweigert, zu ewiger Wanderschaft verurteilt worden sei.

Nachdem die Schrift mehrfach nachgedruckt worden war, erschien, aus
Danzig vom 9. Juli 1602 datirt, ein etwas ausführlicherer Bericht über die
Begegnung Eitzens mit den Juden, der von einem Westfalen, Chrhsostomus
Duduläus, verfaßt sein sollte, und in welchem das lange Fortleben Ahasvers
mit den Worten erklärt wurde- "Vielleicht hat es also müssen damit herlcmffen,
auff daß etliche unter den verstockten, verblendeten Juden, die hin und her in
der Welt noch itzt zcrstrewet sind, von diesem Ahasvero, der bis dato das
Ils in orbsin Universum langwierig praetieiret, die großen Wunder Gottes in
allerley Sprachen anhören möchten, ob sie noch könnten bekehret werden,"

Nachdem durch schnell aufeinander folgende Ausgaben die Erzählung vom
"ewigen Juden" populär geworden, wußten auch andre über sein Auftreten in
der oder jener Stadt zu berichten. Daß er 1603 in Lübeck gewesen, trug der
dortige Bürgermeister Colcrus als der Überlieferung wert in sein Tagebuch ein;
daß er in Sachsen erschienen sei, meldet der Theolog und Historiker Clüver.
In Naumburg wurde er während des Gottesdienstes in der Kirche gesehen, wie
er sich wiederholt an die Brust schlug und den Kopf zur rechten Seite neigte,
aber nicht lange auf einer Stelle stehen konnte, sondern bald vorwärts, bald
rückwärts schritt, wobei er häufig in Thränen ausbrach. In Leipzig erschien
er nach Vogels Annalen 1642 als ein "abgelebter und eisgrauer Mann vor
den Thüren," der die Leute um Brot ausprcich und vorgab, er sei ein geborner
Jude, und mit bei des Herrn Christi Leiden gewesen lind müsse bis an den
jüngsten Tag also herumgehen. Nach Anton kam er hundert Jahre darauf ein
zweites mal durch Leipzig.

Noch in unserm Jahrhundert ist der Glaube, daß es einen ewigen Juden
gebe, vielfach verbreitet. In Holstein und im westliche" Deutschland sieht man ihn
dann und wann in kleinen Orten, zuweilen schläft er auf einem Steine vor der
Stadt oder ans einem Pfluge oder unter einer Egge, deren Zinken man zu
diesem Zwecke abends gegen einander gerichtet hat. Zu Ertingen in Schwaben
kehrte er bei einem Bauer ein. Beharrlich ging er um den Tisch herum, den
er in die Mitte der Stube gestellt hatte, und nur zwischen zwölf und ein Uhr
legte er sich zu kurzer Ruhe hin. In Hohenstatt erschien er um die Mittags¬
stunde im Bettlerhause, wo er sich ganz still verhielt, und von wo er nach dem
Zwölfelcinten weiter zog. Auch in Waldeck wurde er gesehen, desgleichen zu


Jahren getroffen habe, der ihm durch sein seltsames Benehmen aufgefallen sei.
Es sei eine große Gestalt gewesen, mit langen, über die Schultern herab¬
hängenden Haaren, bekleidet mit zerlumpten Hosen und einem Rocke, über den
er einen bis an die Füße reichenden Mantel getragen habe. Trotz des harten
Winters sei er in der Kirche barfuß erschiene!,. Auf Befragen habe er sich
für einen Schuhmacher aus Jerusalem, Namens Ahasverus, ausgegeben, welcher
von Christus, dem er auf seinem Wege nach Golgatha eine kurze Rast vor
seinem Hause verweigert, zu ewiger Wanderschaft verurteilt worden sei.

Nachdem die Schrift mehrfach nachgedruckt worden war, erschien, aus
Danzig vom 9. Juli 1602 datirt, ein etwas ausführlicherer Bericht über die
Begegnung Eitzens mit den Juden, der von einem Westfalen, Chrhsostomus
Duduläus, verfaßt sein sollte, und in welchem das lange Fortleben Ahasvers
mit den Worten erklärt wurde- „Vielleicht hat es also müssen damit herlcmffen,
auff daß etliche unter den verstockten, verblendeten Juden, die hin und her in
der Welt noch itzt zcrstrewet sind, von diesem Ahasvero, der bis dato das
Ils in orbsin Universum langwierig praetieiret, die großen Wunder Gottes in
allerley Sprachen anhören möchten, ob sie noch könnten bekehret werden,"

Nachdem durch schnell aufeinander folgende Ausgaben die Erzählung vom
„ewigen Juden" populär geworden, wußten auch andre über sein Auftreten in
der oder jener Stadt zu berichten. Daß er 1603 in Lübeck gewesen, trug der
dortige Bürgermeister Colcrus als der Überlieferung wert in sein Tagebuch ein;
daß er in Sachsen erschienen sei, meldet der Theolog und Historiker Clüver.
In Naumburg wurde er während des Gottesdienstes in der Kirche gesehen, wie
er sich wiederholt an die Brust schlug und den Kopf zur rechten Seite neigte,
aber nicht lange auf einer Stelle stehen konnte, sondern bald vorwärts, bald
rückwärts schritt, wobei er häufig in Thränen ausbrach. In Leipzig erschien
er nach Vogels Annalen 1642 als ein „abgelebter und eisgrauer Mann vor
den Thüren," der die Leute um Brot ausprcich und vorgab, er sei ein geborner
Jude, und mit bei des Herrn Christi Leiden gewesen lind müsse bis an den
jüngsten Tag also herumgehen. Nach Anton kam er hundert Jahre darauf ein
zweites mal durch Leipzig.

Noch in unserm Jahrhundert ist der Glaube, daß es einen ewigen Juden
gebe, vielfach verbreitet. In Holstein und im westliche« Deutschland sieht man ihn
dann und wann in kleinen Orten, zuweilen schläft er auf einem Steine vor der
Stadt oder ans einem Pfluge oder unter einer Egge, deren Zinken man zu
diesem Zwecke abends gegen einander gerichtet hat. Zu Ertingen in Schwaben
kehrte er bei einem Bauer ein. Beharrlich ging er um den Tisch herum, den
er in die Mitte der Stube gestellt hatte, und nur zwischen zwölf und ein Uhr
legte er sich zu kurzer Ruhe hin. In Hohenstatt erschien er um die Mittags¬
stunde im Bettlerhause, wo er sich ganz still verhielt, und von wo er nach dem
Zwölfelcinten weiter zog. Auch in Waldeck wurde er gesehen, desgleichen zu


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[0656] Jahren getroffen habe, der ihm durch sein seltsames Benehmen aufgefallen sei. Es sei eine große Gestalt gewesen, mit langen, über die Schultern herab¬ hängenden Haaren, bekleidet mit zerlumpten Hosen und einem Rocke, über den er einen bis an die Füße reichenden Mantel getragen habe. Trotz des harten Winters sei er in der Kirche barfuß erschiene!,. Auf Befragen habe er sich für einen Schuhmacher aus Jerusalem, Namens Ahasverus, ausgegeben, welcher von Christus, dem er auf seinem Wege nach Golgatha eine kurze Rast vor seinem Hause verweigert, zu ewiger Wanderschaft verurteilt worden sei. Nachdem die Schrift mehrfach nachgedruckt worden war, erschien, aus Danzig vom 9. Juli 1602 datirt, ein etwas ausführlicherer Bericht über die Begegnung Eitzens mit den Juden, der von einem Westfalen, Chrhsostomus Duduläus, verfaßt sein sollte, und in welchem das lange Fortleben Ahasvers mit den Worten erklärt wurde- „Vielleicht hat es also müssen damit herlcmffen, auff daß etliche unter den verstockten, verblendeten Juden, die hin und her in der Welt noch itzt zcrstrewet sind, von diesem Ahasvero, der bis dato das Ils in orbsin Universum langwierig praetieiret, die großen Wunder Gottes in allerley Sprachen anhören möchten, ob sie noch könnten bekehret werden," Nachdem durch schnell aufeinander folgende Ausgaben die Erzählung vom „ewigen Juden" populär geworden, wußten auch andre über sein Auftreten in der oder jener Stadt zu berichten. Daß er 1603 in Lübeck gewesen, trug der dortige Bürgermeister Colcrus als der Überlieferung wert in sein Tagebuch ein; daß er in Sachsen erschienen sei, meldet der Theolog und Historiker Clüver. In Naumburg wurde er während des Gottesdienstes in der Kirche gesehen, wie er sich wiederholt an die Brust schlug und den Kopf zur rechten Seite neigte, aber nicht lange auf einer Stelle stehen konnte, sondern bald vorwärts, bald rückwärts schritt, wobei er häufig in Thränen ausbrach. In Leipzig erschien er nach Vogels Annalen 1642 als ein „abgelebter und eisgrauer Mann vor den Thüren," der die Leute um Brot ausprcich und vorgab, er sei ein geborner Jude, und mit bei des Herrn Christi Leiden gewesen lind müsse bis an den jüngsten Tag also herumgehen. Nach Anton kam er hundert Jahre darauf ein zweites mal durch Leipzig. Noch in unserm Jahrhundert ist der Glaube, daß es einen ewigen Juden gebe, vielfach verbreitet. In Holstein und im westliche« Deutschland sieht man ihn dann und wann in kleinen Orten, zuweilen schläft er auf einem Steine vor der Stadt oder ans einem Pfluge oder unter einer Egge, deren Zinken man zu diesem Zwecke abends gegen einander gerichtet hat. Zu Ertingen in Schwaben kehrte er bei einem Bauer ein. Beharrlich ging er um den Tisch herum, den er in die Mitte der Stube gestellt hatte, und nur zwischen zwölf und ein Uhr legte er sich zu kurzer Ruhe hin. In Hohenstatt erschien er um die Mittags¬ stunde im Bettlerhause, wo er sich ganz still verhielt, und von wo er nach dem Zwölfelcinten weiter zog. Auch in Waldeck wurde er gesehen, desgleichen zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/656>, abgerufen am 03.07.2024.