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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Sage vom ewigen Juden.

gelische Geschichte häufig nicht bloß gegen Juden und Sarazenen, sondern auch
gegen Zweifler im christlichen Lager zu verteidigen hatte. "Konnten die bi¬
blischen Berichte eine glänzendere Bestätigung finden als durch Aussagen eines
noch lebenden Zeitgenossen Christi?"

Den ältesten Bericht über das Vorbild des ewigen Juden enthalten die
Norss HistoriMum Rogers von Wendower, eines Mönches der englischen
Abtei Se. Albans, der 1237 starb. Derselbe meldet aus dem Jahre' 1228,
daß in letzterem ein Erzbischof aus Großarmenien auf einer Wallfahrt nach
den heiligen Stätten des Abendlandes auch in jene Abtei gekommen und, da
er Empfehlungsschreiben vom Papste mitgebracht, mit allen Ehrenbezeugungen
empfangen worden sei. Zum Danke für die Auskunft, die mau ihm auf seine
Erkundigungen nach dem englischen Ritus und Brauch erteilt, habe er allerlei
von den Eigentümlichkeiten seines Heimatlandes erzählt. "Man fragte ihn n. a.
nach jenem berühmten Josef, heißt es im gedachten Berichte weiter, der bei
dem Leiden des Herrn zugegen war, mit ihm gesprochen hatte und zum Beweise
der Wahrheit des christlichen Glaubens noch lebt. Als man sich erkundigte,
ob er ihn nicht gesehen oder etwas über ihn gehört hätte, erzählte der Erz¬
bischof die näher" Umstände. Ein Ritter aus seinem Gefolge antwortete, indem
er dessen Rede übersetzte, auf französisch: "Mein Herr kennt den Mann sehr
gut, kurz vor seiner Abreise hat er jenen Josef zur Tafel gezogen." Weiter
gefragt, was sich zwischen Christus und diesem Josef zugetragen, erwiederte er:
"Zu der Zeit, als Christus von den Juden als Gefangener nach seinem Ver¬
höre vor Pilatus aus dem Richthause zur Kreuzigung abgeführt wurde, ver¬
setzte ihm an der Pforte der Thürhüter, Cartaphilus, verächtlich mit der Faust
einen Schlag in den Nacken und sagte spöttisch zu ihm: Geh doch schneller,
Jesus, was zögerst du? Darauf sah Christus ihn traurig an und sprach: Ich
gehe, und du wirft warten, bis ich komme. ... Und so wartet er nach dem
Worte des Herrn. Er war damals ungefähr dreißig Jahre alt; so oft er das
hundertste Jahr erreicht hat, kommt er ^ungefähr wie der ewig zu gewissen Perioden
sich neu verjüngende Chidr) wieder in das Alter, in dem er bei dein Leiden
des Herrn stand. Als nach der Kreuzigung der katholische Glaube sich
immermehr ausbreitete, wurde Cartaphilus von Ananias, der auch den Apostel
Paulus taufte, zum Christentum bekehrt und erhielt den Namen Josef. Er
wohnt gewöhnlich in dem einen oder dem andern Armenien und andern Gegenden
des Morgenlandes, lebt unter Bischöfen und Prälaten als ein Mann von hie¬
siger Sitte und Rede und spricht wenig oder überhaupt uicht, außer wenn
Bischöfe und andre fromme Männer ihn fragen. Dann erzählt er von der
Vergangenheit und den nähern Umständen der Kreuzigung und Auferstehung. . ..
Er berichtet auch über das apostolische Symbolum und die Einteilung desselben,
sowie über die Predigt der Apostel, und dieses alles ohne Lachen und irgend
welche Leichtfertigkeit in den Worten und Zeichen von Widerspruch und Tadel,


Sage vom ewigen Juden.

gelische Geschichte häufig nicht bloß gegen Juden und Sarazenen, sondern auch
gegen Zweifler im christlichen Lager zu verteidigen hatte. „Konnten die bi¬
blischen Berichte eine glänzendere Bestätigung finden als durch Aussagen eines
noch lebenden Zeitgenossen Christi?"

Den ältesten Bericht über das Vorbild des ewigen Juden enthalten die
Norss HistoriMum Rogers von Wendower, eines Mönches der englischen
Abtei Se. Albans, der 1237 starb. Derselbe meldet aus dem Jahre' 1228,
daß in letzterem ein Erzbischof aus Großarmenien auf einer Wallfahrt nach
den heiligen Stätten des Abendlandes auch in jene Abtei gekommen und, da
er Empfehlungsschreiben vom Papste mitgebracht, mit allen Ehrenbezeugungen
empfangen worden sei. Zum Danke für die Auskunft, die mau ihm auf seine
Erkundigungen nach dem englischen Ritus und Brauch erteilt, habe er allerlei
von den Eigentümlichkeiten seines Heimatlandes erzählt. „Man fragte ihn n. a.
nach jenem berühmten Josef, heißt es im gedachten Berichte weiter, der bei
dem Leiden des Herrn zugegen war, mit ihm gesprochen hatte und zum Beweise
der Wahrheit des christlichen Glaubens noch lebt. Als man sich erkundigte,
ob er ihn nicht gesehen oder etwas über ihn gehört hätte, erzählte der Erz¬
bischof die näher» Umstände. Ein Ritter aus seinem Gefolge antwortete, indem
er dessen Rede übersetzte, auf französisch: »Mein Herr kennt den Mann sehr
gut, kurz vor seiner Abreise hat er jenen Josef zur Tafel gezogen.« Weiter
gefragt, was sich zwischen Christus und diesem Josef zugetragen, erwiederte er:
»Zu der Zeit, als Christus von den Juden als Gefangener nach seinem Ver¬
höre vor Pilatus aus dem Richthause zur Kreuzigung abgeführt wurde, ver¬
setzte ihm an der Pforte der Thürhüter, Cartaphilus, verächtlich mit der Faust
einen Schlag in den Nacken und sagte spöttisch zu ihm: Geh doch schneller,
Jesus, was zögerst du? Darauf sah Christus ihn traurig an und sprach: Ich
gehe, und du wirft warten, bis ich komme. ... Und so wartet er nach dem
Worte des Herrn. Er war damals ungefähr dreißig Jahre alt; so oft er das
hundertste Jahr erreicht hat, kommt er ^ungefähr wie der ewig zu gewissen Perioden
sich neu verjüngende Chidr) wieder in das Alter, in dem er bei dein Leiden
des Herrn stand. Als nach der Kreuzigung der katholische Glaube sich
immermehr ausbreitete, wurde Cartaphilus von Ananias, der auch den Apostel
Paulus taufte, zum Christentum bekehrt und erhielt den Namen Josef. Er
wohnt gewöhnlich in dem einen oder dem andern Armenien und andern Gegenden
des Morgenlandes, lebt unter Bischöfen und Prälaten als ein Mann von hie¬
siger Sitte und Rede und spricht wenig oder überhaupt uicht, außer wenn
Bischöfe und andre fromme Männer ihn fragen. Dann erzählt er von der
Vergangenheit und den nähern Umständen der Kreuzigung und Auferstehung. . ..
Er berichtet auch über das apostolische Symbolum und die Einteilung desselben,
sowie über die Predigt der Apostel, und dieses alles ohne Lachen und irgend
welche Leichtfertigkeit in den Worten und Zeichen von Widerspruch und Tadel,


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[0654] Sage vom ewigen Juden. gelische Geschichte häufig nicht bloß gegen Juden und Sarazenen, sondern auch gegen Zweifler im christlichen Lager zu verteidigen hatte. „Konnten die bi¬ blischen Berichte eine glänzendere Bestätigung finden als durch Aussagen eines noch lebenden Zeitgenossen Christi?" Den ältesten Bericht über das Vorbild des ewigen Juden enthalten die Norss HistoriMum Rogers von Wendower, eines Mönches der englischen Abtei Se. Albans, der 1237 starb. Derselbe meldet aus dem Jahre' 1228, daß in letzterem ein Erzbischof aus Großarmenien auf einer Wallfahrt nach den heiligen Stätten des Abendlandes auch in jene Abtei gekommen und, da er Empfehlungsschreiben vom Papste mitgebracht, mit allen Ehrenbezeugungen empfangen worden sei. Zum Danke für die Auskunft, die mau ihm auf seine Erkundigungen nach dem englischen Ritus und Brauch erteilt, habe er allerlei von den Eigentümlichkeiten seines Heimatlandes erzählt. „Man fragte ihn n. a. nach jenem berühmten Josef, heißt es im gedachten Berichte weiter, der bei dem Leiden des Herrn zugegen war, mit ihm gesprochen hatte und zum Beweise der Wahrheit des christlichen Glaubens noch lebt. Als man sich erkundigte, ob er ihn nicht gesehen oder etwas über ihn gehört hätte, erzählte der Erz¬ bischof die näher» Umstände. Ein Ritter aus seinem Gefolge antwortete, indem er dessen Rede übersetzte, auf französisch: »Mein Herr kennt den Mann sehr gut, kurz vor seiner Abreise hat er jenen Josef zur Tafel gezogen.« Weiter gefragt, was sich zwischen Christus und diesem Josef zugetragen, erwiederte er: »Zu der Zeit, als Christus von den Juden als Gefangener nach seinem Ver¬ höre vor Pilatus aus dem Richthause zur Kreuzigung abgeführt wurde, ver¬ setzte ihm an der Pforte der Thürhüter, Cartaphilus, verächtlich mit der Faust einen Schlag in den Nacken und sagte spöttisch zu ihm: Geh doch schneller, Jesus, was zögerst du? Darauf sah Christus ihn traurig an und sprach: Ich gehe, und du wirft warten, bis ich komme. ... Und so wartet er nach dem Worte des Herrn. Er war damals ungefähr dreißig Jahre alt; so oft er das hundertste Jahr erreicht hat, kommt er ^ungefähr wie der ewig zu gewissen Perioden sich neu verjüngende Chidr) wieder in das Alter, in dem er bei dein Leiden des Herrn stand. Als nach der Kreuzigung der katholische Glaube sich immermehr ausbreitete, wurde Cartaphilus von Ananias, der auch den Apostel Paulus taufte, zum Christentum bekehrt und erhielt den Namen Josef. Er wohnt gewöhnlich in dem einen oder dem andern Armenien und andern Gegenden des Morgenlandes, lebt unter Bischöfen und Prälaten als ein Mann von hie¬ siger Sitte und Rede und spricht wenig oder überhaupt uicht, außer wenn Bischöfe und andre fromme Männer ihn fragen. Dann erzählt er von der Vergangenheit und den nähern Umständen der Kreuzigung und Auferstehung. . .. Er berichtet auch über das apostolische Symbolum und die Einteilung desselben, sowie über die Predigt der Apostel, und dieses alles ohne Lachen und irgend welche Leichtfertigkeit in den Worten und Zeichen von Widerspruch und Tadel,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/654>, abgerufen am 01.07.2024.