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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Ein Wort über Kunstschulen,

und die aussichtslose Mittelmäßigkeit solange mitgeschleppt werden, bis sie die
Jugend und die Lust, noch etwas andres zu ergreifen, eingebüßt haben, wo
unter den breitkrämpigen Hüten der Künstlerstolz ohne Können, das Verachten
von Vernunft und Wissenschaft so fröhlich gedeihen und nur zu oft noch gehegt
und gepflegt werden, die Treibhäuser, aus denen fort und fort so viele Un¬
zufriedne und Unglückliche hervorgehen, die draußen in Feld und Wald sich
vielleicht ganz gesund entwickelt haben würden: dergleichen Anstalten zu gründen
und zu erhalten ist in der That nicht Sache des Staates. Man gebe tüchtigen
Künstlern Ateliers -- das ist eine nicht unbedeutende, aber gerechtfertige Unter¬
stützung. Sie werden aus denen, welche ihre Schüler werden wollen, die talent¬
vollen und fleißigen auswählen, sie an ihren Arbeiten teilnehmen lassen, ihnen
endlich gewisse Dinge zur halbstündigen Durchführung anvertrauen, ganz so, wie
es die großen Maler und Bildhauer und Goldschmiede und Kupferstecher u, s, w.
vergangner Zeit gemacht haben. Und aus solchen Ateliers werden freilich nicht
lauter große Künstler hervorgehen, aber brauchbare Menschen, welche arbeiten
und mitarbeiten, sich ein- und unterordnen gelernt haben. Denn den Unbrauch¬
baren wird der Meister bei Zeiten fortschicken, während der Professor ihn
vielleicht anL falsch angewandter Gutmütigkeit oder Gleichgiltigkeit immer weiter
stümpern lassen würde. Darin liegt der eine große Unterschied. Ein andrer
liegt darin, daß in der Werkstatt der Lehrling und der Gehilfe zuerst nach
fremden Gedanken und Plau arbeiten muß, nicht die Einbildung in sich auf¬
kommen lassen darf, er als -- angehender! -- Künstler könne nur uach eignen
Eingebungen thätig sein. Es ist möglich, daß jemand gerade darin einen
Vorzug des akademischen Unterrichts erblicken will; er sollte jedoch bedenken,
daß uur höchst selten ein Künstler mit stark ausgeprägter Individualität es über
sich gewinnen wird, seine Schüler gänzlich unbeirrt ihre eignen Wege suchen zu
lassen. Und wir halten es für viel nachteiliger, wenn ein Kniistjttngcr angeblich
frei schafft, thatsächlich aber das zu machen sucht, was der Lehrer an seiner Stelle
gemacht haben würde. Daher kommt es ja, daß schwächere Naturell ihr Leben
lang nicht nur Äußerlichkeiten, Manieren, Eigentümlichkeiten des Vortrages,
sondern auch Anschauung und Auffassung der Schule nicht loswerden, kräftigere
aber bald ausbrechen. In diesem Punkte haben also beide Methoden des Unter¬
richts einander nichts vorzuwerfen. Hingegen befördert die akademische die früh¬
zeitige Entwicklung jenes Dünkels, der so manchem Talent verderblich wird,
die andre aber die technische Tüchtigkeit, die Grundbedingung jeder künstlerischen
Leistung. Wimmelt es nicht allerorten von Genies, deren großartige oder geist¬
reiche Kompositionen von Mitschülern, auch wohl vou Professoren, bewundert
werden, die es jedoch nie dahin bringen, etwas auszuführen, weil sie immer zu
genial und geistreich waren, um ordentlich malen oder modelliren zu lernen?
Und wie groß ist vollends die Zahl derer, welche gewissenhaft alles gelernt
haben, was in einer Akademie gelehrt werden kann, und dann erst des Mangels


Ein Wort über Kunstschulen,

und die aussichtslose Mittelmäßigkeit solange mitgeschleppt werden, bis sie die
Jugend und die Lust, noch etwas andres zu ergreifen, eingebüßt haben, wo
unter den breitkrämpigen Hüten der Künstlerstolz ohne Können, das Verachten
von Vernunft und Wissenschaft so fröhlich gedeihen und nur zu oft noch gehegt
und gepflegt werden, die Treibhäuser, aus denen fort und fort so viele Un¬
zufriedne und Unglückliche hervorgehen, die draußen in Feld und Wald sich
vielleicht ganz gesund entwickelt haben würden: dergleichen Anstalten zu gründen
und zu erhalten ist in der That nicht Sache des Staates. Man gebe tüchtigen
Künstlern Ateliers — das ist eine nicht unbedeutende, aber gerechtfertige Unter¬
stützung. Sie werden aus denen, welche ihre Schüler werden wollen, die talent¬
vollen und fleißigen auswählen, sie an ihren Arbeiten teilnehmen lassen, ihnen
endlich gewisse Dinge zur halbstündigen Durchführung anvertrauen, ganz so, wie
es die großen Maler und Bildhauer und Goldschmiede und Kupferstecher u, s, w.
vergangner Zeit gemacht haben. Und aus solchen Ateliers werden freilich nicht
lauter große Künstler hervorgehen, aber brauchbare Menschen, welche arbeiten
und mitarbeiten, sich ein- und unterordnen gelernt haben. Denn den Unbrauch¬
baren wird der Meister bei Zeiten fortschicken, während der Professor ihn
vielleicht anL falsch angewandter Gutmütigkeit oder Gleichgiltigkeit immer weiter
stümpern lassen würde. Darin liegt der eine große Unterschied. Ein andrer
liegt darin, daß in der Werkstatt der Lehrling und der Gehilfe zuerst nach
fremden Gedanken und Plau arbeiten muß, nicht die Einbildung in sich auf¬
kommen lassen darf, er als — angehender! — Künstler könne nur uach eignen
Eingebungen thätig sein. Es ist möglich, daß jemand gerade darin einen
Vorzug des akademischen Unterrichts erblicken will; er sollte jedoch bedenken,
daß uur höchst selten ein Künstler mit stark ausgeprägter Individualität es über
sich gewinnen wird, seine Schüler gänzlich unbeirrt ihre eignen Wege suchen zu
lassen. Und wir halten es für viel nachteiliger, wenn ein Kniistjttngcr angeblich
frei schafft, thatsächlich aber das zu machen sucht, was der Lehrer an seiner Stelle
gemacht haben würde. Daher kommt es ja, daß schwächere Naturell ihr Leben
lang nicht nur Äußerlichkeiten, Manieren, Eigentümlichkeiten des Vortrages,
sondern auch Anschauung und Auffassung der Schule nicht loswerden, kräftigere
aber bald ausbrechen. In diesem Punkte haben also beide Methoden des Unter¬
richts einander nichts vorzuwerfen. Hingegen befördert die akademische die früh¬
zeitige Entwicklung jenes Dünkels, der so manchem Talent verderblich wird,
die andre aber die technische Tüchtigkeit, die Grundbedingung jeder künstlerischen
Leistung. Wimmelt es nicht allerorten von Genies, deren großartige oder geist¬
reiche Kompositionen von Mitschülern, auch wohl vou Professoren, bewundert
werden, die es jedoch nie dahin bringen, etwas auszuführen, weil sie immer zu
genial und geistreich waren, um ordentlich malen oder modelliren zu lernen?
Und wie groß ist vollends die Zahl derer, welche gewissenhaft alles gelernt
haben, was in einer Akademie gelehrt werden kann, und dann erst des Mangels


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[0626] Ein Wort über Kunstschulen, und die aussichtslose Mittelmäßigkeit solange mitgeschleppt werden, bis sie die Jugend und die Lust, noch etwas andres zu ergreifen, eingebüßt haben, wo unter den breitkrämpigen Hüten der Künstlerstolz ohne Können, das Verachten von Vernunft und Wissenschaft so fröhlich gedeihen und nur zu oft noch gehegt und gepflegt werden, die Treibhäuser, aus denen fort und fort so viele Un¬ zufriedne und Unglückliche hervorgehen, die draußen in Feld und Wald sich vielleicht ganz gesund entwickelt haben würden: dergleichen Anstalten zu gründen und zu erhalten ist in der That nicht Sache des Staates. Man gebe tüchtigen Künstlern Ateliers — das ist eine nicht unbedeutende, aber gerechtfertige Unter¬ stützung. Sie werden aus denen, welche ihre Schüler werden wollen, die talent¬ vollen und fleißigen auswählen, sie an ihren Arbeiten teilnehmen lassen, ihnen endlich gewisse Dinge zur halbstündigen Durchführung anvertrauen, ganz so, wie es die großen Maler und Bildhauer und Goldschmiede und Kupferstecher u, s, w. vergangner Zeit gemacht haben. Und aus solchen Ateliers werden freilich nicht lauter große Künstler hervorgehen, aber brauchbare Menschen, welche arbeiten und mitarbeiten, sich ein- und unterordnen gelernt haben. Denn den Unbrauch¬ baren wird der Meister bei Zeiten fortschicken, während der Professor ihn vielleicht anL falsch angewandter Gutmütigkeit oder Gleichgiltigkeit immer weiter stümpern lassen würde. Darin liegt der eine große Unterschied. Ein andrer liegt darin, daß in der Werkstatt der Lehrling und der Gehilfe zuerst nach fremden Gedanken und Plau arbeiten muß, nicht die Einbildung in sich auf¬ kommen lassen darf, er als — angehender! — Künstler könne nur uach eignen Eingebungen thätig sein. Es ist möglich, daß jemand gerade darin einen Vorzug des akademischen Unterrichts erblicken will; er sollte jedoch bedenken, daß uur höchst selten ein Künstler mit stark ausgeprägter Individualität es über sich gewinnen wird, seine Schüler gänzlich unbeirrt ihre eignen Wege suchen zu lassen. Und wir halten es für viel nachteiliger, wenn ein Kniistjttngcr angeblich frei schafft, thatsächlich aber das zu machen sucht, was der Lehrer an seiner Stelle gemacht haben würde. Daher kommt es ja, daß schwächere Naturell ihr Leben lang nicht nur Äußerlichkeiten, Manieren, Eigentümlichkeiten des Vortrages, sondern auch Anschauung und Auffassung der Schule nicht loswerden, kräftigere aber bald ausbrechen. In diesem Punkte haben also beide Methoden des Unter¬ richts einander nichts vorzuwerfen. Hingegen befördert die akademische die früh¬ zeitige Entwicklung jenes Dünkels, der so manchem Talent verderblich wird, die andre aber die technische Tüchtigkeit, die Grundbedingung jeder künstlerischen Leistung. Wimmelt es nicht allerorten von Genies, deren großartige oder geist¬ reiche Kompositionen von Mitschülern, auch wohl vou Professoren, bewundert werden, die es jedoch nie dahin bringen, etwas auszuführen, weil sie immer zu genial und geistreich waren, um ordentlich malen oder modelliren zu lernen? Und wie groß ist vollends die Zahl derer, welche gewissenhaft alles gelernt haben, was in einer Akademie gelehrt werden kann, und dann erst des Mangels

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/626>, abgerufen am 01.07.2024.