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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Li" wort liber Rnnstschulcil.

Schweigen wird von den Condottiercn als Zustimmung gedeutet, und hinter
diesen zieht der Troß jubelnd einher. Um gerecht zu sein, muß man aber nicht
bloß zwischen den Besonnenen und den Schreiern unterscheiden, sondern -- wie
bei jeder Volksbewegung -- zwischen den Demagogen und ihrem Anhange.
Die große Masse der Maler, Bildhauer u, s. w, ist wirklich in übler Lage.
Mit mittelmäßigem Talent und mittelmäßigem Können kämpfen sie vergebens
gegen die Teilnahmlosigkeit des Publikums an, ringen oft mit bittrer Not,
während sie die wenigen Höhcrbegabteu oder vom Glücke Getragnen Gunst und
Geld in Überfluß gewinnen sehen. In solcher Stimmung ist man nicht zum
unparteiischen Überlegen und Untersuchen aufgelegt, ist vielleicht mit sich selbst
und gewiß mit aller Welt unzufrieden und sehr empfänglich für Weltvcrbcsscruugs-
theorien. Und da fehlen nie die uneigennützigen Biedermänner, die zwar keine
Not leiden, aber die Not der andern so tief empfinden, daß sie diesen andern
gern nützliche Beschäftigung als Stimmvieh und Kanonenfutter verschaffen.
Die Forderung wird verschieden eingekleidet, bald drohend: Du Staat hast die
Verpflichtung, mich in mir zusagender Weise zu beschäftigen und zu ernähren!
bald resignirt: Weshalb hast du, Staat, mich ausgebildet, wenn dn mich nicht
auch erhalten willst?

Ein solches Räsonnement kann bei Personen entschuldigt werden, in welchen
die Phantasie stärker und mehr gepflegt ist als der Intellekt; einer Wider¬
legung bedarf es selbstverständlich nicht. Und doch enthält es einen Fingerzeig,
welcher nicht unbeachtet bleiben sollte. Es ist wahr, was in diesen Diskussionen
öfter angeführt worden ist: der Staat übernimmt damit, daß er Anstalten für
die Ausbildung in den verschiedensten Berufszweigen gründet und unterhält,
zwar nicht die Verpflichtung, den Ärzten Kranke, den Advokaten Prozesse und
den Offizieren Kriege zu liefern, damit die einen gute Einnahmen haben und
die andern avcmciren können; aber bei Unterrichtsanstalten, welche ausdrücklich
und ausschließlich für einen bestimmten Lebensberuf vorbereiten, muß doch die
Frage des Bedarfs in Erwägung kommen. Wenn in irgend einem Zweige
des Staatsdienstes Aspiranten in Überzahl vorhanden sind, so pflegt die Unter-
richtsverwaltung bekannt zu macheu, daß an jener Stelle die Aussichten zum
Fortkommen ungünstig feien, damit junge Leute, welche noch nicht genötigt
waren, über ihre Zukunft zu entscheiden, eine andre Laufbahn einschlagen.
Mehr zu thun, ist in-solchem Falle nicht die Sache des Staates. Doch gesetzt
den Fall, der Andrang zu den Militärbildnngsanstaltcu wäre größer als der
voraussichtliche Bedarf an Offizieren, so würde gewiß die Aufnahme von neuen
Zöglingen beschränkt werden. Oder nehmen wir ein dem Ausgangspunkte dieser
Betrachtung näherstehendes Beispiel. Alle Staaten richten jetzt Schulen für
die gewerblichen Künste ein. Sie thun dies, weil die Werkstatt heutzutage aus
verschiednen Gründen nicht mehr die rechte Schule sein kann, nämlich weil die
größeren Geschäfte zu sehr auf den Maßstab der Fabrik organisirt sind und


Li» wort liber Rnnstschulcil.

Schweigen wird von den Condottiercn als Zustimmung gedeutet, und hinter
diesen zieht der Troß jubelnd einher. Um gerecht zu sein, muß man aber nicht
bloß zwischen den Besonnenen und den Schreiern unterscheiden, sondern — wie
bei jeder Volksbewegung — zwischen den Demagogen und ihrem Anhange.
Die große Masse der Maler, Bildhauer u, s. w, ist wirklich in übler Lage.
Mit mittelmäßigem Talent und mittelmäßigem Können kämpfen sie vergebens
gegen die Teilnahmlosigkeit des Publikums an, ringen oft mit bittrer Not,
während sie die wenigen Höhcrbegabteu oder vom Glücke Getragnen Gunst und
Geld in Überfluß gewinnen sehen. In solcher Stimmung ist man nicht zum
unparteiischen Überlegen und Untersuchen aufgelegt, ist vielleicht mit sich selbst
und gewiß mit aller Welt unzufrieden und sehr empfänglich für Weltvcrbcsscruugs-
theorien. Und da fehlen nie die uneigennützigen Biedermänner, die zwar keine
Not leiden, aber die Not der andern so tief empfinden, daß sie diesen andern
gern nützliche Beschäftigung als Stimmvieh und Kanonenfutter verschaffen.
Die Forderung wird verschieden eingekleidet, bald drohend: Du Staat hast die
Verpflichtung, mich in mir zusagender Weise zu beschäftigen und zu ernähren!
bald resignirt: Weshalb hast du, Staat, mich ausgebildet, wenn dn mich nicht
auch erhalten willst?

Ein solches Räsonnement kann bei Personen entschuldigt werden, in welchen
die Phantasie stärker und mehr gepflegt ist als der Intellekt; einer Wider¬
legung bedarf es selbstverständlich nicht. Und doch enthält es einen Fingerzeig,
welcher nicht unbeachtet bleiben sollte. Es ist wahr, was in diesen Diskussionen
öfter angeführt worden ist: der Staat übernimmt damit, daß er Anstalten für
die Ausbildung in den verschiedensten Berufszweigen gründet und unterhält,
zwar nicht die Verpflichtung, den Ärzten Kranke, den Advokaten Prozesse und
den Offizieren Kriege zu liefern, damit die einen gute Einnahmen haben und
die andern avcmciren können; aber bei Unterrichtsanstalten, welche ausdrücklich
und ausschließlich für einen bestimmten Lebensberuf vorbereiten, muß doch die
Frage des Bedarfs in Erwägung kommen. Wenn in irgend einem Zweige
des Staatsdienstes Aspiranten in Überzahl vorhanden sind, so pflegt die Unter-
richtsverwaltung bekannt zu macheu, daß an jener Stelle die Aussichten zum
Fortkommen ungünstig feien, damit junge Leute, welche noch nicht genötigt
waren, über ihre Zukunft zu entscheiden, eine andre Laufbahn einschlagen.
Mehr zu thun, ist in-solchem Falle nicht die Sache des Staates. Doch gesetzt
den Fall, der Andrang zu den Militärbildnngsanstaltcu wäre größer als der
voraussichtliche Bedarf an Offizieren, so würde gewiß die Aufnahme von neuen
Zöglingen beschränkt werden. Oder nehmen wir ein dem Ausgangspunkte dieser
Betrachtung näherstehendes Beispiel. Alle Staaten richten jetzt Schulen für
die gewerblichen Künste ein. Sie thun dies, weil die Werkstatt heutzutage aus
verschiednen Gründen nicht mehr die rechte Schule sein kann, nämlich weil die
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/623>, abgerufen am 25.07.2024.