Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Lin Wort über Runstschulm.

Damit ist Klarblickenden nichts neues gesagt, und wir wissen, daß an vielen
Orten mit vollem Ernste der wichtige Gesichtspunkt festgehalten wird, Hand¬
werker zu erziehen, welche fähig sind, ihr Handwerk zur Kunst zu erheben, nicht
halbe Künstler, die sich des Handwerks schämen; und das ist nur möglich, wenn
die Schule das Ideal einer Werkstatt ist.

Aber liegen denn in der hohen Kunst die Dinge anders? Einer von den
Schreibmalern glaubte neulich einen großen Trumpf auszuspielen, als er die
Neuigkeit verkündete: die Kunstsammlungen hätten nicht den Niedergang der
Kunst aufzuhalten vermocht. Der Unvorsichtige vergaß, daß dies ebensowenig
die Kunstakademien geleistet haben, die doch zu dem Zweck erfunden wurden --
was bei den Museen nicht der Fall ist. Waren die Bedingungen sür Kunst¬
blüte vorhanden, dann brauchte man keine Schulen und Akademien zu gründen.
Schulen waren da die Werkstätten der Meister; der anstellige Lehrling und der
geschickte Geselle nahmen je nach ihrer Befähigung und dem Grade ihrer Aus¬
bildung an der Arbeit des Meisters teil, bis sie sich endlich auf eigne Füße
stellen konnten. Erst als dem großen Aufschwünge im fünfzehnten und sech¬
zehnten Jahrhundert die Erschöpfung folgte, auf die Genien die Talente, auf
die großen Anschauungen in der Welt der Künstler und der Mäcenaten die
Jagd nach starken Effekten, erst da glaubten wohlmeinende Leute, durch die
Schule helfen zu können. Aber weder die Carracci noch Sandrart haben die
völlige Verflachung aufgehalten, nicht einmal die Technik haben ihre Akademien
den späteren überliefert. Und wenn die Kunst am Ende des vorigen und An¬
fang unsers Jahrhunderts sich wieder emporraffte, so waren überall die Aka¬
demien nicht Förderer, sondern Hindernis, Rebellen gegen akademischen Zwang
die Führer, welche Begeisterung in den Galerien und Museen eingesogen hatten.
Ein weniger glückliches Argument hätte also jener "Altebilderstürmer" nicht
wählen können.

Es gehört überhaupt ein starker Grad von Kurzsichtigkeit zu der Annahme,
daß durch Schulen und Aufträge eine große Kunst geschaffen werden könne,
und daß der Zweck des staatlichem Kunstaufwandes die Heranbildung von Malern
und Bildhauern sei. Umgekehrt fragt man sich heute überall und mit Recht,
ob die Erhaltung von Kunstakademien in ihrer jetzigen Gestalt länger zu ver¬
antworten sei. Und zwar steht nicht die finanzielle Frage im Vordergrunde,
sondern die Rücksicht auf die Kunst und die Künstler. Der Unterricht im
Zeichnen soll so allgemein zugänglich gemacht werden als möglich, und kaum
jemand wird widersprechen, wenn die Befriedigung dieses Bedürfnisses bedeutende
Mittel in Anspruch nimmt. Denn es giebt beinahe keinen Beruf, in welchem
eine gewisse Schulung des Auges und der Hand nicht von mannichfachen Vorteil
sein würde. Aber dabei handelt es sich um allgemeine Bildung. Große Anstalten,
in welchen Jahr für Jahr unübersehbare Scharen von jungen Leuten für irgend
einen Zweig der Kunstübung abgerichtet werden, wo der gänzlich Unberufene


Lin Wort über Runstschulm.

Damit ist Klarblickenden nichts neues gesagt, und wir wissen, daß an vielen
Orten mit vollem Ernste der wichtige Gesichtspunkt festgehalten wird, Hand¬
werker zu erziehen, welche fähig sind, ihr Handwerk zur Kunst zu erheben, nicht
halbe Künstler, die sich des Handwerks schämen; und das ist nur möglich, wenn
die Schule das Ideal einer Werkstatt ist.

Aber liegen denn in der hohen Kunst die Dinge anders? Einer von den
Schreibmalern glaubte neulich einen großen Trumpf auszuspielen, als er die
Neuigkeit verkündete: die Kunstsammlungen hätten nicht den Niedergang der
Kunst aufzuhalten vermocht. Der Unvorsichtige vergaß, daß dies ebensowenig
die Kunstakademien geleistet haben, die doch zu dem Zweck erfunden wurden —
was bei den Museen nicht der Fall ist. Waren die Bedingungen sür Kunst¬
blüte vorhanden, dann brauchte man keine Schulen und Akademien zu gründen.
Schulen waren da die Werkstätten der Meister; der anstellige Lehrling und der
geschickte Geselle nahmen je nach ihrer Befähigung und dem Grade ihrer Aus¬
bildung an der Arbeit des Meisters teil, bis sie sich endlich auf eigne Füße
stellen konnten. Erst als dem großen Aufschwünge im fünfzehnten und sech¬
zehnten Jahrhundert die Erschöpfung folgte, auf die Genien die Talente, auf
die großen Anschauungen in der Welt der Künstler und der Mäcenaten die
Jagd nach starken Effekten, erst da glaubten wohlmeinende Leute, durch die
Schule helfen zu können. Aber weder die Carracci noch Sandrart haben die
völlige Verflachung aufgehalten, nicht einmal die Technik haben ihre Akademien
den späteren überliefert. Und wenn die Kunst am Ende des vorigen und An¬
fang unsers Jahrhunderts sich wieder emporraffte, so waren überall die Aka¬
demien nicht Förderer, sondern Hindernis, Rebellen gegen akademischen Zwang
die Führer, welche Begeisterung in den Galerien und Museen eingesogen hatten.
Ein weniger glückliches Argument hätte also jener „Altebilderstürmer" nicht
wählen können.

Es gehört überhaupt ein starker Grad von Kurzsichtigkeit zu der Annahme,
daß durch Schulen und Aufträge eine große Kunst geschaffen werden könne,
und daß der Zweck des staatlichem Kunstaufwandes die Heranbildung von Malern
und Bildhauern sei. Umgekehrt fragt man sich heute überall und mit Recht,
ob die Erhaltung von Kunstakademien in ihrer jetzigen Gestalt länger zu ver¬
antworten sei. Und zwar steht nicht die finanzielle Frage im Vordergrunde,
sondern die Rücksicht auf die Kunst und die Künstler. Der Unterricht im
Zeichnen soll so allgemein zugänglich gemacht werden als möglich, und kaum
jemand wird widersprechen, wenn die Befriedigung dieses Bedürfnisses bedeutende
Mittel in Anspruch nimmt. Denn es giebt beinahe keinen Beruf, in welchem
eine gewisse Schulung des Auges und der Hand nicht von mannichfachen Vorteil
sein würde. Aber dabei handelt es sich um allgemeine Bildung. Große Anstalten,
in welchen Jahr für Jahr unübersehbare Scharen von jungen Leuten für irgend
einen Zweig der Kunstübung abgerichtet werden, wo der gänzlich Unberufene


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0625" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155508"/>
          <fw type="header" place="top"> Lin Wort über Runstschulm.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2487"> Damit ist Klarblickenden nichts neues gesagt, und wir wissen, daß an vielen<lb/>
Orten mit vollem Ernste der wichtige Gesichtspunkt festgehalten wird, Hand¬<lb/>
werker zu erziehen, welche fähig sind, ihr Handwerk zur Kunst zu erheben, nicht<lb/>
halbe Künstler, die sich des Handwerks schämen; und das ist nur möglich, wenn<lb/>
die Schule das Ideal einer Werkstatt ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2488"> Aber liegen denn in der hohen Kunst die Dinge anders? Einer von den<lb/>
Schreibmalern glaubte neulich einen großen Trumpf auszuspielen, als er die<lb/>
Neuigkeit verkündete: die Kunstsammlungen hätten nicht den Niedergang der<lb/>
Kunst aufzuhalten vermocht. Der Unvorsichtige vergaß, daß dies ebensowenig<lb/>
die Kunstakademien geleistet haben, die doch zu dem Zweck erfunden wurden &#x2014;<lb/>
was bei den Museen nicht der Fall ist. Waren die Bedingungen sür Kunst¬<lb/>
blüte vorhanden, dann brauchte man keine Schulen und Akademien zu gründen.<lb/>
Schulen waren da die Werkstätten der Meister; der anstellige Lehrling und der<lb/>
geschickte Geselle nahmen je nach ihrer Befähigung und dem Grade ihrer Aus¬<lb/>
bildung an der Arbeit des Meisters teil, bis sie sich endlich auf eigne Füße<lb/>
stellen konnten. Erst als dem großen Aufschwünge im fünfzehnten und sech¬<lb/>
zehnten Jahrhundert die Erschöpfung folgte, auf die Genien die Talente, auf<lb/>
die großen Anschauungen in der Welt der Künstler und der Mäcenaten die<lb/>
Jagd nach starken Effekten, erst da glaubten wohlmeinende Leute, durch die<lb/>
Schule helfen zu können. Aber weder die Carracci noch Sandrart haben die<lb/>
völlige Verflachung aufgehalten, nicht einmal die Technik haben ihre Akademien<lb/>
den späteren überliefert. Und wenn die Kunst am Ende des vorigen und An¬<lb/>
fang unsers Jahrhunderts sich wieder emporraffte, so waren überall die Aka¬<lb/>
demien nicht Förderer, sondern Hindernis, Rebellen gegen akademischen Zwang<lb/>
die Führer, welche Begeisterung in den Galerien und Museen eingesogen hatten.<lb/>
Ein weniger glückliches Argument hätte also jener &#x201E;Altebilderstürmer" nicht<lb/>
wählen können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2489" next="#ID_2490"> Es gehört überhaupt ein starker Grad von Kurzsichtigkeit zu der Annahme,<lb/>
daß durch Schulen und Aufträge eine große Kunst geschaffen werden könne,<lb/>
und daß der Zweck des staatlichem Kunstaufwandes die Heranbildung von Malern<lb/>
und Bildhauern sei. Umgekehrt fragt man sich heute überall und mit Recht,<lb/>
ob die Erhaltung von Kunstakademien in ihrer jetzigen Gestalt länger zu ver¬<lb/>
antworten sei. Und zwar steht nicht die finanzielle Frage im Vordergrunde,<lb/>
sondern die Rücksicht auf die Kunst und die Künstler. Der Unterricht im<lb/>
Zeichnen soll so allgemein zugänglich gemacht werden als möglich, und kaum<lb/>
jemand wird widersprechen, wenn die Befriedigung dieses Bedürfnisses bedeutende<lb/>
Mittel in Anspruch nimmt. Denn es giebt beinahe keinen Beruf, in welchem<lb/>
eine gewisse Schulung des Auges und der Hand nicht von mannichfachen Vorteil<lb/>
sein würde. Aber dabei handelt es sich um allgemeine Bildung. Große Anstalten,<lb/>
in welchen Jahr für Jahr unübersehbare Scharen von jungen Leuten für irgend<lb/>
einen Zweig der Kunstübung abgerichtet werden, wo der gänzlich Unberufene</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0625] Lin Wort über Runstschulm. Damit ist Klarblickenden nichts neues gesagt, und wir wissen, daß an vielen Orten mit vollem Ernste der wichtige Gesichtspunkt festgehalten wird, Hand¬ werker zu erziehen, welche fähig sind, ihr Handwerk zur Kunst zu erheben, nicht halbe Künstler, die sich des Handwerks schämen; und das ist nur möglich, wenn die Schule das Ideal einer Werkstatt ist. Aber liegen denn in der hohen Kunst die Dinge anders? Einer von den Schreibmalern glaubte neulich einen großen Trumpf auszuspielen, als er die Neuigkeit verkündete: die Kunstsammlungen hätten nicht den Niedergang der Kunst aufzuhalten vermocht. Der Unvorsichtige vergaß, daß dies ebensowenig die Kunstakademien geleistet haben, die doch zu dem Zweck erfunden wurden — was bei den Museen nicht der Fall ist. Waren die Bedingungen sür Kunst¬ blüte vorhanden, dann brauchte man keine Schulen und Akademien zu gründen. Schulen waren da die Werkstätten der Meister; der anstellige Lehrling und der geschickte Geselle nahmen je nach ihrer Befähigung und dem Grade ihrer Aus¬ bildung an der Arbeit des Meisters teil, bis sie sich endlich auf eigne Füße stellen konnten. Erst als dem großen Aufschwünge im fünfzehnten und sech¬ zehnten Jahrhundert die Erschöpfung folgte, auf die Genien die Talente, auf die großen Anschauungen in der Welt der Künstler und der Mäcenaten die Jagd nach starken Effekten, erst da glaubten wohlmeinende Leute, durch die Schule helfen zu können. Aber weder die Carracci noch Sandrart haben die völlige Verflachung aufgehalten, nicht einmal die Technik haben ihre Akademien den späteren überliefert. Und wenn die Kunst am Ende des vorigen und An¬ fang unsers Jahrhunderts sich wieder emporraffte, so waren überall die Aka¬ demien nicht Förderer, sondern Hindernis, Rebellen gegen akademischen Zwang die Führer, welche Begeisterung in den Galerien und Museen eingesogen hatten. Ein weniger glückliches Argument hätte also jener „Altebilderstürmer" nicht wählen können. Es gehört überhaupt ein starker Grad von Kurzsichtigkeit zu der Annahme, daß durch Schulen und Aufträge eine große Kunst geschaffen werden könne, und daß der Zweck des staatlichem Kunstaufwandes die Heranbildung von Malern und Bildhauern sei. Umgekehrt fragt man sich heute überall und mit Recht, ob die Erhaltung von Kunstakademien in ihrer jetzigen Gestalt länger zu ver¬ antworten sei. Und zwar steht nicht die finanzielle Frage im Vordergrunde, sondern die Rücksicht auf die Kunst und die Künstler. Der Unterricht im Zeichnen soll so allgemein zugänglich gemacht werden als möglich, und kaum jemand wird widersprechen, wenn die Befriedigung dieses Bedürfnisses bedeutende Mittel in Anspruch nimmt. Denn es giebt beinahe keinen Beruf, in welchem eine gewisse Schulung des Auges und der Hand nicht von mannichfachen Vorteil sein würde. Aber dabei handelt es sich um allgemeine Bildung. Große Anstalten, in welchen Jahr für Jahr unübersehbare Scharen von jungen Leuten für irgend einen Zweig der Kunstübung abgerichtet werden, wo der gänzlich Unberufene

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/625
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/625>, abgerufen am 03.07.2024.