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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Arabische Kriegführung.

seine Erscheinung verrät: ein wilder, abgehärteter und an Strapazen und Ent¬
behrungen gewöhnter Räuber. Die Stämme haben unter sich keine Zwerge
und Trottel, andrerseits aber auch leine Leute von ungewöhnlich hohem Wuchse.
Ein wohlbeleibter Beduine ist etwas unerhörtes. Auch alte Leute trifft man
in ihren Zelten nur selten an; denn das Schwert, das erste und oberste Be¬
weismittel des Volkes der Wüsten, ist einem langen Leben nicht günstig. Wäre
es hier nicht wie unter Löwen, d. h. gewänne nicht in jeder Gemeinschaft der
wildeste und stärkste die Obergewalt, übte er nicht seine Macht mit unparteiischer
Härte aus, und hielten nicht die Schrecken der erblichen Blutfehden in gewissem
Maße die Speere von den Hälsen und die Stämme von wechselseitigen Blut¬
vergießen zurück, so würde die Nation schon lange zu einem kleinen Häuflein
zusammengeschmolzen sein und, statt innerhalb ihrer Grenzmarken die stärkste
Rasse zu sein, sich in bloße Schakals der Einöde verwandelt haben. Ihre Vor¬
stellungen von der Tapferkeit stehen nicht im Einklang mit den westlichen Ideen
in Betreff dieser Tugend; denn der Araber hält es für ehrenwerte Kriegführung,
aus dem Hinterhalt auf arglose Reisende zu schießen. Als Held gilt bei ihnen
auch der, welcher nur ein Meuchelmörder ist. Die Kriege der Araber unter
sich sind, wie schon die Urgeschichte des Islam und die Heldenlieder von Antar
zeigen, nur eine Aufeinanderfolge von Scharmützeln, in welchen etliche hundert
Mann die Flucht ergreifen, nachdem sie ein Dutzend ihrer Leute verloren haben.
Der erste Ansturm sichert gewöhnlich den Sieg, und die Geschlagenen fliehen
dann, bis die Schatten der Nacht sie bedecken. Dann giebts Geschrei und Spott
von seiten der Weiber, schwere Gelübde und Eide, Rachelieder, wilde Aufregung
und schließlich Repressalien, die leicht zur Flucht des frühern Siegers führen.
Wenn Friede geschlossen wird, zählen beide Parteien ihre Toten, und wenn die
eine Seite deren mehr hat, so zahlt die andre das herkömmliche Blutgeld.
Gewöhnlich aber währt die Fehde fort, bis, nachdem alle ihrer überdrüssig ge¬
worden, irgend ein vornehmer Mann, etwa der Scherif von Mekka, ersucht
wird, ein Abkommen zu vermitteln, das aber nichts als ein Waffenstillstand zu
sein pflegt. Nach einem Frieden von einigen Monaten fordert ein Blick oder
ein Wort von neuem Blut; denn der gegenseitige Haß rührt von Alters her
und erzeugt unaufhörlich neuen Zank und Hader.

Das sieht neben unsern Ideen vom Wesen des Krieges ziemlich erbärmlich
aus. Aber Burton, vielleicht der beste Kenner des Charakters der arabischen
Stämme, sagt, daß die Beduinen keineswegs Feiglinge seien, und die Schlachten
der sudanischen Revolution bestätigen seine Behauptung. Die Gewöhnung an
die Gefahr, die sie sich bei ihren Raubzügen gegen einander und gegen be¬
waffnete Karawanen sowie bei Verfolgung von Blutschuld erwerben, die stete
Unsicherheit der Existenz, das Wüstenleben mit seinen Entbehrungen, die Jagd
stählen das Nervensystem, während ihr unablässiger Gebrauch der Waffen in
Spiel und Ernst und ihre große Neigung zu kriegerischen Übungen sie gewöhnen,


Arabische Kriegführung.

seine Erscheinung verrät: ein wilder, abgehärteter und an Strapazen und Ent¬
behrungen gewöhnter Räuber. Die Stämme haben unter sich keine Zwerge
und Trottel, andrerseits aber auch leine Leute von ungewöhnlich hohem Wuchse.
Ein wohlbeleibter Beduine ist etwas unerhörtes. Auch alte Leute trifft man
in ihren Zelten nur selten an; denn das Schwert, das erste und oberste Be¬
weismittel des Volkes der Wüsten, ist einem langen Leben nicht günstig. Wäre
es hier nicht wie unter Löwen, d. h. gewänne nicht in jeder Gemeinschaft der
wildeste und stärkste die Obergewalt, übte er nicht seine Macht mit unparteiischer
Härte aus, und hielten nicht die Schrecken der erblichen Blutfehden in gewissem
Maße die Speere von den Hälsen und die Stämme von wechselseitigen Blut¬
vergießen zurück, so würde die Nation schon lange zu einem kleinen Häuflein
zusammengeschmolzen sein und, statt innerhalb ihrer Grenzmarken die stärkste
Rasse zu sein, sich in bloße Schakals der Einöde verwandelt haben. Ihre Vor¬
stellungen von der Tapferkeit stehen nicht im Einklang mit den westlichen Ideen
in Betreff dieser Tugend; denn der Araber hält es für ehrenwerte Kriegführung,
aus dem Hinterhalt auf arglose Reisende zu schießen. Als Held gilt bei ihnen
auch der, welcher nur ein Meuchelmörder ist. Die Kriege der Araber unter
sich sind, wie schon die Urgeschichte des Islam und die Heldenlieder von Antar
zeigen, nur eine Aufeinanderfolge von Scharmützeln, in welchen etliche hundert
Mann die Flucht ergreifen, nachdem sie ein Dutzend ihrer Leute verloren haben.
Der erste Ansturm sichert gewöhnlich den Sieg, und die Geschlagenen fliehen
dann, bis die Schatten der Nacht sie bedecken. Dann giebts Geschrei und Spott
von seiten der Weiber, schwere Gelübde und Eide, Rachelieder, wilde Aufregung
und schließlich Repressalien, die leicht zur Flucht des frühern Siegers führen.
Wenn Friede geschlossen wird, zählen beide Parteien ihre Toten, und wenn die
eine Seite deren mehr hat, so zahlt die andre das herkömmliche Blutgeld.
Gewöhnlich aber währt die Fehde fort, bis, nachdem alle ihrer überdrüssig ge¬
worden, irgend ein vornehmer Mann, etwa der Scherif von Mekka, ersucht
wird, ein Abkommen zu vermitteln, das aber nichts als ein Waffenstillstand zu
sein pflegt. Nach einem Frieden von einigen Monaten fordert ein Blick oder
ein Wort von neuem Blut; denn der gegenseitige Haß rührt von Alters her
und erzeugt unaufhörlich neuen Zank und Hader.

Das sieht neben unsern Ideen vom Wesen des Krieges ziemlich erbärmlich
aus. Aber Burton, vielleicht der beste Kenner des Charakters der arabischen
Stämme, sagt, daß die Beduinen keineswegs Feiglinge seien, und die Schlachten
der sudanischen Revolution bestätigen seine Behauptung. Die Gewöhnung an
die Gefahr, die sie sich bei ihren Raubzügen gegen einander und gegen be¬
waffnete Karawanen sowie bei Verfolgung von Blutschuld erwerben, die stete
Unsicherheit der Existenz, das Wüstenleben mit seinen Entbehrungen, die Jagd
stählen das Nervensystem, während ihr unablässiger Gebrauch der Waffen in
Spiel und Ernst und ihre große Neigung zu kriegerischen Übungen sie gewöhnen,


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[0629] Arabische Kriegführung. seine Erscheinung verrät: ein wilder, abgehärteter und an Strapazen und Ent¬ behrungen gewöhnter Räuber. Die Stämme haben unter sich keine Zwerge und Trottel, andrerseits aber auch leine Leute von ungewöhnlich hohem Wuchse. Ein wohlbeleibter Beduine ist etwas unerhörtes. Auch alte Leute trifft man in ihren Zelten nur selten an; denn das Schwert, das erste und oberste Be¬ weismittel des Volkes der Wüsten, ist einem langen Leben nicht günstig. Wäre es hier nicht wie unter Löwen, d. h. gewänne nicht in jeder Gemeinschaft der wildeste und stärkste die Obergewalt, übte er nicht seine Macht mit unparteiischer Härte aus, und hielten nicht die Schrecken der erblichen Blutfehden in gewissem Maße die Speere von den Hälsen und die Stämme von wechselseitigen Blut¬ vergießen zurück, so würde die Nation schon lange zu einem kleinen Häuflein zusammengeschmolzen sein und, statt innerhalb ihrer Grenzmarken die stärkste Rasse zu sein, sich in bloße Schakals der Einöde verwandelt haben. Ihre Vor¬ stellungen von der Tapferkeit stehen nicht im Einklang mit den westlichen Ideen in Betreff dieser Tugend; denn der Araber hält es für ehrenwerte Kriegführung, aus dem Hinterhalt auf arglose Reisende zu schießen. Als Held gilt bei ihnen auch der, welcher nur ein Meuchelmörder ist. Die Kriege der Araber unter sich sind, wie schon die Urgeschichte des Islam und die Heldenlieder von Antar zeigen, nur eine Aufeinanderfolge von Scharmützeln, in welchen etliche hundert Mann die Flucht ergreifen, nachdem sie ein Dutzend ihrer Leute verloren haben. Der erste Ansturm sichert gewöhnlich den Sieg, und die Geschlagenen fliehen dann, bis die Schatten der Nacht sie bedecken. Dann giebts Geschrei und Spott von seiten der Weiber, schwere Gelübde und Eide, Rachelieder, wilde Aufregung und schließlich Repressalien, die leicht zur Flucht des frühern Siegers führen. Wenn Friede geschlossen wird, zählen beide Parteien ihre Toten, und wenn die eine Seite deren mehr hat, so zahlt die andre das herkömmliche Blutgeld. Gewöhnlich aber währt die Fehde fort, bis, nachdem alle ihrer überdrüssig ge¬ worden, irgend ein vornehmer Mann, etwa der Scherif von Mekka, ersucht wird, ein Abkommen zu vermitteln, das aber nichts als ein Waffenstillstand zu sein pflegt. Nach einem Frieden von einigen Monaten fordert ein Blick oder ein Wort von neuem Blut; denn der gegenseitige Haß rührt von Alters her und erzeugt unaufhörlich neuen Zank und Hader. Das sieht neben unsern Ideen vom Wesen des Krieges ziemlich erbärmlich aus. Aber Burton, vielleicht der beste Kenner des Charakters der arabischen Stämme, sagt, daß die Beduinen keineswegs Feiglinge seien, und die Schlachten der sudanischen Revolution bestätigen seine Behauptung. Die Gewöhnung an die Gefahr, die sie sich bei ihren Raubzügen gegen einander und gegen be¬ waffnete Karawanen sowie bei Verfolgung von Blutschuld erwerben, die stete Unsicherheit der Existenz, das Wüstenleben mit seinen Entbehrungen, die Jagd stählen das Nervensystem, während ihr unablässiger Gebrauch der Waffen in Spiel und Ernst und ihre große Neigung zu kriegerischen Übungen sie gewöhnen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/629>, abgerufen am 03.07.2024.