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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Ein Wort über Kunstschulen.

die kleinern Gewerb treibenden zu häufig selbst das nicht ordentlich gelernt haben,
was sie lehren sollen. Nun muß aber, wenn die kunstgewerblichen Fachschulen
das leisten, was man von ihnen fordert und erwartet, wenigstens die Möglich¬
keit zugelassen werden, daß sie mit Hilfe einer angemessenen Organisation des
Gewerbestandes wieder normale Verhältnisse herbeiführen, d. h. Werkstätten, die
von wirklichen Meistern mit wirklichen Gesellen betrieben werden, und in denen
der Lehrling wirklich unterwiesen wird. Wäre dieses Ziel erreicht, so würde
der Staat die Aufgabe jener Schulen als erfüllt ansehen und sie umso lieber
aufheben, als sie immer nur Notbehelf sein können und auch ihre bedenkliche
Seite haben, Jenes Ziel liegt allerdings vorläufig noch in weiter Ferne.
Indessen kann ein andrer Fall sehr bald eintreten. Die Schulen erziehen nicht
nur praktische Handwerker, sondern auch, oft sogar vorzugsweise, Musterzeichner
und Modelleure, von denen schon jetzt an manchem Punkte der Vorrat viel
größer als die Nachfrage ist. Wo man sich von diesem Verhältnis überzeugt,
wird mau sich schwerlich begnügen, junge Leute vom Betreten dieser speziellen
Laufbahn abzumahnen, sondern zuvörderst durch die größte Strenge in den
Anforderungen an Talent und Fleiß das Mittelgut fernhalten und endlich
fragen müssen, ob die Züchtung einer solchen Spezialität auf Staatskosten
überhaupt noch gerechtfertigt sei.

Ob dieser Fall überhaupt oder ob er früher oder später eintreten werde,
das hängt zum großen Teil von der Einsicht, Gewissenhaftigkeit und Energie
der Schulleiter ab. Sie werden unnachsichtig diejenigen Elemente abwehren
müssen, welche ohne Beruf und Liebe zur Sache sich gegenwärtig an die neuen
Anstalten herandrängen, weil sie meinen, dort sei leichter als anderswo eine
Versorgung zu erhitzen; und sie werden in den Schülern das Bewußtsein wach
erhalten müssen, daß sie bestimmt sind, Gewerbsleute zu werden. Denn der
deutsche Tic, sich, sobald man ein wenig mehr gelernt hat als Vater und Gro߬
vater, auch gleich zu gut für die Sphäre zu halten, in welcher Vater und
Großvater zufrieden gewesen sind, lieber der letzte in einer höheren als der
erste in einer niederen Gesellschaftsklasse sein zu wollen, welcher überall soviel
Unheil anstiftet, kann in Anstalten der gedachten Art üppigste Nahrung finden,
wenn nicht wachsam und entschieden vorgebaut wird. Der Lehrling tritt wohl
noch mit dem guten Willen in die Schule ein, sich Kenntnisse anzueignen, welche
ihm dereinst in seinem Gewerbe förderlich sein können; hat er aber erst einige
Jahre hinter dem Reißbret und vor einem Katheder gesessen, von dem aus
allerlei schwer faßliche Dinge vorgetragen werden, so kommt ihm leicht die
Rückkehr in die Werkstatt wie ein Herabsteigen vor, er fühlt sich als Künstler
und halber Gelehrter. Einzelnen glückt es in der "höheren" Laufbahn, andre
vermehren das Künstlerproletariat, und das Gewerbe empfängt nicht nur nicht,
was es braucht, besser gebildete Meister, es büßt noch vielfältig gerade die besten
Elemente ein.


Ein Wort über Kunstschulen.

die kleinern Gewerb treibenden zu häufig selbst das nicht ordentlich gelernt haben,
was sie lehren sollen. Nun muß aber, wenn die kunstgewerblichen Fachschulen
das leisten, was man von ihnen fordert und erwartet, wenigstens die Möglich¬
keit zugelassen werden, daß sie mit Hilfe einer angemessenen Organisation des
Gewerbestandes wieder normale Verhältnisse herbeiführen, d. h. Werkstätten, die
von wirklichen Meistern mit wirklichen Gesellen betrieben werden, und in denen
der Lehrling wirklich unterwiesen wird. Wäre dieses Ziel erreicht, so würde
der Staat die Aufgabe jener Schulen als erfüllt ansehen und sie umso lieber
aufheben, als sie immer nur Notbehelf sein können und auch ihre bedenkliche
Seite haben, Jenes Ziel liegt allerdings vorläufig noch in weiter Ferne.
Indessen kann ein andrer Fall sehr bald eintreten. Die Schulen erziehen nicht
nur praktische Handwerker, sondern auch, oft sogar vorzugsweise, Musterzeichner
und Modelleure, von denen schon jetzt an manchem Punkte der Vorrat viel
größer als die Nachfrage ist. Wo man sich von diesem Verhältnis überzeugt,
wird mau sich schwerlich begnügen, junge Leute vom Betreten dieser speziellen
Laufbahn abzumahnen, sondern zuvörderst durch die größte Strenge in den
Anforderungen an Talent und Fleiß das Mittelgut fernhalten und endlich
fragen müssen, ob die Züchtung einer solchen Spezialität auf Staatskosten
überhaupt noch gerechtfertigt sei.

Ob dieser Fall überhaupt oder ob er früher oder später eintreten werde,
das hängt zum großen Teil von der Einsicht, Gewissenhaftigkeit und Energie
der Schulleiter ab. Sie werden unnachsichtig diejenigen Elemente abwehren
müssen, welche ohne Beruf und Liebe zur Sache sich gegenwärtig an die neuen
Anstalten herandrängen, weil sie meinen, dort sei leichter als anderswo eine
Versorgung zu erhitzen; und sie werden in den Schülern das Bewußtsein wach
erhalten müssen, daß sie bestimmt sind, Gewerbsleute zu werden. Denn der
deutsche Tic, sich, sobald man ein wenig mehr gelernt hat als Vater und Gro߬
vater, auch gleich zu gut für die Sphäre zu halten, in welcher Vater und
Großvater zufrieden gewesen sind, lieber der letzte in einer höheren als der
erste in einer niederen Gesellschaftsklasse sein zu wollen, welcher überall soviel
Unheil anstiftet, kann in Anstalten der gedachten Art üppigste Nahrung finden,
wenn nicht wachsam und entschieden vorgebaut wird. Der Lehrling tritt wohl
noch mit dem guten Willen in die Schule ein, sich Kenntnisse anzueignen, welche
ihm dereinst in seinem Gewerbe förderlich sein können; hat er aber erst einige
Jahre hinter dem Reißbret und vor einem Katheder gesessen, von dem aus
allerlei schwer faßliche Dinge vorgetragen werden, so kommt ihm leicht die
Rückkehr in die Werkstatt wie ein Herabsteigen vor, er fühlt sich als Künstler
und halber Gelehrter. Einzelnen glückt es in der „höheren" Laufbahn, andre
vermehren das Künstlerproletariat, und das Gewerbe empfängt nicht nur nicht,
was es braucht, besser gebildete Meister, es büßt noch vielfältig gerade die besten
Elemente ein.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/624>, abgerufen am 08.01.2025.