Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Sage vom ewigen Juden.

Wie einer, der mehr in Thränen und in der Furcht des Herrn wandelt, indem
er sich vor der Wiederkunft Christi ängstigt, der im Feuer erscheinen und die
Sünder strafen werde. , .. Aus entlegenen Gegenden kommen viele zu ihm, die
sich an feinem Anblick und seinen Gesprächen ergötze". Alle ihm angebotenen
Geschenke weist er zurück und begnügt sich mit mäßiger Kost und Kleidung.""

Diese Erzählung Rogers hat der 1259 gestorbene Matthäus Parisiensis,
gleichfalls ein Mönch von Se. Albans, mit einigen Zusätzen in seine Chronik
aufgenommen, wobei er bemerkt, die Richtigkeit derselben habe "ein vornehmer
Ritter, Richard von Argentan, der mit vielen andern eine Pilgerfahrt nach
dem Morgenlande unternommen, und später der Bischof Gualercmus von Beirut
bestätigt." Gleichfalls auf Grund der Mitteilungen des armenischen Erz-
bischofs, der aus seiner Reise auch nach Tournay kam, schildert das Ereignis
der dortige Erzbischof Philipp Mouskes um das Jahr 1243, nur schlägt hier
der Übelthäter nicht, sondern wünscht nur den "falschen Propheten" kreuzige"
zu sehen. Wieder ein wenig anders erzählt der von Dante im Inferno erwähnte
Astrolog Guido Bonatti die Sache, indem er in einem seiner Werke sagt:
"Einige Menschen haben ein sehr hohes Alter erreicht; von ihnen sah ich zu
meiner Zeit nur einen gewissen Ricardus, der am Hofe Karls des Großen
gewesen und vierhundert Jahre alt sein wollte. Auch behauptete man damals,
daß es einen andern gebe, welcher schon zur Zeit Jesu Christi gelebt habe, und
der Johannes Vuttadeus >vom italienischen vutlMö, also Gottesschläger^ heiße.
Weil er den Herrn, als er zur Kreuzigung geführt worden, fortgetrieben habe,
habe dieser ihm erklärt: "Du wirst mich erwarten, bis ich wiederkomme." Den
Ricardus sah ich zu Ravenna im Jahre 1223, jener Johannes aber zog, auf
einer Wallfahrt zum heiligen Jakobus ^von Compostella^ begriffen, im Jahre
1267 durch Forli." Diese drei von einander unabhängigen Berichte zeigen
bereits eine Verschmelzung der Traditionen über Johannes und Malchus. Zu
Anfang des siebzehnten Jahrhunderts ist dieselbe weiter fortgeschritten und tritt
uns in einem neuen Gewände entgegen. Der Novellist, der den Ahasverus
aus dem vorhandenen Material schuf, hat eine Erzählung geliefert, die in
Deutschland und dem westlichen Europa sehr populär wurde. Im Jahre 1599
ging durch die katholische und protestantische Christenheit die Schreckenskunde,
der Antichrist sei von Babylon her, wo er geboren, gegen das Abendland im
Anzüge, und gleichzeitig verbreitete sich das Gerücht, der Untergang der Welt
stehe nahe bevor. Mit Hinweis auf "diesen zunehmenden jüngsten Tag" erschien
nun im Jahre 1602 von einem nichtgenannten Verfasser die "Kurtze Beschreibung
und Erzehlung von einem Juden mit Namen Ahasverus," gedruckt zu "Leyden
bey Christoff Creutzer." Hierin berichtet der Autor, daß er und andre Studenten
von dem spätern Bischöfe von Schleswig, Paul von Eitzen, wiederholt ver¬
nommen, daß er 1542 auf einer Reife von Wittenberg, wo er studirt, nach
Hamburg am letzteren Orte in der Kirche einen Mann von etwa fünfzig


Die Sage vom ewigen Juden.

Wie einer, der mehr in Thränen und in der Furcht des Herrn wandelt, indem
er sich vor der Wiederkunft Christi ängstigt, der im Feuer erscheinen und die
Sünder strafen werde. , .. Aus entlegenen Gegenden kommen viele zu ihm, die
sich an feinem Anblick und seinen Gesprächen ergötze». Alle ihm angebotenen
Geschenke weist er zurück und begnügt sich mit mäßiger Kost und Kleidung.«"

Diese Erzählung Rogers hat der 1259 gestorbene Matthäus Parisiensis,
gleichfalls ein Mönch von Se. Albans, mit einigen Zusätzen in seine Chronik
aufgenommen, wobei er bemerkt, die Richtigkeit derselben habe „ein vornehmer
Ritter, Richard von Argentan, der mit vielen andern eine Pilgerfahrt nach
dem Morgenlande unternommen, und später der Bischof Gualercmus von Beirut
bestätigt." Gleichfalls auf Grund der Mitteilungen des armenischen Erz-
bischofs, der aus seiner Reise auch nach Tournay kam, schildert das Ereignis
der dortige Erzbischof Philipp Mouskes um das Jahr 1243, nur schlägt hier
der Übelthäter nicht, sondern wünscht nur den „falschen Propheten" kreuzige»
zu sehen. Wieder ein wenig anders erzählt der von Dante im Inferno erwähnte
Astrolog Guido Bonatti die Sache, indem er in einem seiner Werke sagt:
„Einige Menschen haben ein sehr hohes Alter erreicht; von ihnen sah ich zu
meiner Zeit nur einen gewissen Ricardus, der am Hofe Karls des Großen
gewesen und vierhundert Jahre alt sein wollte. Auch behauptete man damals,
daß es einen andern gebe, welcher schon zur Zeit Jesu Christi gelebt habe, und
der Johannes Vuttadeus >vom italienischen vutlMö, also Gottesschläger^ heiße.
Weil er den Herrn, als er zur Kreuzigung geführt worden, fortgetrieben habe,
habe dieser ihm erklärt: »Du wirst mich erwarten, bis ich wiederkomme.« Den
Ricardus sah ich zu Ravenna im Jahre 1223, jener Johannes aber zog, auf
einer Wallfahrt zum heiligen Jakobus ^von Compostella^ begriffen, im Jahre
1267 durch Forli." Diese drei von einander unabhängigen Berichte zeigen
bereits eine Verschmelzung der Traditionen über Johannes und Malchus. Zu
Anfang des siebzehnten Jahrhunderts ist dieselbe weiter fortgeschritten und tritt
uns in einem neuen Gewände entgegen. Der Novellist, der den Ahasverus
aus dem vorhandenen Material schuf, hat eine Erzählung geliefert, die in
Deutschland und dem westlichen Europa sehr populär wurde. Im Jahre 1599
ging durch die katholische und protestantische Christenheit die Schreckenskunde,
der Antichrist sei von Babylon her, wo er geboren, gegen das Abendland im
Anzüge, und gleichzeitig verbreitete sich das Gerücht, der Untergang der Welt
stehe nahe bevor. Mit Hinweis auf „diesen zunehmenden jüngsten Tag" erschien
nun im Jahre 1602 von einem nichtgenannten Verfasser die „Kurtze Beschreibung
und Erzehlung von einem Juden mit Namen Ahasverus," gedruckt zu „Leyden
bey Christoff Creutzer." Hierin berichtet der Autor, daß er und andre Studenten
von dem spätern Bischöfe von Schleswig, Paul von Eitzen, wiederholt ver¬
nommen, daß er 1542 auf einer Reife von Wittenberg, wo er studirt, nach
Hamburg am letzteren Orte in der Kirche einen Mann von etwa fünfzig


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0655" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155538"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Sage vom ewigen Juden.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2573" prev="#ID_2572"> Wie einer, der mehr in Thränen und in der Furcht des Herrn wandelt, indem<lb/>
er sich vor der Wiederkunft Christi ängstigt, der im Feuer erscheinen und die<lb/>
Sünder strafen werde. , .. Aus entlegenen Gegenden kommen viele zu ihm, die<lb/>
sich an feinem Anblick und seinen Gesprächen ergötze». Alle ihm angebotenen<lb/>
Geschenke weist er zurück und begnügt sich mit mäßiger Kost und Kleidung.«"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2574" next="#ID_2575"> Diese Erzählung Rogers hat der 1259 gestorbene Matthäus Parisiensis,<lb/>
gleichfalls ein Mönch von Se. Albans, mit einigen Zusätzen in seine Chronik<lb/>
aufgenommen, wobei er bemerkt, die Richtigkeit derselben habe &#x201E;ein vornehmer<lb/>
Ritter, Richard von Argentan, der mit vielen andern eine Pilgerfahrt nach<lb/>
dem Morgenlande unternommen, und später der Bischof Gualercmus von Beirut<lb/>
bestätigt."  Gleichfalls auf Grund der Mitteilungen des armenischen Erz-<lb/>
bischofs, der aus seiner Reise auch nach Tournay kam, schildert das Ereignis<lb/>
der dortige Erzbischof Philipp Mouskes um das Jahr 1243, nur schlägt hier<lb/>
der Übelthäter nicht, sondern wünscht nur den &#x201E;falschen Propheten" kreuzige»<lb/>
zu sehen. Wieder ein wenig anders erzählt der von Dante im Inferno erwähnte<lb/>
Astrolog Guido Bonatti die Sache, indem er in einem seiner Werke sagt:<lb/>
&#x201E;Einige Menschen haben ein sehr hohes Alter erreicht; von ihnen sah ich zu<lb/>
meiner Zeit nur einen gewissen Ricardus, der am Hofe Karls des Großen<lb/>
gewesen und vierhundert Jahre alt sein wollte. Auch behauptete man damals,<lb/>
daß es einen andern gebe, welcher schon zur Zeit Jesu Christi gelebt habe, und<lb/>
der Johannes Vuttadeus &gt;vom italienischen vutlMö, also Gottesschläger^ heiße.<lb/>
Weil er den Herrn, als er zur Kreuzigung geführt worden, fortgetrieben habe,<lb/>
habe dieser ihm erklärt: »Du wirst mich erwarten, bis ich wiederkomme.« Den<lb/>
Ricardus sah ich zu Ravenna im Jahre 1223, jener Johannes aber zog, auf<lb/>
einer Wallfahrt zum heiligen Jakobus ^von Compostella^ begriffen, im Jahre<lb/>
1267 durch Forli."  Diese drei von einander unabhängigen Berichte zeigen<lb/>
bereits eine Verschmelzung der Traditionen über Johannes und Malchus. Zu<lb/>
Anfang des siebzehnten Jahrhunderts ist dieselbe weiter fortgeschritten und tritt<lb/>
uns in einem neuen Gewände entgegen. Der Novellist, der den Ahasverus<lb/>
aus dem vorhandenen Material schuf, hat eine Erzählung geliefert, die in<lb/>
Deutschland und dem westlichen Europa sehr populär wurde. Im Jahre 1599<lb/>
ging durch die katholische und protestantische Christenheit die Schreckenskunde,<lb/>
der Antichrist sei von Babylon her, wo er geboren, gegen das Abendland im<lb/>
Anzüge, und gleichzeitig verbreitete sich das Gerücht, der Untergang der Welt<lb/>
stehe nahe bevor. Mit Hinweis auf &#x201E;diesen zunehmenden jüngsten Tag" erschien<lb/>
nun im Jahre 1602 von einem nichtgenannten Verfasser die &#x201E;Kurtze Beschreibung<lb/>
und Erzehlung von einem Juden mit Namen Ahasverus," gedruckt zu &#x201E;Leyden<lb/>
bey Christoff Creutzer." Hierin berichtet der Autor, daß er und andre Studenten<lb/>
von dem spätern Bischöfe von Schleswig, Paul von Eitzen, wiederholt ver¬<lb/>
nommen, daß er 1542 auf einer Reife von Wittenberg, wo er studirt, nach<lb/>
Hamburg am letzteren Orte in der Kirche einen Mann von etwa fünfzig</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0655] Die Sage vom ewigen Juden. Wie einer, der mehr in Thränen und in der Furcht des Herrn wandelt, indem er sich vor der Wiederkunft Christi ängstigt, der im Feuer erscheinen und die Sünder strafen werde. , .. Aus entlegenen Gegenden kommen viele zu ihm, die sich an feinem Anblick und seinen Gesprächen ergötze». Alle ihm angebotenen Geschenke weist er zurück und begnügt sich mit mäßiger Kost und Kleidung.«" Diese Erzählung Rogers hat der 1259 gestorbene Matthäus Parisiensis, gleichfalls ein Mönch von Se. Albans, mit einigen Zusätzen in seine Chronik aufgenommen, wobei er bemerkt, die Richtigkeit derselben habe „ein vornehmer Ritter, Richard von Argentan, der mit vielen andern eine Pilgerfahrt nach dem Morgenlande unternommen, und später der Bischof Gualercmus von Beirut bestätigt." Gleichfalls auf Grund der Mitteilungen des armenischen Erz- bischofs, der aus seiner Reise auch nach Tournay kam, schildert das Ereignis der dortige Erzbischof Philipp Mouskes um das Jahr 1243, nur schlägt hier der Übelthäter nicht, sondern wünscht nur den „falschen Propheten" kreuzige» zu sehen. Wieder ein wenig anders erzählt der von Dante im Inferno erwähnte Astrolog Guido Bonatti die Sache, indem er in einem seiner Werke sagt: „Einige Menschen haben ein sehr hohes Alter erreicht; von ihnen sah ich zu meiner Zeit nur einen gewissen Ricardus, der am Hofe Karls des Großen gewesen und vierhundert Jahre alt sein wollte. Auch behauptete man damals, daß es einen andern gebe, welcher schon zur Zeit Jesu Christi gelebt habe, und der Johannes Vuttadeus >vom italienischen vutlMö, also Gottesschläger^ heiße. Weil er den Herrn, als er zur Kreuzigung geführt worden, fortgetrieben habe, habe dieser ihm erklärt: »Du wirst mich erwarten, bis ich wiederkomme.« Den Ricardus sah ich zu Ravenna im Jahre 1223, jener Johannes aber zog, auf einer Wallfahrt zum heiligen Jakobus ^von Compostella^ begriffen, im Jahre 1267 durch Forli." Diese drei von einander unabhängigen Berichte zeigen bereits eine Verschmelzung der Traditionen über Johannes und Malchus. Zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts ist dieselbe weiter fortgeschritten und tritt uns in einem neuen Gewände entgegen. Der Novellist, der den Ahasverus aus dem vorhandenen Material schuf, hat eine Erzählung geliefert, die in Deutschland und dem westlichen Europa sehr populär wurde. Im Jahre 1599 ging durch die katholische und protestantische Christenheit die Schreckenskunde, der Antichrist sei von Babylon her, wo er geboren, gegen das Abendland im Anzüge, und gleichzeitig verbreitete sich das Gerücht, der Untergang der Welt stehe nahe bevor. Mit Hinweis auf „diesen zunehmenden jüngsten Tag" erschien nun im Jahre 1602 von einem nichtgenannten Verfasser die „Kurtze Beschreibung und Erzehlung von einem Juden mit Namen Ahasverus," gedruckt zu „Leyden bey Christoff Creutzer." Hierin berichtet der Autor, daß er und andre Studenten von dem spätern Bischöfe von Schleswig, Paul von Eitzen, wiederholt ver¬ nommen, daß er 1542 auf einer Reife von Wittenberg, wo er studirt, nach Hamburg am letzteren Orte in der Kirche einen Mann von etwa fünfzig

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/655
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/655>, abgerufen am 02.07.2024.