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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Gegen den Staciissozialismus.

um der die Zentralisation wegen eintretender Unübersichtlichkeit zu größerer
UnWirtschaftlichkeit führe. Eine konsequent durchgeführte Verstaatlichung in
allen Erwerbszweigen müsse wirtschaftlichen Schiffbruch leiden, weil die mensch¬
lichen Kräfte sich auf die Dauer nicht anspannen ließen ohne die Triebfeder
des Egoismus. Das wolle der Staatssozialismus auch garnicht, er suche sich
vielmehr die zur Verstaatlichung geeigneten Erwerbszweige aus. Logisch sei das
freilich nicht, denn aus demselben Grunde, wie ein Erwerbszweig verstaatlicht
würde, müßten es much alle andern werden. Aber die praktische Welt baue
sich auch nicht allein ans der Logik auf.

Ja, in diesen Ausführungen ist kein Wort, das man nicht gern unter¬
schriebe. Der Staatssozialismus ist zur Zeit wirklich weiter nichts -- und
zwar nicht allein in seinen Verstaatlichungsideeu. sondern auch in seinen
Kontrolemaßregeln --, als eine Politik von Fall zu Fall. Man lese die
Schriften seiner Koryphäen und überzeuge sich, mit welcher ängstlichen Vorsicht
nur sie sich entschließen, Schritt vor Schritt weiter zu gehen. Verstaatlichung
aller Gewerbe und Kollektiveigentum mögen höchstens in dem Sinne Ideale des
Staatssozialismus sein, wie die Durchführung des Prinzips allgemeiner Brüder¬
lichkeit nnter den Menschen. In späterer Zeit soll auch einmal, wie unsre
Naturforscher sagen, die Sonne erlöschen. Aber wem fällt es ein, sich mit
derartigen fernliegenden Eventnalitüten zu befassen?

Der Fehler des Verfassers besteht darin, daß seine Darstellung Lücken hat.
Das Ziel, dem der Staatssozialismus zur Zeit nachstrebt, ist weniger eine
Verstaatlichung, als eine Kontrole des Erwerbes. Es handelt sich in erster
Linie darum, die Konkurrenzanarchie zu beseitigen oder zu mildern. Diese
Richtung des Staatssozialismus erwähnt Barth nirgends, obwohl sie eigentlich
allein für die Gegenwart von Interesse ist. Denn eine allgemeine Verstaat¬
lichung des Eigentums ist zur Zeit nichts als ein Hirngespinnst, eine qMsstio
A<M6inicÄ ohne praktischen Wert.

Aus den übrigen Ausführungen Barths möchte ich noch den interessanten
Abschnitt, der die Stellung des Staatssozialismus zum Handel bespricht, hervor¬
heben. Barth zeigt hier auch hübsche historische Kenntnisse und legt endlich den
wahren Grund des Abfalls der Niederlande von Spanien bloß. Dieser soll
nämlich die "Alkavala" sein, eine von Albci auferlegte ziemlich hohe Umsatzsteuer.
Wenns ihm nur die Holländer nicht übel nehmen! Übrigens geht er zu weit, wenn
er sagt, der Staatssozialismus sei ein Feind jedes Handels. Der wirtschaftlich
berechtigte Handel, welcher Produzent und Konsument zusammenführt, wird wahr¬
lich von uns nicht verachtet, fondern nur der, der sich unnötigerweise zwischen
beide schiebt. Zum Schluß danke ich dem Verfasser für sein offnes Anerkenntnis,
daß die Jugend Deutschlands bereits größtenteils staatssozialistisch sei. Ein
Geschichtskenner wie Barth weiß, daß die großen Jdeenumwälznngen im Kultur¬
leben stets von der Jugend getragen werden. Instinkt und Divination ersetzen


Gegen den Staciissozialismus.

um der die Zentralisation wegen eintretender Unübersichtlichkeit zu größerer
UnWirtschaftlichkeit führe. Eine konsequent durchgeführte Verstaatlichung in
allen Erwerbszweigen müsse wirtschaftlichen Schiffbruch leiden, weil die mensch¬
lichen Kräfte sich auf die Dauer nicht anspannen ließen ohne die Triebfeder
des Egoismus. Das wolle der Staatssozialismus auch garnicht, er suche sich
vielmehr die zur Verstaatlichung geeigneten Erwerbszweige aus. Logisch sei das
freilich nicht, denn aus demselben Grunde, wie ein Erwerbszweig verstaatlicht
würde, müßten es much alle andern werden. Aber die praktische Welt baue
sich auch nicht allein ans der Logik auf.

Ja, in diesen Ausführungen ist kein Wort, das man nicht gern unter¬
schriebe. Der Staatssozialismus ist zur Zeit wirklich weiter nichts — und
zwar nicht allein in seinen Verstaatlichungsideeu. sondern auch in seinen
Kontrolemaßregeln —, als eine Politik von Fall zu Fall. Man lese die
Schriften seiner Koryphäen und überzeuge sich, mit welcher ängstlichen Vorsicht
nur sie sich entschließen, Schritt vor Schritt weiter zu gehen. Verstaatlichung
aller Gewerbe und Kollektiveigentum mögen höchstens in dem Sinne Ideale des
Staatssozialismus sein, wie die Durchführung des Prinzips allgemeiner Brüder¬
lichkeit nnter den Menschen. In späterer Zeit soll auch einmal, wie unsre
Naturforscher sagen, die Sonne erlöschen. Aber wem fällt es ein, sich mit
derartigen fernliegenden Eventnalitüten zu befassen?

Der Fehler des Verfassers besteht darin, daß seine Darstellung Lücken hat.
Das Ziel, dem der Staatssozialismus zur Zeit nachstrebt, ist weniger eine
Verstaatlichung, als eine Kontrole des Erwerbes. Es handelt sich in erster
Linie darum, die Konkurrenzanarchie zu beseitigen oder zu mildern. Diese
Richtung des Staatssozialismus erwähnt Barth nirgends, obwohl sie eigentlich
allein für die Gegenwart von Interesse ist. Denn eine allgemeine Verstaat¬
lichung des Eigentums ist zur Zeit nichts als ein Hirngespinnst, eine qMsstio
A<M6inicÄ ohne praktischen Wert.

Aus den übrigen Ausführungen Barths möchte ich noch den interessanten
Abschnitt, der die Stellung des Staatssozialismus zum Handel bespricht, hervor¬
heben. Barth zeigt hier auch hübsche historische Kenntnisse und legt endlich den
wahren Grund des Abfalls der Niederlande von Spanien bloß. Dieser soll
nämlich die „Alkavala" sein, eine von Albci auferlegte ziemlich hohe Umsatzsteuer.
Wenns ihm nur die Holländer nicht übel nehmen! Übrigens geht er zu weit, wenn
er sagt, der Staatssozialismus sei ein Feind jedes Handels. Der wirtschaftlich
berechtigte Handel, welcher Produzent und Konsument zusammenführt, wird wahr¬
lich von uns nicht verachtet, fondern nur der, der sich unnötigerweise zwischen
beide schiebt. Zum Schluß danke ich dem Verfasser für sein offnes Anerkenntnis,
daß die Jugend Deutschlands bereits größtenteils staatssozialistisch sei. Ein
Geschichtskenner wie Barth weiß, daß die großen Jdeenumwälznngen im Kultur¬
leben stets von der Jugend getragen werden. Instinkt und Divination ersetzen


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[0607] Gegen den Staciissozialismus. um der die Zentralisation wegen eintretender Unübersichtlichkeit zu größerer UnWirtschaftlichkeit führe. Eine konsequent durchgeführte Verstaatlichung in allen Erwerbszweigen müsse wirtschaftlichen Schiffbruch leiden, weil die mensch¬ lichen Kräfte sich auf die Dauer nicht anspannen ließen ohne die Triebfeder des Egoismus. Das wolle der Staatssozialismus auch garnicht, er suche sich vielmehr die zur Verstaatlichung geeigneten Erwerbszweige aus. Logisch sei das freilich nicht, denn aus demselben Grunde, wie ein Erwerbszweig verstaatlicht würde, müßten es much alle andern werden. Aber die praktische Welt baue sich auch nicht allein ans der Logik auf. Ja, in diesen Ausführungen ist kein Wort, das man nicht gern unter¬ schriebe. Der Staatssozialismus ist zur Zeit wirklich weiter nichts — und zwar nicht allein in seinen Verstaatlichungsideeu. sondern auch in seinen Kontrolemaßregeln —, als eine Politik von Fall zu Fall. Man lese die Schriften seiner Koryphäen und überzeuge sich, mit welcher ängstlichen Vorsicht nur sie sich entschließen, Schritt vor Schritt weiter zu gehen. Verstaatlichung aller Gewerbe und Kollektiveigentum mögen höchstens in dem Sinne Ideale des Staatssozialismus sein, wie die Durchführung des Prinzips allgemeiner Brüder¬ lichkeit nnter den Menschen. In späterer Zeit soll auch einmal, wie unsre Naturforscher sagen, die Sonne erlöschen. Aber wem fällt es ein, sich mit derartigen fernliegenden Eventnalitüten zu befassen? Der Fehler des Verfassers besteht darin, daß seine Darstellung Lücken hat. Das Ziel, dem der Staatssozialismus zur Zeit nachstrebt, ist weniger eine Verstaatlichung, als eine Kontrole des Erwerbes. Es handelt sich in erster Linie darum, die Konkurrenzanarchie zu beseitigen oder zu mildern. Diese Richtung des Staatssozialismus erwähnt Barth nirgends, obwohl sie eigentlich allein für die Gegenwart von Interesse ist. Denn eine allgemeine Verstaat¬ lichung des Eigentums ist zur Zeit nichts als ein Hirngespinnst, eine qMsstio A<M6inicÄ ohne praktischen Wert. Aus den übrigen Ausführungen Barths möchte ich noch den interessanten Abschnitt, der die Stellung des Staatssozialismus zum Handel bespricht, hervor¬ heben. Barth zeigt hier auch hübsche historische Kenntnisse und legt endlich den wahren Grund des Abfalls der Niederlande von Spanien bloß. Dieser soll nämlich die „Alkavala" sein, eine von Albci auferlegte ziemlich hohe Umsatzsteuer. Wenns ihm nur die Holländer nicht übel nehmen! Übrigens geht er zu weit, wenn er sagt, der Staatssozialismus sei ein Feind jedes Handels. Der wirtschaftlich berechtigte Handel, welcher Produzent und Konsument zusammenführt, wird wahr¬ lich von uns nicht verachtet, fondern nur der, der sich unnötigerweise zwischen beide schiebt. Zum Schluß danke ich dem Verfasser für sein offnes Anerkenntnis, daß die Jugend Deutschlands bereits größtenteils staatssozialistisch sei. Ein Geschichtskenner wie Barth weiß, daß die großen Jdeenumwälznngen im Kultur¬ leben stets von der Jugend getragen werden. Instinkt und Divination ersetzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/607>, abgerufen am 02.07.2024.